Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Batzdorf/Schloss: XXI. BAROCKFESTSPIELE

Batzdorf/Schloss: XXI. BAROCKFESTSPIELE – 23.8.-1.9.2013

bart
Schloss Batzdorf

Hoch über dem Elbtal, zwischen Dresden und Meißen liegt das verträumte Renaissance-Schloss Batzdorf. Wie ein Phönix aus der Asche erstand es nach Fehlnutzung, Verschleiß und Verfall durch Mut und Initiative von Künstlern, insbesondere Musikern, und einer Bürgerinitiative wieder neu. Jetzt bietet es einen gepflegten Eindruck, der die Romantik vergangener Zeiten in den Mittelpunkt rückt, auch neuer Kunst eine Heimstatt bietet und neben einer schönen Aussicht auf die liebliche Landschaft, auch immer wieder auf besondere musikalische Ereignisse.

 Die für ihre Qualität und authentische Wiedergabe Alter Musik berühmte Batzdorfer Hofkapelle ist hier zu Hause und veranstaltet in diesem Jahr nun schon ihre XXI. Barockfestspiele mit besonderen Veranstaltungen von erlesener Kammermusik bis zur „Weltpremiere“ einer, aus frühen Kantaten Händels neu zusammengestellten, Händel-„Oper“.

 Da im Festsaal die „Kulissen“ für die Händel-Oper, die fast jeden Tag gespielt wurde, aufgebaut waren, mussten die Kammermusikveranstaltungen in die „Tonne“, das ehemalige Weinkeller-Gewölbe, ausweichen – ein ungewohnter, aber reizvoller Ort.

 BRITTA SCHWARZ SINGT DIE „WINTGERREISE“ MIT HAMMERKLAVIER-BEGLEITUNG – 29.8.

 Zu einem der kammermusikalischen Höhepunkte gestaltete sich der Abend (27.8.) mit Franz Schuberts „Winterreise“, einmal nicht von einem Mann, der dem verzweifelten Wanderer entspricht, sondern von einer Frau gesungen, Britta Schwarz, deren Namen jeder Liebhaber Alter Musik kennt.

 Ihre warme Alt-Stimme ist wie Samt und von besonderer Klangschönheit. Obwohl sie über eine sehr gute Artikulation verfügt, lag bei ihr das Besondere auf der musikalischen Seite des Liederzyklus, der neben der „Schönen Müllerin“ als Höhepunkt dieser Gattung und des Kunstliedes gilt. Deshalb ist die „Winterreise“ nicht nur bei Sängern, sondern auch bei Sängerinnen so beliebt. Schubert schrieb sie für „eine Singstimme und Klavier“, legte sich also nicht auf eine bestimmte Stimmlage fest. Deshalb wurde wie von nahezu allen bedeutenden Liedsängern von Tenor über Bariton und Bass interpretiert, und, obwohl der Text eindeutig die Gedanken und Stimmungen eines jungen Mannes ausdrückt, auch von Sängerinnen mit Sopran, Mezzosopran oder Alt gesungen.

 Britta Schwarz verfügt über so viel Musikalität und künstlerisches Gestaltungsvermögen, dass man immer wieder, vor allem in den lyrischen Passagen, fasziniert und gebannt war. Begleitet wurde sie von Michael Schönheit, Organist am Leipziger Gewandhaus und Domorganist in Merseburg, an einem gut restaurierten, klangvollen originalen Hammerflügel der Schubertzeit, gebaut zwischen 1820 und 1825 von dem Wiener Klavierbauer Franz Beyer, also 2 Jahre, bevor Schubert die Vertonung der 24 Gedichte von Wilhelm Müller (1827) beendete und Wilhelm Müller starb.

 Es gab wunderbare Momente. Singstimme und Hammerflügel harmonierten über weite Passagen „wie ein Herz und eine Seele“, so dass die menschliche Stimme mit dem Klang des Hammerklaviers verschmolz. Beide waren gleichberechtigte Partner. Während Britta Schwarz die Gedanken und Gefühle, Verzweiflung und Hoffnung mitteilte, untermalte Michael Schönheit am Hammerflügel die jeweilige Situation oder Stimmung tonmalerisch, wie das Knurren und Bellen der Hunde oder das Klirren der winterlichen Kälte. Auf dem Hammerflügel kamen diese Episoden noch eindringlicher zur Wirkung als auf einem modernen Konzertflügel.

