Giuseppe Verdi: Don Carlos • Theater Basel • Vorstellungen: 13. und 15.05.2022
(10. und 11. Vorstellung • Premiere am 13.02.2022)
Glutvoller geht kaum
Foto © Matthias Baus
Glutvoller und leidenschaftlicher als Michele Spotti mit dem Sinfonieorchester Basel kann man den «Don Carlos» kaum musizieren. Spottis Dirigat lässt nicht nur erkennen, wie intensiv und genau er mit dem Orchester gearbeitet hat, sondern auch, warum der «Don Carlos» dem «Don Carlo» eindeutig vorzuziehen ist. Jede der drei aufgeführten Fassungen von Verdis zur Weltausstellung 1867 entstandenen Oper wurde auf einen französischen Text komponiert. Die Texte für die vieraktige Mailänder Fassung (Teatro alla Scala, Mailand, 10. Januar 1884) und die fünfaktige Modena-Fassung (Teatro Communale, Modena, 26.12.1886) wurden erst nach Abschluss ins Italienische übersetzt. Dabei wurden sprachliche Betonungen nicht angepasst und es kam es zu zahlreichen Sinnveränderungen: so wurde aus dem Französischen «Elle ne m’aime pas» das Italienische «Ella giammai m’amo». Zudem ist die vieraktige Fassung, auf der die Modena-Fassung basiert, eine Anpassung an den Geschmack des Mainstream und Kürzung. Die Fassung der Uraufführung (Théâtre Imperial de l’Opéra, Paris, 11. März 1867) gehört zur Gattung Grand Opéra und wurde damit für eines der zeitgenössisch weltbesten Orchester komponiert. «Don Carlos» klingt nach Grand Opéra und erinnert an das bisherige Schaffen Verdis und tönt viel weniger nach Verismo als «Don Carlo». Diese Tatsache und die Frische, die Originalität (Anklänge an das frühere Schaffen), lässt Spottis Dirigat von den ersten Takten an erkennen. Die Introduktion hat er mustergültig erarbeitet, so dass der Klang der Hörner von verschiedenen Punkten der Bühne wie aus dem Graben zu vernehmen ist. An zahlreiche weitere Stellen ist dieser frische, selten gehörte Klang des «Don Carlos» zu vernehmen: so zum Beispiel im Duett Carlos-Rodrigue im zweiten Akt, im Autodafé im dritten Akt, beim Tod Rodrigues und dem Aufstand im vierten Akt oder dem Schlussduett Elisabeth-Carlos.
Vincent Huguet inszeniert eng am Libretto, das er sehr genau gelesen hat, und gibt den Gedanken des Zuschauers Raum, anstatt ihm eigene, zeitgeistige Umdeutungen aufzuzwängen. Unterstützt wird er vom grandiosen, weil unaufdringlichen und höchst ästhetischen Bühnenbild Richard Peduzzis. Im meeresblauen Bühnenraum genügen Türme in terracotta und senfgelb, scherenschnittartig angedeutete Bäume und eine riesige rote Treppe um der wunderbaren Atmosphäre, die der «Don Carlos» der Mailänder und Modena-Fassung weit voraushat, Raum zu geben. Ganz wesentlich trägt dazu die Lichtgestaltung von Irina Selka bei, die, nur ein Beispiel, mit scherenschnittartig angedeuteten Bäumen, wunderbare Stimmungen schafft. Das Spektrum der Kostüme von Camille Assaf schwankt von klassisch bis modern und stört den optischen Eindruck nicht weiter.
Leah Gordon (13.05.22) gibt die Elisabeth von Valois mit reifer Stimme als resolute Frau. Atmosphärisch passt Yolanda Auyanet (15.05.22) mit ihrer klaren, kräftiger, etwas jugendlicherer Stimme besser. Nathan Berg ist mit kräftigem Bass ein würdevoller Philippe II. Die Begegnung mit dem wunderbar herrischen Grossinquisitor von Derrick Ballard, wo beide Bässe in die Vollen gehen, wird zu einem Höhepunkt des Abends. Von phänomenaler Intensität ist, wie schon erwähnt, die Gestaltung der Prinzessin Eboli durch Kristina Stanek. Von Rossinischer Leichtigkeit im «Au palais de fées» (Schleierlied) bis zur Dramatik des «O don fatal» stehen ihr alle erforderlichen Nuancen zu Verfügung. Wann je hat man eine so verführerische Eboli erleben dürfen? Joachim Bäckström gibt einen Don Carlos, dem die Reserven nie auszugehen scheinen. In der Tongebung und Intensität seiner Bühnenerscheinung erinnert er stark an Neil Shicoff. John Chest als Rodrigue, Marquis von Posa, hat sich gegenüber den ersten Vorstellungen deutlich gesteigert und begeister mit seinem wohlkilingenden Bariton uneingeschränkt. Andrew Murphy Ein Mönch, Nataliia Kukhar als Gräfin von Aremberg, Álfheiður Erla Guðmundsdóttir als Stimme vom Himmel, Ronan Caillet als Graf von Lerme, Jasin Rammal-Rykała, Kyu Choi, Félix Le-Gloahec, Andrei Maksimov, Yurii Strakhov und Jiacheng Tan als Flämische Gesandte ergänzen das Ensemble.
Letzte Chance: Diese Produktion ist ein Ereignis und lässt eine vermeintlich bekannte Oper neu entdecken!
Letzte Aufführung: Samstag, 21.05.2022, um 19.00.
15.05.2022, Jan Krobot/Zürich