Interview mit BENJAMIN APPL
Ossiach, 31.7. 2018, am Vormittag des Liederabends
Karl Masek
Benjamin Appl. Foto: Andrea Masek
Sie sind in Regensburg geboren und aufgewachsen. Wie kam es in der Kindheit zum Singen? Gab es ein musikalisches Elternhaus? Gab es Frühförderung? Gab es da Zufälle, oder war alles geplant?
Also, meine Mutter ist sehr musikalisch, sie spielt Gitarre und es wurde in der Familie viel gesungen. Dann gab es die Überraschung, dass mein ältester Bruder zu den Regensburger Domspatzen gehen wollte. Die Familie meinte, das würde die „Familiendynamik“ total verändern. Aber er hat sich durchgesetzt… Ja, und mein erster Soloauftritt war mit dem Königsjodler des Bayerischen Liedermachers Fredl Fesl mit dem Witz, dass bei dem Jodler absichtlich alles falsch gesungen wird. Das hab ich so als fünfjähriger Knirps mit dem Mikro während einer Busfahrt gesungen…, schließlich folgte auch der mittlere Bruder im Knabenchor nach und der Domkapellmeister Ratzinger (der Bruder des Papstes) sagte damals zu mir, dem Sechsjährigen, na in 3 Jahren kommst du dann auch, und ich darauf: Nein, weil das Gekreische von diesen Kindern ist schrecklich. Da ist die restliche Familie erstarrt, und auf der Heimfahrt sprach niemand mit mir… aber nach drei Jahren war ich dann doch auch dabei. Stimmlage: Alt
Ihre älteren Brüder: Haben die auch einen musikalischen Beruf ergriffen?
Beide Brüder lieben Musik weiterhin und singen in verschiedenen Ensembles, aber es hat keiner einen musikalischen Beruf ergriffen.
Was hat man für den späteren Sängerberuf speziell im Knabenchor gelernt? Ehemalige Sängerknaben sagen oft, im Vom-Blatt-Lesen seien sie anderen überlegen gewesen …
…Ich denke, zum Knabenchor zu gehen, hat viele Vorteile. Das Vom-Blatt-Singen, die ganze musikalische Grundausbildung, das Fach Musik ist in der Schule ausgedehnter. Ein Instrument zu lernen. Auf Reisen sich auf neue Kulturen einzustellen. Auf der anderen Seite ist auch eine gewisse Gefahr. Wenn man gewohnt ist, sich zurückzunehmen, nach links und rechts zu hören, ist es fürs solistische Singen eine ziemliche Umstellung, jetzt Individuum zu sein, wenn man Solosänger werden will …
Wie war das bei ihnen mit dem Stimmbruch?
Üblich ist bei den Regensburgern mit dem Stimmbruch ein Jahr Pause. Zweites Instrument lernen, mehr Zeit für Sport oder Tanzkurs. Und man verbleibt im Verband. Nach dieser Pause singt man wieder vor und fängt als Männerstimme (das war bei mir gleich der Bariton) wieder an z.B. bei der Choralschola. Bei mir war der Stimmwechsel spät, ich war immer noch Knabenstimme, während alle anderen Klassenkameraden schon aus dem Stimmbruch draußen waren, da war ich so ein bisschen ein Exot. Da wieder gleichzuziehen war mir damals schon wichtig.
Sie haben ja auch eine andere Ausbildung abgeschlossen!
Ja, ich habe nach der Schule eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht und dann Betriebswirtschaft in Regensburg studiert. Nach einem Jahr wurde mir aber ein bissl langweilig und ich wollte dann einfach mal Gesangsstunden auf hohem Niveau haben. Hab dann Aufnahmsprüfungen an den Hochschulen in Augsburg und München erfolgreich bestanden, hab dann beides studiert. Wobei mir München das Doppelstudium mit Regensburg nicht erlaubt hat. Augsburg war da kulanter. Mein Betriebswirtschafts-Diplom hab ich dann 2009 gemacht, war dann fürs Musik- und Gesangsstudium inzwischen doch wieder in München und habe dort mein Studium 2010 abgeschlossen. Da war ich 28 Jahre alt.
Zu den prägenden Lehrpersonen: in München haben sie bei Edith Wiens studiert, eine renommierte Lied- und Konzertsängerin. Hat sie die Basics gelegt?
Ja, sicher, sie war sehr wichtig gerade in dem Prozess, sich vom Sängerknaben zu einem Individuum zu entwickeln. Ihr war dieses Konzert- und Liedrepertoire, auch die Alte Musik sehr wichtig. Dazu kam aber in München auch die August-Everding-Theaterakademie. Ich hab dort beide Zweige gemacht, Musiktheater und Konzert. Die haben dort mit uns tolle Opernproduktionen im Prinzregententheater mit dem Münchener Rundfunkorchester gemacht.