 EIN MUSIKALISCHER EXKURS AM VIRGINAL – 2.9.

 Mit einem Stück von Thomas Tomkins (1572-1656), “A sad Pavan for these destracted times „February 14, 1649“ dem Datum, an dem Karl I. von England am Ende des englischen Bürgerkrieges enthauptet und das „Goldene Zeitalter der englischen Musik“ beendet wurde, denn die Puritaner geboten nur noch Glauben und verboten alle Musik, begann Ludger Remy, Spezialist für Alte Musik, einen Nachmittag am Virginal, einem Nachbau von 2005 eines rechtsspielbaren flämischen Originals um 1610 – es gibt auch linksspielbare und mittig spielbare).

 Im Fokus stand die „Melancholia“ der englischen Virginalisten, neben Tomkins auch Giles Farnaby (1560–1620), der vor allem Küster und nebenbei Musiker war, Peter Phillips (1560-1628), der aus England nach Holland floh und in Den Haag verhaftet wurde wegen angeblicher „baptistischer Verschwörung“ gegen Elizabeth I., und William Byrd (vermutlich 1543-1623), der in England bleiben und sogar katholische Messen schreiben durfte.

 Aufgeheitert wurden diese ernsten, ganz auf “Polyphonie bis zum Abwinken“ mit vielen Varianten zwischen laut und leise bei nur einem Register des Virginals konzentrierten Stücke durch einfacher „gestrickte“, heitere, lebensbejahende Stücke des Flamen Jan Pieteszoon Sweelinck (1562-1621), der auf bürgerliche Freundlichkeit und Gemütlichkeit und das niederländische Ideal eines „behäbigen“ Lebens setzte, der auch Kontakt zu den englischen Emigranten, dem „Englischen Schicksal“ hatte, und ebenso durch Stücke des Italieners Girolamo Frescobaldi (1583-1643), des Franzosen Thoinot Arbeau (1519-1595) und des Spaniers Antonio de Cabezón (ca. 1510-1655), bei dem sich die Melancholie höchstens auf die Liebe bezog.

 Unter den Händen von Remy entwickelte das Instrument seinen vollen, schönen, dunkel gefärbten Klang. Die Blütezeit dieser kleinen, meist rechteckigen, Bauform des Cembalos für die Hausmusik mit dem dunklen Klang, von dem die Holländer meinten „es klingt, als würde eine Herde Schweine grunzen“, lag um 1620. Aus heutiger Sicht sieht und hört man das ganz anders.

 Remy holte an diesem interessanten, lehrreichen Nachmittag mit – gut ausgewählten und zusammengestellten – kleinen, im allgemeinen für die Hausmusik gebildeter Laien komponierten, Stücken und kurzweiligen, amüsanten „Plaudereien“ eine interessante, aber wenig bekannte musikalische Epoche, die durchaus Beachtung verdient, aus dem Dunkel ins „Rampenlicht“.

 EIN MUSIKALISCHER SPASS MIT G. F. HÄNDEL – 3.9.

 Vorwiegend heiter von der „Uraufführung“ (23.8.) bis zur letzten Vorstellung (1.9.) war die, aus frühen Kantaten, die Händel bei seinem Italienaufenthalt im jugendlichen Überschwang komponiert hatte, neu zusammengestellten „Oper“ „Der Liebeswahn“, (angeblich) ein „Geschenk Georg Friedrich Händels zum 20. Geburtstag an die Batzdorfer Hofkappelle“ wie im Programmheft vermerkt ist, oder doch eher der Batzdorfer Hofkapelle an Händel zum 328. Geburtstag.

