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BERLIN/ Deutsche Oper: DON QUICHOTTE von Jules Massenet. Premiere

31.05.2019 | Allgemein, Oper

 


Clémentine Margaine als Dulcinée. Foto: Thomas Aurin

Berlin/ Deutsche Oper: DON QUICHOTTE von Jules Massenet, bejubelte Premiere, 30.05.2019

Drei Hauptrollen und alle gesungen von dunklen Stimmen – das ist total ungewöhnlich. Jules Massenet hat es in seiner vorletzten Oper „Don Quichotte“ gewagt, und das passt, denn vor allem der Titelheld und sein Begleiter sind sehr ungewöhnliche Figuren.

Don Quichotte hat sich durch das Lesen von Ritterromanen in eine Fantasiewelt hineingesteigert und den Bezug zur Wirklichkeit bekanntlich verloren. Bei Jules Massenet und nun in der Deutschen Oper Berlin ist dieser Don Quichotte ein von soviel Güte, Verständnis und Menschenfreundlichkeit erfüllter Sanftmütiger, dass auch dieses Verhalten sehr ungewöhnlich erscheint.

Bewirkt hat das wohl der Librettist Henri Cain, der mehr das Quichotte-Drama „Le Chevalier de la longue figure“ von Jacques Le Lorrain zum Vorbild nahm als den herberen Tausendseiter von Miguel de Cervantes. Erstmals seit 50 Jahren kommt nun dieses Stück in einer neuen Version auf die Bühne des Hauses. Auch das passt gerade. Ist nicht „der Ritter von der traurigen Gestalt“ – sei er männlich oder weiblich – zurzeit ganz aktuell?

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Don Quichotte (Alex Esposito) huckepack reitend auf Seth Carico. Foto: Thomas Aurin

Glücklicherweise entspricht der sichtlich gut trainierte italienische Bassbariton Alex Esposito dieser Libretto-Vorgabe in keiner Weise. Hier steht ein fitter Mann (44) als Don Quichotte auf der Bühne. Er singt diese Rolle, die Massenet speziell auf den russischen Superbass Fjodor Schaljapin zugeschnitten hatte, knackig und auf seine, durchaus beeindruckende Art. Er muss auch nicht als alter Mann in zerlumpter Kleidung auftreten, darf enge Jeans, ein Figur betonendes Hemd und Disco-taugliche Silber-Stilettos tragen. (Kostüme Katrin Wolfermann). 

Auch der sportliche Bassbariton Seth Carico, seit 2012/3 im Ensemble des Hauses, braucht sich nicht per Fatsuit in einen rundlichen Sancho Pansa zu verwandeln. Er muss allerdings die Stute Rosinante ersetzen, sich einen Pferdekopf überstülpen und mitunter seinen Herrn huckepack und dennoch singend hin und her tragen. Seine Stimme bietet mehr lyrische Momente als die von Alex Esposito, und so bilden die beiden ein vorzügliches und zudem gut unterscheidbares Paar.

Als Dulcinée kann hier Clémentine Margaine all’ ihr Können mit voll tönendem Mezzo und gelungenen Koloraturen in die Waagschale werfen und einige Male als Quasi-Carmen nicht nur mit Hüftschwung alle Register ziehen. Unterstützend breitet Dirigent Emmanuel Villaume  gemeinsam mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin den Interpreten und dem Publikum einen farbenprächtigen Massenet-Teppich in allen Nuancen aus.

Mehr als bunt ist jedoch die Inszenierung von Jakop Ahlbom. Bei ihm mischen sich, so formuliert es die Deutsche Oper, „Pantomime, Tanz, Musik und Illusionskunst“. Das bewahrheitet sich. Eimerweis’ schüttet Ahlbom seine mehr oder minder skurrilen Einfälle über das Publikum.

Gleich die erste Szene, ein Wimmelbild, zeigt eine große, überfüllte Kneipe, in der heftig gefeiert wird (Bühne: Katrin Bombe). Das Leute singen und tanzen. Das macht der Chor, später auch mit Faschingshüten herausgeputzt, einstudiert von Jeremy Bines. Tänzerinnen und Tänzer treten ebenfalls auf, dazu noch jede Menge Statisten. Alles wabert hin und her.

 

Mittendrin Dulcinée als Serviererin, umschwärmt von vier Männern, zwei davon Damen in Hosenrollen, ebenfalls überzeugend singend und agierend. (Pedro: Alexandra Hutton, Garcias: Cornelia Kim, Rodriguez: James Kryshak und Juan: Samuel Dale Johnson).

Die Inszenierung bietet auch allerlei sonstiges Zubehör. Ein mehr Lenin als Esposito ähnlicher Riesenkopf auf einer Leinwand im Hintergrund lässt ebenso rätseln wie später ein Männer-Großgesicht mit langer, langer Zunge, auf der überdimensionierte Käfer, dargestellt von so kostümierten Personen, auf die Bühne vordringen. Die Artenvielfalt, wenn auch gefährlich explodiert, scheint noch erhalten zu sein.

Unbeeindruckt von all’ dem Durcheinander macht Don Quichotte der Dulcinée eine rührende Liebeserklärung. Als er ihr, sie für eine Königin haltend, näher tritt, verwandelt sich ihr Kellnerinnen-Outfit in ein leuchtend rotes Festgewand. Liebe macht blind oder auch schön. Ein perfekt gelungener Zaubertrick.

Klar, dass ihn ihre Verehrer und der ganze Saal auslachen und ihn sogar bedrohen. Nach früherer Kinderart wird mal mit einem Holzschwert gefochten. Sancho Pansa fordert Achtung für seinen Herrn. Dulcinée zieht sich aus der Affaire und bittet den angeblichen Ritter, ihr eine von Räubern gestohlene Kette wieder zu beschaffen, deutet dabei auch an, ihn dann zu erhören.  

Don Quichotte, betont heldenhaft, Sancho Pansa vor Angst schlotternd, dringen vor bis ins Räuberquartier. Statt ihn zu töten, händigen die Räuber dem Einfältigen, der sie voller Ehrerbietung behandelt, schließlich eine Riesenkette aus.

Als er sie vor seiner Angebetete aus der Tasche zieht, hat sie wieder die normale Größe. Dulcinée ist glücklich, doch seine Frau will sie garantiert nicht werden, will sich mit mehreren Männern amüsieren  und lacht ihn herzlos aus. Für ihn ist das der Todesstoß, später tut ihr das leid. Überzeugend lässt Clémentine Margaine diese Gefühlsschwankungen in ihrem Gesang einströmen.  

Bleibt als einziger der treue Sancho Pansa an Don Quichottes Seite. Der hat stets seines Herrn Sonderbarkeiten akzeptiert, nennt ihn Meister und will ihn unbedingt am Leben erhalten. Alex Esposito und Seth Carico machen dieses herzerweichende Miteinander bis zum bitteren Ende zum Höhepunkt dieser eigentlich eher tragischen als lustigen Oper und lassen all’ den bisherigen Klamauk vergessen.

Danach heftiger Applaus für alle, für Seth Carico mit besonderer Phonstärke. Das Regieteam wird nach einigen wenigen Buhs ebenfalls gefeiert.  Ursula Wiegand

Weitere Termine am 02., 07., 13. und 18. Juni.

Ursula Wiegand

 

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