„Tristan und Isolde“ von Richard Wagner am 6. August 2024 bei den Bayreuther Festspielen/
BAYREUTH/ Festspielhaus: TRISTAN UND ISOLDE am 6. 8.2024
Gesang von Nachtgeweihten
Copyright: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
In der Neu-Inszenierung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson verwandelt sich die Landschaft Cornwalls allmählich in ein Trümmerfeld unterschiedlichster Utensilien (Bühne: Vytautas Narbutas). Zunächst beherrschen Seile und Nebelkerzen im ersten Akt die Szenerie, man denkt unwillkürlich an Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“. Isolde trägt ein beschriftetes Schwanenkleid, das riesige Dimensionen annimmt (Kostüme: Sibylle Wallum). Einen Schiffsrumpf kann man hier nur erahnen. Im zweiten Akt werden psychologische Zusammenhänge minuziös hinterfragt, denn das Paar Tristan und Isolde kann zunächst gar nicht zusammenkommen. Schließlich kommt es doch noch zu einer leidenschaftlichen Umarmung, manche Assoziationen werden aber von der Regie nicht genügend hinterfragt. Trotzdem gelingt der Spannungsaufbau in elektrisierender Weise – vor allem dann, wenn Tristan schließlich zum Opfer Melots wird, nachdem er auch von König Marke entdeckt wurde. Das endlose Leiden des sterbenden Tristan berührt die Zuschauer im dritten Aufzug mit nie nachlassender Intensität. Und Isolde hat zuletzt auch noch einmal einen großen Auftritt, obwohl die Distanz des Paares zueinander nicht aufgelöst werden kann. Man erkennt zudem die Uhr aus Stefan Herheims „Parsifal“-Inszenierung, Gemälde von Caspar David Friedrich sowie einen Romeo-und-Julia-Balkon inklusive antiken Skulpturen. Dem fast poetischen Höhenflug des Beginns folgt ein jäher Absturz ins Bodenlose – eine Welt liegt in Trümmern. Dies deutet auch Tristan an, der zornig mit der Faust einen Spiegel durchschlägt. Mit Ernst Bloch kann man sagen, dass es sich bei Tristan und Isolde um „Nachtgeweihte“ handelt – und so ist es auch inszeniert. Es ist ein „Adagio der Nacht“ im riesigen Spiegel der Innenräume eines Schiffes. Manchmal denkt man auch an die „Titanic“. Die innere und emotionale seelische Aufladung der Figuren ist Arnarsson wichtig – und dies kommt gerade im dritten Akt auch durchaus über die Rampe. Tristan und Isolde wollen an den wahren Punkt aus der Vorgeschichte herankommen, was ihnen natürlich nur bruchstückhaft gelingt. Die Todessehnsucht ist auch bei Arnarsson der entscheidende Moment. Bei Isolde gelingt der Einblick in die menschliche Psyche am besten, weil Camilla Nylund in ihrer Rolle oftmals aufgeht. Sie lebt mit gewaltigen Emotionen und seelischen Höhenflügen. Aber es ist eben eher Schopenhauer als Nietzsche. In Nebelkerzen wird im ersten Akt ein großes Schiff angedeutet, das dann im zweiten und dritten Akt als Innenraum gezeigt wird. Bei Arnarsson ist Tristan der Depressive, wogegen Isolde vergeblich ankämpft. Das kommt ganz gut zum Ausdruck. Er möchte im Namen der „Sitte“ das Richtige tun – und scheitert daran. Allerdings könnte noch genauer gezeigt werden, wie die beiden den gemeinsamen Weg in den Tod finden.
Musikalisch ist diese Neuproduktion wesentlich ergiebiger. Das Orchester der Bayreuther Festspiele musiziert unter der inspirierenden Leitung des russisch-amerikanischen Dirigenten Semyon Bychkov sehr durchsichtig und klangschön, wobei viele Details leuchtkräftig hervorblitzen. Das Thema der Liebessehnsucht im Vorspiel kommt trotz getragener Tempi leuchtkräftig zum Ausdruck. So bricht diese Musik der Sehnsucht, die immer neue Steigerungen erreicht, in ihrem Höhepunkt zusammen und sinkt zurück in die scheue Phase des zaghaft werbenden Motivs. Auch das elegische Orchestervorspiel zum dritten Akt wirkt hier ausgesprochen sphärenhaft und bewegend. Die Zertrümmerung der Form auf der Bühne findet ihre Entsprechung im Orchestergraben, wobei die thematischen Zusammenhänge nicht untergehen. Erregung und starke Gefühle geraten aber nicht außer Kontrolle, doch die revolutionäre Weiterentwicklung dieser Musik bleibt immer spürbar. Der harmonische Unendlichkeitsdrang gewinnt hier an Fahrt, reisst die Sängerinnen und Sänger unmittelbar mit. Vor allem Camilla Nylund als Isolde und Andreas Schager als Tristan können davon profitieren (leider kämpfte Andreas Schager im dritten Aufzug mit einer Indisposition, so dass Tilmann Unger kurzfristig und erfolgreich für ihn einsprang). Die chromatisch bedeutsame Erweiterung der Harmonik ufert nicht aus, das „Liebesmotiv“ zeigt viele Klangfarben. Wie sich dann aus der Keimzelle dieses Motivs die Musik entfaltet, kann man dabei gut nachvollziehen. Kurwenals Spottgesang unter Tristans Leuten in D-Dur erhält dank der ausdrucksstarken Gestaltung von Olafur Sigurdarson markante Züge. Camilla Nylund und Andreas Schager machen bereits bei ihrem ersten Auftreten deutlich, dass es sich hier um eine gesellschaftlich verbotene Liebe handelt. Sie kämpfen aber auch darstellerisch immer wieder packend gegen dieses Verbot an, selbst wenn es zuweilen gesangliche Grenzen gibt. Isoldes Begegnung mit dem als Tantris getarnten Tristan erhält hier eine bemerkenswerte Klarheit. Die vier musikalischen Charakteristika der e-Moll-Erzählung stechen nuancenreich hervor. Das Siechtumsmotiv mit seiner abwärtsgerichteten Chromatik leitet in geheimnisvoller Weise zur Entlarvung des Tantris als Tristan über – von As-Dur nach A-Dur vollzieht sich ein durchsichtiger Klangfarbenwechsel. Sehr gut kann ferner Christa Mayer die seelische Zerrissenheit von Brangäne verdeutlichen. Selbst ihr Trostversuch in Es-Dur besitzt noch etwas Ängstliches, Verzweifeltes. Eine famose Leistung bietet wie schon erwähnt Olafur Sigurdarson als mit seiner Verzweiflung kämpfender Kurwenal, der Tristan nicht retten kann. Günther Groissböck kann dem Klagemotiv König Markes eine ergreifende Intensität verleihen – expressive Steigerungen gewinnen hier eine dynamische Klarheit und Leuchtkraft.
In weiteren Rollen überzeugen noch Birger Radde als Melot, Daniel Jenz als Hirt, Lawson Anderson als Steuermann und Matthew Newlin als junger Seemann. Eine ausgezeichnete Leistung zeigt ferner der Festspielchor (Leitung: Eberhard Friedrich). Jubel und viele „Bravo“-Rufe, wobei Camilla Nylund den stärksten Applaus erhielt.
Alexander Walther