Yusef Eyvazov, Anna Netrebko. Foto: Bettina Stoess
Berlin/ Deutsche Oper: Anna Netrebko begeistert in ADRIANA LECOUVREUR von Francesco Cilea, konzertante Premiere, 04.09.2019
Lange haben wir in Berlin gezweifelt: „Kommt sie oder kommt sie nicht, die Starsopranistin Anna Netrebko?“ In Salzburg konnte sie bekanntlich nicht alle Vorstellungen als Adriana Lecouvreur singen, danach hat sie in Bayreuth die Rolle der Elsa komplett abgesagt.
Doch nach dreiwöchiger Erholungspause ist sie nun in der Deutschen Oper Berlin und zeigt sich als topfitte junge Frau mit sichtlich schlankerer Figur, was ihr bestens steht. Der große Saal mit seinen 2.000 Plätzen ist so gut wie ausverkauft, trotz der deutlich höheren Preise als hier üblich.
In einem wallenden grünen Gewand mit Glitzerborte und dazu passendem Stirnband kommt sie auf die Bühne, als Double ihrer Vorgängerin, einst ein Star an der Comédie Française in Paris, die schon mit 38 Jahren verstarb. Als heutiger Weltstar übertrifft sie die damalige Adriana durch ihre internationale Karriere bei weitem, macht sich aber deren Schicksal voll zu eigen.
Gleich in ihrer ersten großen Arie bezeichnet sich auch Anna Netrebko als demütige Dienerin der Kunst, womit sie ebenso tiefstapelt wie wohl einst ihre Kollegin. Wie sie es aber singt, das ist großartig und total überzeugend, denn einfach ist diese Rolle nicht.
Aus fast abgründiger Tiefe, geht es in strahlende Höhen. Dass ihre Stimme in diese dunklen Gefilde mehr und mehr und mit variationsreicher Fülle hineingewachsen ist, ohne an Höhe einzubüßen, ist eine gerade für diese Partie äußerst vorteilhaft.
Wie es da unten in der Tiefe brodelt, wie sich dann ihr Sopran mit Leichtigkeit und ohne Registerbrüche in die Höhe emporschwingt, ist schon alleine staunenswert. Doch damit nicht genug. Geschmeidig gestaltet sie ihre Höhen, fast jeder Ton ist nicht nur lauter oder leiser, sondern erhält auch eine andere Färbung. Der erste Zwischenjubel ist ihr gewiss und hoch verdient.
Der Mann, um den es in dieser Verismo-Oper von Francesco Cilea geht, ist der zunächst sich zunächst als simpler Fähnrich ausgebende Maurizio, eigentlich der Graf von Sachsen und hier ihr Ehemann Yusif Eyvazov. Der verfügt über einen markanten Tenor ohne Schwächen und Intonationsprobleme. Da wackelt nichts, da kommt jeder Ton glasklar, da stimmt auch der anstrengungslos wirkende Aufschwung in die höchsten Höhen. Nicht alle Sänger können eine solche Gesangstechnik bieten.
Doch immer wieder ist zu lesen oder zu hören, Yusif Eyvazov fehle es an Timbre oder er habe gar keines. Letzteres ist unsinnig, denn das Timbre ist die Klangfarbe einer Stimme, und jede Stimme hat ihre eigene angeborene Klangfarbe!
Im Musikalischen Lexicon 1865 / Autor: Arrey von Dommer ist zu lesen:
Das Timbre ist die „charakteristische Klangfarbe eines Instruments, einer Stimme, besonders einer Gesangsstimme.“ Was die Stimme angeht, so kommt im Timbre die unendliche Vielfalt der Menschheit zum Ausdruck, denn jede Stimme ist einmalig und besitzt ihre eigene Persönlichkeit. Das Timbre …verleiht dem Klangerzeuger also seine Einzigartigkeit.
Frequenz, Vibrato und Fülle sind die Elemente, die ein musikalisches Timbre prägen. Das Timbre, oder die Klangfarbe, macht es, dass jemand eine Stimme als „schön“ empfindet. Im Laufe der Jahre spielt auch das Körpergewicht eine Rolle und selbstverständlich auch das Stimmtraining. – Im weiteren Sinne versteht man unter Timbre auch die allgemeinen Klangeigenschaften der Stimme, wonach sie weich, voll, stark oder scharf, spitz, dünn; offen, hell, glänzend, metallisch oder gedeckt, dunkel, matt, heiser etc. erscheint. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 852].
Es liegt also, so das Fazit, generell an den Hörenden, ob sie das ganz individuelle Timbre einer Stimme als schön oder weniger schön empfinden. Verändern und anreichern lässt sich das Timbre durch Schulung und Training, und das ist offenkundig bei Eyvazov der Fall.
Seine Stimme ist deutlich differenzierter als vor einiger Zeit, und auch schauspielerisch hat der drahtig Gewordene sichtlich zugelegt. Wer weiterhin meint, er erhalte seine Rollen nur, weil er gemeinsam mit Anna Netrebko auftritt, ist schon eine ganze Weile auf dem falschen Gleis. Das Ganze erinnert mich an die Kommentare, die früher Erwin Schrott „als Anhängsel von Anna Netrebko“ galten. Inzwischen ist er ein weltweit gefragter Sänger.
