Das Markgräfliche Theater von innen: C: Andrea Masek
BAYREUTH/Markgräfliches Opernhaus: Deutsche Erstaufführung der Gluck-Oper ANTIGONO
Eine veritable Wiederentdeckung!
6.7. 2019 – Karl Masek
Seit 2012 ist das Markgräfliche Opernhaus, eines der bedeutendsten erhaltenen Beispiele barocker Theaterarchitektur, UNESCO-Welterbe. Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten zwischen 2013 und 2018 steht der prachtvolle und akustisch wunderbare Theaterraum wieder für Aufführungen zur Verfügung.
Die 7. Ausgabe der Internationalen Gluck-Festspiele (27.6. – 14.7. 2019), richtet den Blick auf „Neue Klänge für Europa“. Und Christoph Willibald Gluck, der Oberpfälzer, war in der Tat ein Opernreformator, er revolutionierte die Musik mit stets auf Erneuerung zielender Phantasie. Schon für Mozart, aber später vor allem für Berlioz und Wagner wurde er „…ein einsamer Leitstern einer Epoche…“.
Für den Autor dieser Zeilen blieben Glucks Werke bei aller Schönheit und Eigenständigkeit lange Zeit auch ein wenig langatmig durch die vielen Dacapos in den Arien und damit eine etwas formelhaft empfundene Kompositionsweise. Wobei „Orpheus und Eurydike“ immer ausgenommen blieb. Auf musikalisches Schatzgräbertum immer neugierig, wollte ich mir allerdings die 1756 in Rom uraufgeführte Opera seria nicht entgehen lassen, zumal es sich um die Deutsche Erstaufführung handelte!
Die Raritätenjagd zahlte sich aus. Das war eine veritable Wiederentdeckung! Über 20 Arien – und keine Spur langatmig! Ein gewaltiges Werk, voll kühner, ausdrucksgeladener Musik. „Gluck, ein wahres Glück für die Musikgeschichte…“, so Valer Sabadus , der Sänger des „Alessandro“, voller Begeisterung im Programmfolder.
Die Handlung dieser Rarität in Kurzfassung: Makedoniens König Antigono (Mauro Peter) steht vor der Hochzeit mit der ägyptischen Prinzessin Berenice (Anna Kasyan). Der Verdacht, sein Sohn Demetrio (Samuel Marino) sei auch in die schöne Berenice verliebt, nagt in ihm. Wie immer, Liebe, Eifersucht und politische Konflikte ergeben eine (barocke) Opernmelange. Der König von Epiros, Alessandro, politischer Rivale, ( Valer Sabadus) ist als abgewiesener Verehrer Berenices doppelter Feind, aber zugleich mit Antigonos Tochter Ismene (Francesca Lombardo Mazzulli) verlobt. Die Ingredienzien barocker Oper folgen. Antigono wird gefangen, der Sohn soll verbannt werden. Dieser widersetzt sich der Verbannung, um den Vater zu retten. Dem umsichtigen Kapitän im Dienst Alessandros, aber auch Demetrios‘ Freund, Clearco, (Terry Wey) gelingt die politisch – militärische Wende und die Befreiung Antigonos.
Mauro Peter, Samuel Marino, Anna Kasyan, Francesca Lombardo Mazzulli, Valer Sabadus, Terry Wey vor dem Original Bühnenhintergrund: C: Andrea Masek
Lieto fine. Der Vater, froh darüber, wieder aus der Gefangenschaft befreit worden zu sein, verzichtet großmütig auf Berenice, überlässt dem Sohn die Prinzessin, Alessandro wird jedenfalls Ismene heiraten können, Clearco ist der Friedensbringer – und alles geht gut aus.
Das alles mit Glucks genialer musikalischer Unterlegung. Die Krone des Abends gebührt dem Dirigenten Michael Hofstetter. Er war Seele, Kraftzentrum des Abends und nimmermüder Motor des Geschehens. Er ließ die Emotionen hochkochen, war mithin weit mehr als ein souveräner und kompetenter Sachwalter eines Operninnovators. Ungeahnte Farbigkeit war vom Orchester zu vernehmen. Er sorgte mit ungeheurem Drive für vorwärtsdrängendes Accellerando, war gleichzeitig von sängerfreundlicher Fürsorge, dämpfte immer dort punktgenau, wo es für die Sänger nötig war. Ihm aus der Nähe zuzusehen, mit welcher Emphase er diese Vorstellung leitete, war die reinste Freude.
Es gelang eine Ensembleleistung (fast) aus einem Guss. Ein Tenor, drei Counters, zwei Soprane waren aufgeboten. Wobei zu Glucks Zeiten auch die beiden Frauenrollen von Kastraten gesungen worden wären …
Mauro Peter war mit noblen Tenorfarben der eifersüchtige, schließlich edelmütige makedonische König Antigono. Der Mozarttenor und Schubert-, bzw. Schumann-Spezialist setzte seine Stimme stilvoll und gerundet ein, neben der sicheren Höhe überzeugte auch die gehaltvolle Mittellage und die sorgfältige Textbehandlung.
Die georgische Sopranistin Anna Kasyan stürzte sich mit Tollkühnheit in die heftige Emotionalität der umfangreichen Rolle der vielumworbenen, beinahe in den Wahnsinn getriebenen, ägyptischen Prinzessin Berenice. In der Arie „Es ist genug, ich ergebe mich“ erinnerte sie mich in der melancholisch-dunklen Tönung der weichen Sopranstimme an die unvergessliche Ileana Cotrubas (Und das ist als ganz besonderes Kompliment gemeint!). In ihrer letzten Arie mit drohendem Wahnsinn ging sie mit explosiver Hochdramatik an mentale Grenzen.
Demetrio war der südamerikanische Natursopranist Samuel Marino. Er ist selbst unter den Countern ein Exote. Hier war der Gesamteindruck ziemlich ambivalent. Der opferbereite Jüngling betörte einerseits mit zauberhaften Schwebetönen und leicht hingetupften Knabenstimmen-Staccati. Der junge Mann hat auch Tanz studiert – und es fällt einem prompt der Ausdruck „gesungener Spitzentanz“ ein. Wenn es in die wahnwitzige Höhenlage samt irren Koloraturen geht, wenn es Stellen gibt, die mehr als gesäuseltes piano erfordern, häufen sich jedoch unbewältigte Passagen und etliche steife, distonierte Töne. Mit forciert „entzückendem“ Auftreten war er dennoch Liebling des Auditoriums. Der „Merker vom Dienst“ hatte den Kritikerdaumen aber eher nur in der „Waagrechten“…
Mit schönen Stimmen, unfehlbarer Intonation und fabelhaftem Stilempfinden gaben die weiteren 3 Protagonist/innen dieser Erstaufführung musikalischen Glanz.
Die Mirella-Freni-Schülerin Francesca Lombardi Mazzulli war die zwischen den feindlichen Lagern navigierende Königstochter Ismene. Ihr ausdrucksstarker jugendlich – dramatischer, aber auch zu cremigen Lyrismen findender Sopran hatte keinerlei Spinto-Schärfen und hob sich gut von jenem der Anna Kasyan ab.
Valer Sabadus sang den Alessandro mit nobler Haltung und sinnlichen Farben seines dunkler gewordenen Countertenors. Souverän setzte er seine Koloraturen. Mit all seinem speziellen Können ließ er die Stimme „legatissimo“ strömen. Die Rezitative hatten Prägnanz.
Terry Wey war Clearto, der Umsichtige, der Kapitän & Adjudant. „Wer sein Handwerk versteht, der bewahrt kühlen Kopf“, so lautet der übersetzte Text einer seiner Arien. Und genau so sang der Altus. Perfekt, kontrolliert, immer, weil mit kühlem Kopf, alles im Griff behaltend, wenn andere Gefühlsexplosionen ausgesetzt oder dem Wahnsinn nahe sind. Ihm, der letztlich für das Happyend sorgt, gebührt: Beförderung!
Das Händelfestspielorchester Halle wuchs dank dem Wirken des großartigen Dirigenten Michael Hofstetter über sich hinaus, spielte mit Totaleinsatz und trug seinen Teil dazu bei, dass diese Erstaufführung zu einem umjubelten Erfolg wurde.
Schlussanmerkung des Wiener Gastes: Wäre doch eine gute Idee, das so spät wiederentdeckte Meisterwerk auch im Theater an der Wien im Rahmen des Zyklus „Konzertante Oper“ als „Wiener Erstaufführung“ hören zu können!
Karl Masek