In London waren sie auch Schüler des legendären Rudolf Piernay? Der muss ja ein besonderes Charisma gehabt haben!
Ja, der ist über 70 jetzt, und er hat ein unglaubliches Wissen und ungeheuren Erfahrungsschatz über Stimmen, zu dieser Zeit war in Deutschland fast jeder Bass oder Bariton einmal bei Piernay. Auch ich hab Kurse bei ihm gemacht und mich auch wegen ihm entschlossen, nach London zu gehen …
Schließlich Dietrich Fischer-Dieskau. Kam er zu ihnen oder sie zu ihm?
Na, ich zu ihm! Ich hab mich in Schwarzenberg zu einem Meisterkurs bei ihm angemeldet. Man musste 10 Schubert-Lieder einsenden, da wurden dann welche ausgesucht, an denen man dann arbeiten sollte. Ich hatte gehört, dass Dieskau, sagen wir, sehr wählerisch sein soll – und da hab ich gleich 30 Lieder eingeschickt. Zurück gekommen ist eine Liste mit 4 Liedern – und keines war in meiner Dreißiger-Liste! Nach dieser ersten Begegnung hat er mich zu sich gerufen, er wollte regelmäßig privat mit mir arbeiten. Das war dann auch so die nächsten ca. 2 Jahre bis kurz vor seinem Tod. Wir haben regelmäßig gearbeitet, immer so drei, vier Tage hintereinander Er war wirklich Mentor für mich in dieser Zeit, suchte Repertoire aus und meldete mich immer wieder extern zu seinen Meisterkursen mit an – und ich wusste gar nichts davon. Ich hab mir dadurch keine Freunde gemacht, wenn ich da immer als Externer mitkam! Und er hat auch meinen Namen „an den richtigen Stellen untergebracht“ …
Das bringt mich zur nächsten Frage: Welche Faktoren spielen mit, dass eine Karriere starten kann: Glück, Zufall, die richtigen Lehrer, am richtigen Ort zur richtigen Zeit sein, dass das „früh flutscht“ …
Ich hab aber später angefangen. Ich bin sehr froh, dass ich vorher auch was anderes gemacht habe. Ich finde ja, vor allem Männerstimmen fangen oft „zu früh“ an. Ich finde, stimmlich, geistig, mental, intellektuell,… ist es besser, nicht zu früh anzufangen. Der Beruf ist so anstrengend, so „speziell“, dass es vorteilhaft ist, schon eine gewisse Reife zu haben und sich selbst schon einigermaßen „gut zu kennen“. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ich war sehr dankbar, dass ich erst „später“ angefangen habe. Dann sind aber Sachen schneller gegangen als bei einem, der mit 18 an die Hochschule kommt …
Man sagt manchmal von Dieskau-Schülern, dass sie so ähnlich klingen, wie der junge Dieskau seinerzeit geklungen hat … Wie ist das mit einem persönlichkeitsstarken Timbre heute? Einen Dieskau konnte man von einem Hermann Prey nach wenigen Sekunden unterscheiden. Heute: viele schöne Stimmen, aber „unverwechselbar“?
Das kann ich nachvollziehen. Etwas, bei dem man als Sänger immer aufpassen muss. Auch da hilft es, wenn man schon „etwas älter“ ist, aber ich glaube auch: Es ist eine typisch „deutsche“ oder „deutschsprachige“ Eigenart, dass man ständig vergleicht. Was grundsätzlich schade ist! Vielleicht ein blödes Beispiel: Ob jetzt ein BMW oder ein Mercedes besser ist, ist doch fast nur mehr vom persönlichen Geschmack abhängig! Bei Sängern ist das noch viel individueller! Viel interessanter als ständiges Vergleichen mit anderen Namen (“wie die Callas, wie die Schwarzkopf,…“) wäre doch sich damit auseinanderzusetzen, wie d e r oder d i e ist. Ohne den ständigen Vergleich mit
d e m oder d e r. Dafür muss der Sänger natürlich auch individuell was anbieten!
Wie ist in ihrer Karriere jetzt die Balance oder die Gewichtung. Sie haben begonnen mit viel Alter Musik. Was wird jetzt wie gewichtet: Oratorium, Lied, Oper,…?