Zurück zu dieser konzertanten Oper, deren Anforderungen Eyvazov er mit seinem persönlichen Einsatz sehr gut meistert. Ich mag markige virile Männerstimmen, und einen italienischen Schluchzer fügt er auch noch hinzu.
Padraic Rowan, Ya-Chung Huang, Anna Netrebko, Vlada Borovko und Aigul Akhmetshina. Foto: Bettina Stöss
Und wie er mit gequältem Charme die heikle Situation als Ex-Lover der beim Ehebruch ertappten Fürstin von Bouillon übersteht, ist lustig anzusehen. Diese Rolle sitzt bei der russischen Mezzosopranistin Olesya Petrova in guter und volumiger Kehle.
Die kann ebenso schmeicheln wie an vermisster Liebe leiden oder schließlich (stimmlich) die Krallen herausfahren. Deren Konkurrentin sollte keine sein. Wie sich schließlich Adriana und die Fürstin die angeblichen Wahrheiten immer noch tonschön um die Ohren hauen – das fetzt so richtig, obwohl keine die andere überschreit.
Während Olesya Petrova ihre Partie vom Blatt singt, sich aber immerhin auch auf der Bühne bewegt, bleibt ihr Gatte, der Fürst von Bouillon, bei dieser konzertanten Aufführung weitgehend am Stehpult. Doch dieser junge Patrick Guetti, ein sehr schlanker Sänger, besitzt bereits einen prächtigen Bass, und Lampenfieber scheint er auch nicht zu kennen. An seiner Seite, ebenfalls stehend, Burkhard Ulrich, hier als ungemein schmieriger Abbé von Chazeuil. Und der hier neue Dirigent Michelangelo Mazza achtet genau darauf, dass niemand seinen Einsatz verpasst, lässt aber das Orchester der Deutschen Oper Berlin oft zügellos laut spielen.
Die allgemeine Sympathie erringt schnell und zu Recht Alessandro Corbelli als Michonnet, der Regisseur dieser Künstlertruppe, deren Rollen von Vlada Borovko, Aigul Akhmetshina, Padraic Rowan und Ya-Chung Huang gut gesungen werden. Sie alle betreut er fast väterlich und insbesondere Adriana, die er seit Jahren intensiv liebt. Genau wie Anna Netrebko und Yusif Eyvazov singt er seine Partie auswendig und kann so mehr an Spiel bieten.
Doch gerade als er ihr trotz seines fortgeschrittenen Alters sein Liebe offen gestehen und ihr gar einen Heiratsantrag machen will, erscheint der Graf von Sachsen auf der Bildfläche, und so zieht er sich als Bewerber um ihr Herz klug und tieftraurig zurück.
Dennoch bleibt Michonnet, der tatsächlich Weißhaarige, fest an Adrianas Seite. Sein immer noch kräftiger und wohlklingender Bariton sowie seine Schauspielkunst, die soviel Empathie und Lebensklugheit verströmen, beeindrucken zutiefst und machen ihn verdienterweise zum Publikumsliebling.
Vor Liebeskummer und Sehnsucht nach ihrem Maurizio ist Adriana krank geworden, und er begleitet Adriana, die von ihrer fürstlichen Rivalin durch einen vergifteten Veilchenstrauß getötet wird, bis ans bittere Ende. Der ganze Saal wird still, und auch das Orchester hält sich angenehm zurück, während Anna zunächst als Leidende, dann bei Maurizios Erscheinen als wieder Zuversichtliche und schließlich als verwirrt Sterbende diese lange Schluss-Szene ergreifend gestaltet.
Bewundernswert, welche Schwingungen und Facetten sie selbst in hohen und höchsten Lagen ihrem Sopran im feinsten Pianissimo entlocken kann. Wie die letzten Blättchen im Herbstwind schweben ihre sich ständig verändernden, bald nur noch gehauchten Töne empor.
Ganz still ist es im großen Saal geworden, fast halten alle den Atem an. Das ist Schönheit pur und momentan ganz unvergleichlich. Echt liebevoll um sie bemüht zeigt sich nun auch der wiedergekehrte Maurizio, der sie heiraten will. Doch sie will nur Blumen und keine Krone tragen, so sehr er auch bittet. Sehr ansprechend singt und spielt Yusif Eyvazov diese entscheidende Szene zwischen Verzweiflung und dem endgültigen Abschied.
Eine Sternstunde ist das für die Deutsche Oper Berlin, zu dem auch der von Jeremy Bines einstudierte Chor des Hauses das Seine beiträgt. Nach einer ergriffenen Pause bricht das Publikum in Jubel aus, entschließt sich auch zu „standing ovations“. In den oberen Rängen wird vor Begeisterung gekreischt und getobt. Anna Netrebko mit ihren Kolleginnen und Kollegen gefällt das offensichtlich. Sie winken fröhlich und spenden nun ihrerseits dem dankbaren Berliner Publikum herzlichen Beifall. Ursula Wiegand
Einzige weitere Aufführung am 07. September.