 Für die Aufführung „durch die Academia dell’Arcadia im Castello und in den Gärten zu Vignanello, wo sich seinerzeit die Honoratioren des Vatikanstaats zu ausgelassenen „Schäferspielen“ trafen – hier Schlosskomplex Batzdorf – unter Anleitung des Marchese Franceco Rancesco Maria Ruspoli, dargestellt in wechselndem Barock-Outfit von Utz Panneke, wurde das gesamte Anwesen einbezogen. Es begann im Schlosshof, wo die bekannte, von Kennern und Liebhabern Alter Musik geschätzte Batzdorfer Hofkapelle (der Name bezieht sich mehr auf den Schlosshof als auf die, von den Musikern gespielte, höfische Musik) auf alten Instrumenten spielte, am Tasteninstrument vermeintlich der „junge Händel, der aus Hamburg angereist war“. Aus, sich im Dreieck gegenüberliegenden, Fenstern verschiedener Gebäude sangen die jungen Hauptdarsteller Marie-Friederike Schöder mit einem sehr ansprechenden Sopran, Rebecca Martin mit ausdrucksvollem Mezzosopran und Jacob Huppmann als guter Countertenor.

 Dann ging‘s wie einst über die alte Außentreppe in den Festsaal. (Fast) alle Besucher bekamen zum „Mitspielen“ weiße Wollperücken, ganz im Gegensatz zum 17. Jh. frisch gewaschen und entstaubt, was – flüchtig betrachtet – den Eindruck einer Menge von Honoratioren, die zuweilen über den weiteren Verlauf der Handlung und die „Wahl“ eines neuen Papstes, Clemens XI., abstimmen und als Chor einen einfach zu „bewältigenden“ Zwei-Zeiler-Ohrwurm singen durften oder – flüchtig betrachtet – einer großen Schafherde aus Arkadien ähnelten. Die „Bühne“ war eine Mischung aus Festtafel und Laufsteg. „Echt“ barocke Papp-Wellen begleiteten wie Schnörkel den Fluss der Unterwelt, auf dem die Nymphe ihren erst verschmähten, dann wie Diogenes mit der Laterne gesuchten, toten Hirten auf einem windigen Schifflein mit Segel, das gerade unter die alte Holzbalkendecke des Festsaales passte, den Acheron oder Styx (in der Barockopern nahm man die Geschichte nicht allzu genau) entlang schipperte, und eine kleine Gruppe Besucher bildete das Schilf.

 Modern gespielt und stilgerecht gesungen, entwickelte sich eine Dreiecksgeschichte zwischen Nymphe, Hirt und Herr der Unterwelt, unterbrochen durch eine Wanderung zur Schlosskapelle beim „plötzlichen Tod des Papstes“, wo eine katholische Totenmesse von Händel, dem Protestanten verfasst, traurig und getragen, aber mit fröhlichem Zwischensatz an Orgelpositiv, Gambe, Blockflöte, die sehr schön harmonierten, und eindrucksvollem Gesang einer als (kitschige) Marienfigur verkleideten Sängerin erklang und bei echtem Weihrauch die Ankunft des „päpstlichen Sarges“ begleitete. In diesem Rahmen wirkte das alles erheiternd und belustigend. Es gab eine Reihe einfacher, neckischer Regieeinfälle mit entsprechendem Augenzwinkern, aber vor allem beachtliche sängerische Leistungen.

 Aller Witz und Spaß wurden aber leider wieder gemindert durch „Alltagskostüme“. War da die Fantasie ausgegangen, um ebenso witzige Andeutungen von Barock-Kostümen humorvoll anzudeuten?

 In einer Koproduktion der Batzdorfer Hofkapelle mit den Händelfestspielen Halle 2014 waren verantwortlich für die Stückfassung Stephan Rath (Idee und Musikdramaturgie) und Florian Lutz (Regie) und für die Ausstattung Johanna Ballhausen).

 Es waren nicht nur vergnügliche bis amüsante, sondern ganz nebenbei auch lehrreiche Barockfestspiele, die ganz nebenbei für die Erweiterung des Wissenshorizontes in Musikgeschichte beitrugen. Mit der Händel-Oper lernte man Ausschnitte aus seinen etwa 100 Kantaten mit ihrem einzigartigen Reichtum an Klangfarben, Gesangs- und Instrumentalsoli und virtuosen Gesangslinien kennen, die Händel wie im Schaffensrausch schuf, als er die ausschweifenden Travestien und Orgien der katholischen Kirchenstaatselite kennenlernte, wo ihm aber auch die besten Musiker und Sänger der damaligen Zeit zur Verfügung standen. Aus diesem, wie in einem Schaffensrausch entstandenen Fundus konnte Händel noch bis an sein Lebensende für seine Opern und Oratorien schöpfen.

 Ingrid Gerk

 

 

 

Diese Seite drucken