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BELLOTTO-CANALETTO: Der Meister des täglichen Lebens

28.06.2018 | Feuilleton, Themen Kultur


Bernardo Bellotto, Selbstbildnis

BELLOTTO-CANALETTO

Der Meister des täglichen Lebens

Wer sich über das „Wien um 1760“ informieren will, wird keine bessere Quelle finden als jene großformatigen Gemälde, die Bernardo Bellotto, genannt „Canaletto“, in dieser Zeit gemalt hat. Er hat Wien – im Gegensatz zu seinen Aufenthalten in Dresden oder Warschau – nur kurz gestreift, aber seine unübersehbaren künstlerischen Spuren hinterlassen

Von Heiner Wesemann

Wenn zwei Künstler denselben Namen tragen, sind Verwechslungen und Missverständnissen Tür und Tor geöffnet. In der Kunstgeschichte ist der Fall „Canaletto“ wohl einer der berühmtesten dieser Art. Sowohl Antonio Canal (dieser zuerst) wie auch sein ebenso begabter Neffe Bernardo Bellotto verwendeten den Beinamen „Canaletto“. Bellotto, geboren 1721 in Venedig, hatte in der Werkstatt seines damals schon als Vedutenmaler hoch berühmten Onkels gelernt. Später trennten sich ihre Wege, nicht im Guten wohl – vermutlich hat es Canal nicht geschätzt, als unter einem Bild des Neffen in Turin erstmals die Signatur „Bernardo Bellotto detto il Canaletto“ erschien.

Dennoch machen es die beiden „Canaletti“ der Nachwelt mit der Unterscheidung nicht allzu schwer – sie ergibt sich aus ihren Sujets. Denn während der Schwerpunkt des Onkels Italien blieb – er ist der große Bild-Schöpfer Venedigs – und sich dann für ein Jahrzehnt nach England verlagerte, wo er seine Kunst auf eine gänzlich andere Welt projizierte, so gibt es im Leben des Neffen drei Städte, denen er vordringlich seine Kunst widmete: Dresden, Wien und Warschau. Und für Dresden und Warschau hat er retrospektiv mehr geleistet, als je einem anderen Künstler möglich wurde: Als man daran ging, diese beiden Städte nach dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs wieder aufzubauen, waren es in beiden Fällen die Bilder von Bellotto-Canaletto, die dabei halfen, detailgetreu die alte Pracht wieder herzustellen.

Wien hatte das glücklicherweise nicht nötig. Diese Stadt verdankt den Werken Bellotto-Canalettos bis heute Einblicke in die Epoche Maria Theresias, die als Dokumente unübertroffen sind. Dabei hielt er sich nur kurz und gewissermaßen „vorübergehend“ in der Stadt auf – er kam zu Beginn des Jahres 1759, von Dresden kommend, auf der Flucht vor dem Siebenjährigen Krieg, arbeitete hier das ganze Jahr 1760 und reiste schon im Jänner 1761, mit einem Empfehlungsschreiben Marias Theresias versehen, in Richtung München weiter.

Es ist nicht bekannt, in welcher Eigenschaft Bellotto-Canaletto in diesen knapp zwei Jahren die 17 unschätzbaren Gemälde von Wien und Umgebung schuf, jedenfalls war er nicht, wie in Dresden bei König August III. und später wieder in Warschau bei Stanislaw II. August bei Hofe angestellt (dort starb er dann unvermutet 1780, noch nicht 60 Jahre alt). Hier wie dort jedoch leistete (also wohl auch in Wien) eine Art „Camera obscura“ Hilfestellung beim Schaffen seiner bewundernswert realistischen Stadtansichten, ein Apparat, mit dessen Hilfe Einzelteile des Gemäldes in einem gezeichneten Gitternetz vorgearbeitet und dann zu dem Bild zusammengefügt wurden.

Man kann annehmen, dass in Wien neben den Fürsten Liechtenstein und Kaunitz Maria Theresia selbst zu Bellotto-Canalettos Auftraggebern zählte, zumindest was die Bilder von Schönbrunn und Schlosshof angeht. Die Werke waren zur Ausstattung in den eigenen Schlössern gedacht (sie gelangten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die öffentliche Galerie) und fielen offenbar zur vollen Zufriedenheit der Kaiserin aus. Schließlich schrieb sie in ihrem Empfehlungsschreiben über Canaletto, dass er sich in Wien sehr gut aufgeführt habe („Il s’est conduit ici tres bien“) und dass seine Bilder ihr großes Vergnügen bereitet hätten („et nous at fournit plusieurs pieces des ces ouvrages tres belles“). Freude hatte sie zweifellos daran, dass er „ihr“ Schloss Schönbrunn in zwei Ansichten schuf, die bis heute vermutlich die meist reproduzierten dieses Bauwerks sind. Bellotto-Canaletto malte die Vorderfront mit ihren Seitengebäuden (die heute nahezu unverändert aussieht, nur dass keine Kutschen mehr vorfahren), und er malte die Gartenseite, wobei die kunstvollen Blumenrabatte auf der linken Seite des Bildes glänzend zur Wirkung kommen.

