Berlin/ Berliner Ensemble: „AMPHITRYON“ von Heinrich von Kleist nach Molière/Plautus, Fassung Katharina Thalbach, Premiere am 22.11.2014
Laura Tratnik als Alkmene, Martin Seifert als Zeus, Foto Lucie Jansch
Griechenlands allzu menschliche Götterwelt – ein Stoff für Jahrtausende. So die Amphitryon-Story vom geilen Jupiter, der ab und zu aus dem Olymp ausbüchst, um sich mit einer Sterblichen zu vergnügen. Der mal in Tiergestalt und hier als Doppelgänger des thebanischen Heerführers Amphitryon dessen Frau – als ihr Gatte verkleidet – beglückt, nur wenige Stunden vor der Heimkehr des wahren Ehemannes.
Plautus, Molière und Kleist haben sich über diesen Stoff hergemacht, nun hat ihn sich Katharina Thalbach vorgeknöpft und macht daraus, was sie bestens kann: eine quirlig-lustige Geschichte, bei der hier bald niemand – außer dem Göttervater Jupiter und seinem Boten Merkur – mehr weiß, wer was ist und wer er selbst ist.
Denn dem Identitätsverlust fallen interessanterweise eher die Männer Thebens anheim, und wirken dann oft recht lächerlich. Schon die „Liebestöter“, die gelegentlich unter dem Lendenschurz, so bei Amphitryons Diener Sosias, sichtbar werden, sprechen Bände (Kostüme: Angelika Rieck).
Selbst Zeus trägt, als er sich nach den Erdenlüsten schließlich wieder in einen Gott zurückverwandelt, ein braunes Pumphöschen. Die schöne Alkmene, die er als Gatte verkleidet betörte, muss das in ihrer Freude übers vermeintliche Wiedersehen nicht bemerkt haben.
Katharina Thalbach, die Regisseurin, zeigt diesen Zeus als alt gewordenen Lüstling, der sich dennoch mal einen kleinen Seitensprung gönnt. So der Song, den er vor sich hinträllert. Auf wackligen Beinen steigt er von seinem Götterthron, und wirkt selbst als Krieger verkleidet wie eine Lachnummer. Martin Seifert, auch im richtigen Alter für diese Rollenzuweisung, macht das mit überzeugendem Humor und hat gleich die Lacher auf seiner Seite.
Das Publikum kichert schon, als die vier Musiker (Nasko Georgiev, Vladimir Karparov, Marc Alexej Papanastasiou und Thanasis Petsas) das Geschehen gleich anfangs mit einem Sirtaki aus „Alexis Sorbas“ untermalen. Überhaupt wird viel musiziert und gesungen, bekannte Chansons sind zu hören. Die Instrumentalisten, mal griechisch gewandet und mit Lorbeerkranz, geben der Sache auf ihre Art Schwung und produzieren Jubeltöne, wenn Jupiter und Alkmene unter wellenartig wallenden Vorhängen (Bühne: Momme Röhrbein) intim werden.
Dass sich Jupiter in Alkmene verguckt hat, wundert nicht. Die schöne, schlanke Laura Tratnik in dieser Rolle muss selbst in solch einem alten Zausel Gelüste wecken. Und da sie beim Niederlegen der Opfergaben geäußert hat, dass sie für die Rückkehr des geliebten Gatten zu jedem Opfer bereit sei, nimmt Zeus sie logischerweise beim Wort, muss aber ihre offensichtliche Treue durch den Verkleidungstrick unterlaufen.
Als der wahre Amphitryon, der stattliche Guntbert Warns voller Freude von der Schlacht heimkehrt, glauben ihm weder seine Frau noch das Volk. Als vermeintlicher Betrüger wird er weggejagt, hat plötzlich keine Freunde mehr, hat alles verloren. Überzeugend spielt er diesen tragischen Helden, der vom Sieger zum „Looser“ wird. So schnell kann’s gehen.
Daher ist das trotz all’ den höchst unterhaltsamen Verwechselungsgags nur auf den ersten Blick ein lustiges Stück, selbst wenn Amphitryons tollpatschiger Diener Sosias (prima: Martin Schneider) und seine zickige „Alte“, die fabelhafte Anke Engelsmann als seine Frau Charis, ein Buffopaar vom Feinsten geben. Doch selbst dieser tumbe Trunkenbold, der den kessen Götterboten Merkur (Raphael Dwinger) als Double erhält, fragt schließlich immer wieder: „Wer bin ich?“ Meterweis voneinander entfernt knallen die Ohrfeigen zwischen den doppelten Dienern.
Katharina Thalbach beschert uns so gesehen einerseits einen turbulenten Jux und legt uns nahe, die olle Sage nicht ganz ernst zu nehmen. Tut sie aber unterschwellig doch. Von zwei Seelen in einer Brust spricht der Volksmund? Bilden sich die Gedoppelten das alles nur ein, sind sie vielleicht gar schizophren?? Der Identitätsverlust, wenn auch nur abschnittsweise, ist genau genommen beunruhigend, und das äußern die Opfer deutlich. Die Dichter und Nachdichter dieser angeblichen Komödie stellen diese Fragen durchaus, geben aber keine Antwort und lassen nur die verwirrten Frauen zurück.
Charis mit Strapsen und Mini-Tanger unterm schlichten Rock, die vergeblich die ehelichen Pflichten vom Gatten einfordert, hält daher nach einem Jüngeren Ausschau, einem Schwarzgelockten mit dem Surfbrett unterm Arm (Felix Tittel). Letztlich kriecht und rollt sie aber zu Füßen des langjährigen Ehepartners. Anke Engelsmann übertreibt in Mimik und Körpersprache gnadenlos, die ist ‚ne Wucht in Tüten.
Die schöne Alkmene bleibt jedoch unschlüssig. Tatsächlich hat ihr Jupiter, doch noch göttlich potent, bisher ungeahnte Liebesfreuden bereitet. Auch nachdem dieser „Göttergatte“ die Identitäten wieder hergestellt hat, kann sie sich nicht entscheiden, wiegt sich im Tanz mal mit Jupiter, mal mit Amphitryon. Eine sehr aufschlussreiche Szene.
Zuletzt schiebt sie der Gott dem Menschen in die Arme und verkündet dem sogleich, dass er Alkmene geschwängert hat. Einen unerhört kräftigen Sohn werde sie gebären. Ein Schock für den Ehemann? Nicht wirklich, denn damit erfüllt sich sein Herzenswunsch nach einem wackeren Stammhalter. Hektor wird er heißen. „Ein schöner Name“, antwortet Amphitryon gelassen. O la la. Für ihn ist also die Welt wieder in Ordnung. Und für Alkmene?
Die hat sich vorher, mit Zeus gemeinsam Zigarette rauchend, als zwar liebevolle, aber durchaus eigenständige Frau präsentiert. Mit dem Milva-Song und den Zeilen: „Ich mag dich, weil du klug und zärtlich bist, und doch, das ist es nicht allein. Du zeigst mir immer, dass es möglich ist, ganz Frau und trotzdem frei zu sein.“ Wird ihr Amphitryon diese neu entdeckte Freiheit lassen?
Frau Thalbach hat den Text deutlich gestrafft, und so ist nach 105 prallen Minuten alles vorbei und der Beifall groß und anhaltend. Rhythmisch beklatscht werden sie alle, die Darsteller/Innen, die Musiker und auch das Regieteam.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 23. und 29.11., 1., 6. und 19. 12 sowie 3. und 4.1. 2015