Durch das Studium in der Theaterakademie in München lag in der Ausbildung der Focus bei der Oper. Man redet über die Opernpartien, über die Sänger, über die Idole, das ist der „normale“ Weg – und es heißt oft, von Liederabenden allein kann man nicht leben. Aber dann kamen die Einflüsse von Dieskau, oder das BBC Generation Artist Team, bei dem ich zwei Jahre war und meine Vorliebe für Lied: Das hat meine Karriere in Richtung Lied geschoben. Mit einer freischaffenden Opernkompanie in England, die Mozart-Opern in London und sonst in England in einer eigenen Chronologie (genau 250 Jahre nach der jeweiligen Uraufführung) herausbringt, mache ich den Guglielmo in „Così fan tutte“. Ich komme sicher auch wieder zur Oper zurück, aber im Moment ist es ungefähr so: 50% Liederabende, 25% Konzerte/Orchesterlieder, 25% Oratorium. Es hat auch strategische Gründe und ist eine Entscheidung, zusammen mit dem Label, dass das momentan der richtige Weg ist. Man muss ganz klar sagen, wenn man jetzt einen Mozart-„Conte“ aufnehmen würde, würden viel zu wenige eine Aufnahme kaufen. Anders ist es bei Liedern oder bei Alter Musik. Verkauft sich mehr, das wissen die Labels. Die Bartoli verkauft mit ihrem Repertoire wesentlich mehr als vergleichbare Opernsänger mit Opern. Man steht am Anfang auch unter gewissem Druck, Bekanntheitsgrad zu erreichen. Nächstes Jahr wird viel Bach kommen – Kantaten, u.s.w. Im September erscheint eine Bach-CD von mir. Dementsprechend kommen dann auch mehr Konzerte mit Barockmusik.
Studioaufnahmen oder Live-Mitschnitte: Was ist ihnen lieber?
Wenn ein Konzert oder ein Liederabend gut war, dann der Live-Mitschnitt, weil eine eigene Atmosphäre mitschwingt.
Bevorzugen sie bei Aufnahmen „Konzeptalben“ mit Motto und Übertitel und gedanklicher Klammer – oder einen Querschnitt mit einer Aneinanderreihung von „Hits“?
Das Schöne ist auf jeden Fall, dass man mit einer CD oder einem Liveabend eine Aussage treffen kann oder etwas anders machen kann, mit der Programmierung ein Statement abgeben kann, was in einem persönlich vorgeht. Da braucht‘s nicht NOCH eine Aufnahme mit Schumann-Heine-Liedern. Eine Gefahr besteht, dass wir dann alles nochmal „intellektualisieren“, das Lied als Kunstform sozusagen nochmal auf einen Sockel stellen, unverständlich werden und die Leute im Umgang damit eher abschrecken als in die Konzerte zu bringen. Mit Konzeptalben oder Konzeptprogrammen erreiche ich, denke ich, viel mehr Leute. So war es bei mir mit Konzerten und der CD „Heimat“. Überall auf der Welt leben Emigranten, Menschen mit Heimatverlust, die erreiche ich mit einem „Überthema“ emotional. Die intellektuelle Arbeit, die müssen w i r Interpreten vorher zu Hause machen, dann müssen wir aber verständlich bleiben oder wieder verständlich werden. Das Interesse für Kunst ist voll da. Die Museen in London sind voll mit jungen Leuten. Aber Liederabende, Literatur Poesie: da ist eine Barriere…
Die ideale Zusammenarbeit mit dem Liedbegleiter: Welche Faktoren spielen da eine Rolle?
Bei der Wahl eines Liedbegleiters spielen verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle. Zum einen ist es natürlich so, dass eine gemeinsame Basis bei der Ästhetik vorherrschen sollte. Viele meiner Kollegen schätzen es sehr, exklusiv mit einem Klavierpartner zu arbeiten, das bietet u.a. Sicherheit und zeitlich-effizientere Probenarbeit. Ich für mich hatte sehr früh beschlossen, dass das Zusammenspiel mit mehreren Pianisten mich sehr bereichert und immer wieder neue Inspiration gibt, die sich dann in meinen Interpretationen widerspiegelt und diese sich ständig verändern. Vertrauen mag wohl die Eigenschaftsein die am wichtigsten bei einem Liedbegleiter ist. Ihn buchstäblich im Rücken zu haben, benötigt eine gehörige Portion davon, einer, der dir „Flügel des Gesanges“ verleiht, um fliegen zu können. Ferner sollte man sich noch einigermaßen persönlich und menschlich verstehen, da man doch eine ganze Menge Zeit gemeinsam verbringt.
Wann kommen sie nach dem heutigen Liederabend in Ossiach wieder nach Österreich, nach Wien?
Nächste Woche bin ich für ein Konzert bei den Bregenzer Festspielen und Ende April/Anfang Mai 2019 für 3 Abende zur Schubertiade in Hohenems. In Wien ist derzeit leider nix geplant…
Wir bleiben hoffnungsvoll! Toi toi toi für den heutigen Liederabend und vielen Dank für das Gespräch!