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BASEL/Stadtcasino: SKANDAL 2013 – Verspäteter Jubel für fantastische werke

Basel: Stadtcasino – „Skandal 1913“30.10.2013

Verspäteter Jubel für fantastische Werke

 In seinem zweiten Sinfoniekonzert gedachte das Sinfonieorchester Basel SOB mit seinem Chefdirigenten Dennis Russel Davies den beiden Konzertskandalen von Wien und Paris im Jahre 1913. In verschiedenen Rahmenveranstaltungen und kleinen Konzerten konnten sich Interessierte im Vorfeld auf den bevorstehenden anspruchsvollen Abend einstimmen. Zusammen mit dem Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel brachte das SOB eine zusätzliche hochspannende Broschüre mit Texten rund um die beiden Skandale aus der damaligen Zeit. Das Konzept ging auf – das Konzert war bis unters Dach ausverkauft – und dies trotz der parallel laufenden weltberühmten Basler Herbstmesse! Und: Ich habe schon lange nicht mehr so zahlreiche jugendliche Zuhörer an einem unseren Sinfoniekonzerte gesehen – und dies wohlgemerkt freiwillig! Gebannt genossen sie das Konzert und trugen zum grossen Schlussjubel bei. Der dreiteilige Konzertabend beschäftigte sich zuerst mit dem Wiener Skandal und eröffnete mit den drei Orchesterstücken, Op. 6, von Alban Berg. Dennis Russel Davies dirigierte eindeutig, klar und transparent. Er „schälte“ die einzelnen Instrumentengruppen heraus um sie dann in orchestralem Vollklang zu vereinen. Er dirigierte sehr differenziert, arbeitete die feinen Stellen exakt heraus und liess das Orchester zu fulminanten Forti aufspielen – ohne dabei zu übertreiben. Effekthascherei – Fehlanzeige! Dies erleichterte so manchem in dieser Klangwelt noch unerfahrenen Zuhörer den Zugang zu diesem fantastischen Werk. Maestro Russel Davies vollbrachte danach das, was damals Arnold Schönberg wegen Konzertabbruches nicht vergönnt war – Gustav Mahlers Kindertotenlieder kamen – mit hundert Jahren Verspätung – in dem „modernen Rahmen“ zur Aufführung. Als Solist konnte kein geringerer als Matthias Goerne gewonnen werden. Der Sänger zeigte sich sichtlich über den vollen Konzertsaal erfreut. Er gestaltete die Lieder berührend und ging voll mit. Dank seiner ausgezeichneten Diktion musste so gut wie niemand die Texte im Programmheft mitlesen – das Blättern im Programmheft blieb weitgehend aus. Vor allem im zweiten Lied verschmolzen Sänger und Orchester zu Maher’schem Wohlklang vom Feinsten. Vereinzelt war das Orchester bei den restlichen Liedern in den Piani zu dominant und ging etwas zu wenig auf die sängerische Gestaltung von Herrn Goerne ein. Nach der Pause dann der Skandal von Paris: Strawinskys „Le sacre du printemps“ (1913, revidierte Fassung von 1947). Da fuhr das SOB nochmals zur absoluter Höchstform auf. Sauber und treffsicher die Holbläser in der Introduktion, kraftvoll und absolut einheitlich die Celli, messerscharf und klar das Blech – der reine Wahnsinn der musikalisch-dramatische Aufbau! Meisterhaft! Nach dem Sacre wurde es dann auch im Publikum wieder laut: Diesmal jedoch nicht durch Gelächter, Zwischenrufe und Buhs – sondern durch lange anhaltenden hoch verdienten Jubel für einen fantastischen Abend mit „unserem“ Orchester und seinem Dirigenten – und für die Werke, welche diese Anerkennung bereits schon vor 100 Jahren verdient gehabt hätten.

Michael Hug

 

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