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BAYREUTH / Festspiele: SIEGFRIED

14.08.2014 | KRITIKEN, Oper

Bayreuther Festspiele.: SIEGFRIED – 13.8.2014

Unbenannt
Mirella Hagen (Waldvogel). Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

 Der „Siegfried“ verbleibt beim F.Castorf-Ring-Inszenierung zunächst in der ‚realsozialistischen‘ Sowjetunion. Mimes Schmiede, ein bulliger Containeranhänger steht vor der Riesenkulisse der in Stein gehauenen ‚Väter des Sozialismus‘, den Köpfen von Marx, Lenin, Stalin und Mao Tsetung, wobei diese analog zu den am Mount Rushmore eingehauenen vier US-Präsidenten erscheinen. Die Felsenwand kann auf Stegen und auf verschiedenen Ebenen begangen werden, was auch besonders von Siegfried, der sich als flotter Bergsteiger erweist, getan wird. Castorf hat bei den Siegfried – Mime-Szenen eine 3. Person hinzuerfunden, die wie ein Hund mit einer Leine um den Hals am Wagen festgebunden ist und als eine Art sozialistischer Sklavenarbeiter in der Schmiede Akkord arbeitet, so bei der Ankunft des Wanderers alle Utensilien im Wagen verschwinden läßt. Dazu bietet er sich zu weitergegebenen Demütigungen seitens Mime an, vollzieht und ahmt Siegfrieds Schlagbewegungen beim Schmieden mit nacktem Oberkörper nach und mutiert im 3. Akt zum köstlichen Kellner des Wanderers.- Die Schmiedemusik ertönt aus dem Graben exquisit ausgefeilt, sehr rhythmisch und dynamisch. Der schroffe Gegensatz dazu ist die Wanderermusik bei der Rätselszene, die stufig sich aufbauend wie erzählend, fast träumerisch, gespielt wird und unter Dirigent Petrenko große Bögen baut.

 Im 2.Akt dreht sich die Bühne (A.Denic) und zeigt Details vom Berliner Alexanderplatz wohl kurz vor der Wende. Hier lümmelt Siegfried beim Waldweben an einem Lichtermast und stochert im Plastikabfall herum,was quietschende Geräusche erzeugt. Dann gelingt ihm sein Hornmotiv doch noch, mit dem er den Waldvogel betört. Dieser mutet wie ein großer pfauenartiger Vogel Greif an, worunter sich eine Frau verbirgt, die Siegfried ganz sexy umgarnt. Der Drache Fafner stellt sich wieder als ein Gangster aus dem Rheingold heraus, und wird von Siegfried final mit einem MG erschossen, während Mime durch das frisch geschmiedetes Schwert daran glauben muss. Hier erscheint alles postsowjetisch verstaubt.- Petrenkos Detailarbeit zeigt sich auch wieder bei den kleinen Szenen wie der des Brüderpaars Alberich – Mime, die hoch virtuos und ganz avantgardistisch daher kommt und hier auch besonders durchgehört  mit spitzigen Holzbläsern präsentiert wird.  

 Die Erda-„Niederfahrt“ wird als eine Art One-night-stand geschildert, mit einem völlig fertigen rauchenden und trinkenden Wanderer, der sich mit der aufgestilten Erda am Alex Spaghetti reinzieht, und als diese dazu bereit ist, es ihm ‚ganz speziell‘ zu besorgen, steckt der Kellner dem Wanderer einen Zettel zu mit einem neuen Termin mit Siegfried am Mount Rushmore.- Musikalisch ist der Bruch nach Wagners späterer Wiederaufnahme der Komposition im 2. Akt sehr gut vernehmenbar. Erdas und Wanderers Musik erscheint kompromissloser düsterer, und so wird sie auch durch das phänomenale Blech gespielt und wie auf einem Geschwindigkeitsparcour wild herausgestellt.

 Die Begegnung Siegfried – Wanderer findet ohne dessen Speerzertrümmerung auf der obersten Zinne statt, und Siegfried findet Brünnhilde dann unter großen Plastikballen verborgen. Während der Erweckung wandeln sich die Marxisten-Leninisten-Köpfe quasi in ihr Negativ, sodass sie ganz schwarz mit gespenstischen Umrissen wirken. Brünnhilde ersteht in einem schönen folkloristisch imaginierten Kleid /Adriana Braga Peretzki, das sie aber zur finalen Vereinigung mit Siegfried noch mal in ein weißes, ihr eher nicht so gut stehendes, wechseln muß. Dazu hat sich die Szene wieder auf die andere Seite des Alex‘ verlagert. Gegen Ende ziehen bedrohlich einige Krokodile auf die Vorderbühne, Brünnhilde stopft einem geistesgegenwärtig einen Sonnenschirm ins Maul, ein anderes Krokodil hat bereits den Waldvogel verschlungen, der an einer Glitzerstange Table tanzte. Siegfried zieht ihn wieder aus dem Krokodilsmaul heraus, Umarmung mit Brünnhilde, aus, Ende.

Diese Provokation Castorfs lassen sich die Altwagnerianer nicht gefallen und buhen heftig.- Im Orchester nimmt Petrenko die Erweckung nicht übermäßig langsam aber mit den ‚richtigen‘ Prononcierungen und Akzentuierungen. Die dabei aufgeführten Themen geben sich, auch durch die feinst gestalteten Übergänge, quasi die Klinke in die Hand. „Leuchtende Liebe – lachender Tod“ wird durch die Krokodilsszene noch nachgerade ironisiert oder gar persifliert, was aber auch durch die tagzugewandte leichtfüßige, gar nicht todernste Interpretation Petrenkos der weitsprüngigen Finalmusik fast beglaubigt wird.

 Der Waldvogel ist in der prägnanten wortdeutlichen Gestaltung Mirella Hagens und ihres angenehm durchdringenden Soprans ein Pluspunkt dieser Aufführung. Castorf scheint sich ja auch nicht zu scheuen, Frauen mal schräg zu inszenieren, wenn er Erda z.B.stundenlang bei der Perückenwahl auf Video zusieht. Nadine Weissmann singt sehr eigen-timbriert und mit farbreichem Ausdruck. Auch der Fafner Sorin Coliban passt bestens in sein Konzept, etwas schmierig mit schönem warm hingeworfenem Baß beim Todesgesang. Oleg Bryjak ist wieder ein temperamentvoller Alberich mit tollem Bariton, und Burkhard Ulrich als Mime ein flexibler Tenor, der lange schlanke Phrasen schönst auf Linie singen kann. Einen Wanderer der Sonderklasse stellt Wolfgang Koch dar, der durch alle Register singend changiert und auch szenisch unheimlich anpassungsfähig ist. Catherine Forster als Brünnhilde möchte man immer wieder gern zuhören, da es ihr gelingt, mit ihrem anmutig timbriertem Sopran text- und gefühlsverständlich herüberzukommen. Wenige hohe Töne setzt sie vielleicht eine Idee zu tief an. Aber insgesamt und im Duett mit Siegfried gewinnt sie zusehends an Format. Der Wotanenkel zeigt sich hier von seiner charmantesten Seite. Lance Ryan hatte heute einen tollen Tag, und es gelang ihm nahezu alles. Sein manchmal vielleicht etwas trocken wirkender Tenor, den er aber immer schnell erblühen lassen kann, trägt ihn quasi durch die gigantische Partie; mit buntbesticktem Wams und Kette ist er auch eine angenehme Erscheinung, die er mit exzellenten Spitzentönen ganz waghalsig verkörpert.         

 Friedeon Rosén

 

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