Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN / Chamäleon: MENSCHEN 2.0 – Saisoneröffnungs-Premiere;

BERLIN / Chamäleon: MENSCHEN 2.0 – Saisoneröffnungs-Premiere; 11.9.2025

Endlich in Freiheit: Umjubelte Produktion Humans 2.0 in einer erweiterten und musikalisch noch dringlicheren Fassung

cam1
Foto: David Kelly

„Alles ist in ständiger Bewegung und im Wandel, immer auf der Suche nach dem flüchtigen Moment des Gleichgewichts.“ Lifschitz

Man schrieb das Jahr 2021. Die Pandemie wütete und ebenso die auch auf alle Belange der Kultur ausgedehnte Schließungs – und Restriktionsgnadenlosigkeit der Politik. Unter solchen Auspizien fanden 2021 die Premiere und weitere Aufführungen von Humans 2.0 der australischen Kompanie Circa in Sydney statt. Fast fünf Jahre später und die großartige Produktion um die Frage, was Lebewesen zu Menschen macht, feiert nun in Berlin ihren verdienten größeren ersten Auftritt in einer überarbeiteten Version im Chamäleon.

Fast ein Dutzend Bühnenkünstler inkl. ihrer weiblichen Pendants – sie reüssieren in den Disziplinen Tanz, Akrobatik, Athletik und Komik, schlicht sie bilden ein Wunderteam für virtuoses Bewegungstheater – formieren sich zu einem Reigen an fließenden Körperskulpturen, kinetisch wandelbaren Bildern im Lichtdesign von Paul Jackson und dem genialen Mischsound aus Techno, Minimal Music und Streicherklängen des Schlagzeugers und Creative DJs Ori Lichtik.

Gekrönt wird die Aufführung durch einen finalen Hymnus im Sinne eines ausgelassen choreografierten Lebensmythos. Das Ensemble Circa zündet ein temporeiches Feuerwerk aus einander überschneidenden, über die ganze Bühnenbreite fliegenden Körpern jenseits der Schwerkraft. Auch Humor und schelmisches Augenzwinkern bilden einen Bestandteil des Ausdrucksrepertoires von Circa und dürfen zwischen den einzelnen Acts auf die hoffentlich mehrheitlich erträgliche Leichtigkeit des Seins verweisen. Die sich wiederum aus dem Gegensatz zu Schwere und Sorgen, zu Schmerz und Tod speist.

Die Dynamik des Miteinander wird in Humans 2.0 in einer experimentell alle Kontraste aus Gefühl und Poesie ausleuchtenden Regie bis an die Grenzen des Machbaren erkundet. Die Flüchtigkeit und Freiheit des Augenblicks und die Schönheit der Vergänglichkeit feiern in diesem Rausch aus Salti, Rollen vorwärts und zurück, der Erprobung des Ich im Wir und der Erstehung des Ich aus dem Wir Urständ.

Mich hat die Schlussapotheose des Stücks in ihrem Glanz, ihrer eleganten Erotik und im Daseinsjubel an eine Choreografie von  Leoš Janáčeks „Sinfonietta“ des Nederlands Dans Theater unter Jiří Kylián erinnert und völlig begeistert. Wie da auf einmal der moderne Zirkus mit Elementen des Balletts versehen zu einem noch schöneren Schwan mutiert und zu völlig neuen Ufern schwebt, habe ich in dieser Form zum ersten Mal erlebt.

cam 2
Foto: Pedro Greig

Die Programmatik des Hauses in den Hackeschen Höfen will aber mehr und kann noch mehr: Nach Humans 2.0 wird am 23. Oktober die Produktion „Wolf“ von Circa wieder in den Spielplan aufgenommen und bis 18. Jänner 2026 laufen. Da wird wieder die stets dringliche Frage gestellt, wann Menschlichkeit endet und der Mensch in seinem Handeln zum „Wolf“ mutiert. Aber der Wolf steht neben aller kulturell bedingten Symbolik auch für die soziale Ordnung im Rudel. Individuen finden hier zusammen, „versuchen, eine Balance der Kräfte zu schaffen, zwischen Instinkt, Emotion, Raserei und Sinnlichkeit.“

Der Prinzipal und künstlerische Leiter des Ensembles Circa, Yaron Lifschitz, will in seiner Arbeit grundsätzlich nicht im Sinne von politischen Statements punkten, sondern er beschäftigt sich mit der „Auflösung von Grenzen: jenen zwischen Kunst und Unterhaltung, zwischen virtuos und bedeutungsvoll, zwischen richtig und falsch.“

Bis zum 19. Oktober wollen wir Circa in Humans 2.0 weiter im ungezähmten Ritt über die Bretter des Chamäleons anfeuern. Der so geschaffene, nur durch einen blauen Vorhang und darauf wandelnde Schatten definierte Raum lädt zum Träumen, Innehalten und der eigenen Standortfindung ein. Gönnen Sie sich bei Gelegenheit das Spektakel!

Nähere Informationen finden Sie auf der Website: chamaeleon.com/de/

Fotos: Copyright David Kelly (gesamtes Ensemble) und Pedro Greg (Ausschnitt mit Salto)

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken