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BASEL/ Theater: IL BARBIERE DI SIVIGLIA. Premiere

"Figaro im Facebook-Fieber"

19.10.2019 | Allgemein, Oper

 


Alasdair Kent, Gurgen Baveyan, Vasilisa Berzhanskaya ©Priska Ketterer

Theater Basel: Rossini: Il barbiere di Siviglia – Pr. 17.10.2019

„Figaro im Facebook-Fieber“

Rossini. Barbiere. Schon wieder. So und ähnlich waren meine trüben Gedanken auf dem Weg ins Theater. Nach einem langen Arbeitstag richtete ich mich auf sanftes Wegdösen zu erträglicher Musik ein. Selten lag ich so daneben.

Denn schon von der ersten Sekunde an zeigt der russische Film-, Theater- und Opernregisseur Kirill Serebrennikov (praktischerweise auch für Bühne und Kostüme zuständig), dass er die angestaubte Komödie als cooles Social Media-Spektakel zu inszenieren gedenkt.

Das Orchester sitzt auf der Bühne (ein Musiker kommt dramatisch zu spät), als zwei junge Männer in Hoodie und Sonnenbrille mit offensichtlichem Hangover auf die Bühne schlurfen, den Latte resp. das Smartphone in der Hand. Die Ouvertüre wird von auf die Rückwand projizierten Messages inklusive ausdrucksstarker Emojis begleitet, die den Unwillen der beiden Jungs ausdrückt, diese bis zum Schluss anhören zu müssen. Der Dirigent wird mehrmals grob zur Eile angetrieben (und akzeleriert entsprechend) und rüde unterbrochen (z.B. durch vorzeitiges hoffnungsvolles Applaudieren). Selfies mit dem Dirigenten dürfen danach aber auch nicht fehlen. Selten so gelacht.

Der ukrainische Bariton Dmytro Kalmuchyn stolpert mit schöner Stimme alles andere als „piano, pianissimo“ durch’s Orchester, während Graf Almaviva sein falsches Lindoro-Facebook-Profil updated (relationship status: „it’s complicated“).

Ob sich Almaviva bei „Sei il mio nome …“ von einem Heavy-Metal-Musiker mit E-Gitarre in bester Skorpions-Manier begleiten lässt, Fiorello seinen Part singt während er sich einen Burger in den Mund stopft, oder all die schönen Liebesarien des Grafen von Figaro als Online-Videos inklusive künstlichem Schneegestöber inszeniert werden, Serebrennikov hat vor nichts Respekt, weshalb er wohl immer noch im russischen Hausarrest sitzt.

Der australische Tenor Alasdair Kent als Graf Almaviva wurde als indisponiert angekündigt und war entsprechend stimmlich schwach. Dankenswerterweise hielt er aber tapfer durch.

Einen Achtungserfolg erzielt die amerikanische Sopranistin Kali Hardwick als Berta, die nicht nur als fette Alte ausgesprochen glaubwürdig rüberkommt (obschon in realiter genau das Gegenteil), sondern deren schöne Sopran-Stimme auch den Chor mühelos übertönt. Der kubanische Bassbariton Antoin Herrera-Lopez Kessel tönt in der Rolle Basilio an, dass er stimmlich noch mehr draufhätte (was er im kommenden Figaro dann beweisen kann).

Die russische Sopranistin Vasilisa Berzhanskaya, die dem Basler Publikum bereits in der Titelpartie von «La Cenerentola» positiv auffiel, antwortet auf Almavivas Annäherungsversuche zeitgemäss mit vielen Emojis. Ihre schöne Stimme und starke Ausdruckskraft hinterlassen wiederum bleibenden Eindruck.

Allerdings verblasst sie etwas hinter Andrew Murphy, der hier als alternder schmieriger Fiesling Bartolo nicht nur stimmlich die Rolle seines Lebens gefunden hat, sondern eine überwältigende Schauspielleistung hinlegt. Tatsächlich habe ich noch nie einen besseren Murphy – oder einen besseren Bartolo – gesehen.

Es ist die Tragödie des Alters, dass man so gut sein kann wie man will, immer gibt es einen Jüngeren, der einem die Show stiehlt. Was der junge armenische Bariton Gurgen Baveyan als Figaro hier vorlegt, ist aber auch bemerkenswert. Mit schöner Stimme, absolut messerscharfer Diktion, passend zu Ringen, Haardutt und Ohrtunneln leicht schwul angehauchtem grandiosem Spiel und noch beeindruckender Bühnenpräsenz spielt er alle an die Wand und Erwin Schrott völlig aus meiner Erinnerung. Na hoffentlich bleibt uns der lange in Basel erhalten.

Michael Clark hat den Chor des Theaters Basel wie gewohnt fest Griff, hier sitzt jeder Ton. Der britische Dirigent David Parry macht die ganzen den Musikbetrieb störenden Regieanweisungen mit britischem Humor mit und führt das Schiff sicher durch den Sturm. Seine präzisen Einsätze kommen insbesondere Rosina und Figaro sehr zu Gute.

Wie so oft arten die Regieeinfälle im zweiten Teil etwas aus. Während der durch Tänzer vervielfachte Figaro, der als Sevillas Faktotum ja überall gleichzeitig sein muss, ganz lustig (und praktisch: sie dienen gleichzeitig als Bühnenarbeiter) ist, wirkt die Verdopplung des als Gesangslehrer verkleideten Almaviva als Conchita Wurst-Verschnitt eher peinlich, die sagen wir mal Mujaheddin-ähnliche Verkleidung der falsche Soldaten, die sich bei Bartolo einnisten, ist dann aber too much.

Das unverkrampfte und respektlose Auseinandernehmen von Althergebrachten tut dem Stück aber grundsätzlich gut. Da wird auch einmal weltberühmte Musik durch einen entzückten „Gucci“-Schrei von Rosina unterbrochen. Im Gegensatz zu Putin hätte Rossini aber sicher seine helle Freude daran gehabt.

Alice Matheson

 

 

 

 

 

 

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