Opernrarität in Bergamo: „Torquato Tasso“ von Gaetano Donizetti (Vorstellung: 9. 11. 2014)
Sebastiano Rolli begeisterte das Publikum durch sein mitreißendes Dirigat (Foto: Corriere-web-Bergamo)
Seit Jahren bringt das Musik-Festival in Bergamo vergessene oder selten gespielte Werke von Gaetano Donizetti, der 1797 in Bergamo geboren wurde und ebendort 1848 starb. In diesem Jahr zeigte man mit seiner Oper „Torquato Tasso“ eine Besonderheit, stammte doch der Dichter aus einer Adelsfamilie der Stadt Bergamo. 1833 in Rom uraufgeführt, erlebte die Oper bereits 1837 in Wien ihre deutschsprachige Erstaufführung. In den letzten dreißig Jahren geriet sie fast in Vergessenheit.
Der Inhalt der Oper, deren Libretto Jacopo Ferretti nach Johann Wolfgang von Goethe verfasste, in Kurzform: Torquato Tasso lebt am Hof des Fürsten Alfonso d’Este in Ferrara und liebt dessen Schwester Eleonora. Der Höfling Don Gherardo stiftet den Sekretär Roberto Geraldini an, in Erfahrung zu bringen, ob Tassos heimliche Angebetete seine eigene Geliebte Eleonora di Scandiano ist. Als es Roberto gelingt, Tassos Verse, die sich auf Eleonora d’Este beziehen, in seinen Besitz zu bringen, wird offenkundig, dass Tasso verbotenerweise die Fürstin liebt. Gherardo und Geraldini intrigieren weiter und ziehen den Fürsten zu einem heimlichen Treffen des Paares hinzu. Tasso wird inhaftiert. – Nach siebenjähriger Haft soll Tasso in Rom zum Dichter gekrönt werden. Gleichzeitig erfährt er, dass Eleonora schon vor fünf Jahren gestorben ist. Sein Lebensmut erlischt und er sieht seine Geliebte in Wahnvorstellungen vor sich. Die Höflinge versuchen ihn zu beruhigen und an seine Aufgaben als Dichter zu erinnern.
Regisseur Federico Bertolani lässt die Oper in einem Logentheater (Ausstattung: Angelo Sala) spielen, von dessen Decke Flugblätter zu Boden schweben, die offensichtlich Verse von Torquato Tasso beinhalten. Diese zum Teil weißen, zum Teil roten Flugblätter bedecken in allen drei Akten den Boden der Bühne. In der Gefängnisszene im letzten Akt sollen sie wohl die Textentwürfe des inhaftierten Tasso symbolisieren. Auffallend gut die Personenführung des Regisseurs. Die ins 16. Jahrhundert passenden Kostüme entwarf Alfredo Corno, für die Lichteffekte sorgte Claudio Schmid. Die Aufführung war in italienischer Sprache mit italienischen und englischen Übertiteln, die allerdings nur selten gut lesbar waren.
Marzio Giossi als Don Gherardo mit dem stimmgewaltigen Chor (Foto: Corriere-web-Bergamo)
In der Titelrolle brillierte der südkoreanische Bariton Leo An sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch. Ergreifend die Szene im Gefängnis, als Tasso von den Höflingen vom Tod seiner Geliebten erfährt. Von herzerwärmender Innigkeit das Liebesduett mit der Sopranistin Gilda Fiume, die das Publikum als Eleonora d’Este stimmlich besonders zu begeistern wusste. Tassos Rivalen am Hof von Ferrara, Roberto Geraldini und Don Gherardo, wurden von Giorgio Misseri mit lyrischer Tenorstimme und vom Bariton Marzio Giossi dargestellt, der durch sein komödiantisches Spiel und seine gesangliche Virtuosität brillierte.
Für die gute Ensembleleistung sorgten noch die Mezzosopranistin Annunziata Vestri als Contessa di Scandiano und der Bass Gabriele Sagona in der Rolle des Alfonso d’Este, des Herzogs von Ferrara. Ausgezeichnet agierte der Chor des Bergamo Musica Festival (Einstudierung: Fabio Tartari), der nicht nur stimmgewaltig war, sondern auch die leisen Töne wirkungsvoll zum Besten gab.
Zwischenapplaus und Jubel gab es für den jungen Dirigenten Sebastiano Rolli, der das Orchester des Musikfestivals leitete. Sein ambitioniertes, mitreißendes Dirigat brachte die stilistisch ausgeklügelte Partitur des Komponisten wundervoll zum Erklingen.
Das begeisterte Publikum bejubelte am Schluss der Vorstellung das Sängerensemble und den Chor sowie das Orchester und seinen Dirigenten mit nicht enden wollendem Beifall sowie vielen Bravo-, Brava- und Bravi-Rufen, aber auch mit Standing Ovations! Es war ein musikalisch großartiger Sonntag-Nachmittag.
Udo Pacolt