Wenn der Auftraggeber es sich leisten konnte, schuf Bellotto-Canaletto gerne mehrere Ansichten ein- und desselben Motivs: Die Liechtensteins, die da keine Probleme hatten, ließen ihr „Gartenpalais“ in der Rossau (eine bescheidene Bezeichnung für einen Palast, der noch heute eines der schönsten Gebäude Wiens ist) vom Garten her und von der Seite malen. Das von Prinz Eugen errichtete Schlosshof im Marchfeld war ein Lieblingsschloss Maria Theresias (weshalb dort später die Hochzeit ihrer Lieblingstochter Marie Christine stattfand): Dieses malte Bellotto-Canaletto gleich dreimal, die imposante Gartenseite, die das Schloss im Hintergrund zeigt, kleiner als der riesig wirkende Teich im Vordergrund, die anmutigere Hofseite und auch noch eine Seitenansicht von Norden.


Foto: KHM

Zu besonderer Bekanntheit gelangte auch Bellotto-Canalettos „Wien, vom Belvedere aus gesehen“, nicht nur dank der Meisterschaft, mit welcher er die Gartenanlagen des Schwarzenberg-Palais und des Belvedere zwischen Karlskirche und Salesianerkirche malte, sondern auch, weil dieses Bild als Ikone der Wien-Malerei gilt und außerdem als „eiserner Vorhang“ des Theaters in der Josefstadt wohl schon von Hunderttausenden Wiener Theaterbesuchern bewundert wurde …

Was Bellotto-Canalettos Bilder von Wiener Plätzen betrifft, so gibt es nur einen in zwei Perspektiven: Die Freyung von Südosten zeigt die Schottenkirche im Hintergrund, wo sie gleichsam lebhaftes Markttreiben beschließt. Die Freyung vom Nordwesten wird in der linken Hälfte ganz von der Fassade ebendieser Schottenkirche beherrscht, aus der sich gerade eine feierliche Prozession bewegt und einzelne Menschen andächtig auf Knien davor liegen, während die rechte Seite des Bildes vergleichsweise weniger belebt erscheint.

Auch seine anderen Wiener Plätze – den Lobkowitzplatz, den Mehlmarkt (heute der Neue Markt) mit der Kapuzinerkirche ganz links, den Dominikanerplatz mit der Kirche links im Bild, den Universitätsplatz mit dem halb im Schatten liegenden (!) Universitätsgebäude im Zentrum und der Universitätskirche rechts – sind belebt und lassen sich in ihren zahllosen Details des Volkslebens im weitesten Sinn als Kulturgeschichte des Maria Theresianischen Zeitalters „lesen“.

Da sind die feinen Herrschaften in ihren luxuriösen Kleidern und die „armen Leut’“, die Marktfrauen und die Mönche, die Professoren und die Studenten, die Soldaten oder die Gärtner in Schönbrunn. Da wird gearbeitet und geplaudert, kutschiert und spazieren gegangen, gespielt und gegafft. Kurz, Bellotto-Canaletto ist nicht nur der große Meister der „Stadtszene“, sondern auch der Meister des täglichen Lebens, des vollen Menschenlebens einer Stadt.

Bellotto-Canaletto hat noch, um die Aufzählung seiner 17 „Wiener Bilder“ komplett zu machen, das Palais Kaunitz in Mariahilf (das heute nicht mehr existiert) in einer Seitenansicht gemalt und, wie im Fall der Liechtenstein-Bilder, den Auftraggeber als Figur in das Gemälde integriert. Schließlich schuf er noch eine Ansicht der so genannten „Ruine Theben“. Was wie ein „Capriccio“ wirkt, die idealisierten erfundenen barocken Kompositionen meist um pittoreske Ruinen, ist tatsächlich ein Stück Realität: Bellotto-Canaletto malte die Reste der Burgfestung von Theben, die am Zusammenfluss von March und Donau im Bereich des heutigen Bratislava liegt. Ganz im Hintergrund ist winzig klein Schlosshof zu erkennen.

Bellotto-Canalettos Bilder, von denen sich die meisten in Wien befinden und zu den Schätzen des Kunsthistorischen Museums zählen (die „Karlskirche“ ist in London gelandet), haben nicht nur die Zeitgenossen (wie Maria Theresias Brief zeigt), sondern vor allem die Nachwelt begeistert, als sie allgemein zugänglich wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die „alte“ Stadt vielen Neuerungen wich, begann die besondere Schätzung Bellotto-Canalettos als Chronist einer „Welt von gestern“: In seine Bilder einzutauchen, kommt einer Zeitreise gleich.

 

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