Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BASEL: THE BEGGAR’S OPERA nach John Gay. Premiere

20.10.2013 | KRITIKEN, Theater

Nach John Gay: THE BEGGAR’S OPERA, Theater Basel, Premiere, 17.10.2013

 Dass im Theater lautstark Eis verkauft wird, mutet einen seltsam an. Die Dame nebenan ist alarmiert durch die Warnung im Programmheft, dass Teile der Garderobe als Bühnendekoration verwendet werden könnten. Auf einer Leinwand läuft Diawerbung für Secondhand-Läden und Drittweltläden. Und irgendwann merkt auch der letzte Zuschauer, dass die Vorstellung schon lange begonnen hat – und er einer der Schauspieler ist.

Der Theatersaal ist unbemerkt zum Kinosaal geworden, weil sich Theater ja nicht jeder leisten kann. Die Besitzer der teureren Karten in den ersten Reihen werden darüber informiert, dass sie jetzt wohl oder übel die besseren hinteren Kinoreihen mitfinanzieren. Film ab.

 Die Rollen werden mit Knastfotos vorgestellt. „Das Geld gehört in die Hände von spendablen und grosszügigen Menschen“ wird einem als Mantra eingeprägt. Endlich kommen auch Schauspieler auf die Bühne, vier Kameras stehen dort, die Ergebnisse werden auf zwei aneinandergrenzenden Leinwandflächen abgespielt. Und das ist komplizierter als es tönt: Da der Film aus jeweils zwei Filmen zusammengesetzt wird, muss jede Rolle doppelt besetzt werden. Ein Arm, der von links nach rechts über die ganze Leinwand gestreckt werden soll, muss für die erste Filmhälfte mit der linken, für die zweite Hälfte von der rechten Kamera aufgenommen werden. Dazu kommt, dass die Stimmen jeweils von einem anderen Schauspieler synchron gesprochen werden. Diese koordinatorische Glanzleistung findet ihren Höhepunkt in einer eigentlich simplen Prügelei: Zwei Paare prügeln sich, die verschiedenen Szenen werden life auf der Leinwand zu einer Szene zusammengesetzt, die dazugehörigen Geräusche mit Reiben, Klappern, Klobürsten etc. verursacht.

 Doch, natürlich gibt es auch eine Story: Die 1728 von John Gay geschriebene und Johann Pepusch vertonte Oper um den Hehler Peachum, dessen Tocher Polly und ihren Geliebten Macheath war damals sowohl ein Skandal als auch ein Riesenerfolg und bekanntermassen Vorläufer für die ebenso erfolgreiche Dreigroschenoper von Brecht/Weill. Plötzlich ging es in einer Oper nicht mehr um Könige und Prinzessinnen sondern um Diebe, Hehler, Bettler und Huren. Dem damaligen England wurde ein Bild vom unteren Ende der Wohlstandspyramide gezeigt, das bis anhin noch nie auf einer Bühne zu sehen gewesen war und deshalb schockierte.

 Im allwissenden Internetzeitalter schockiert das natürlich niemanden mehr. Deshalb benutzt – vielleicht folgerichtig – Regisseur Tomas Schweigen die Geschichte selbst nur als Vorwand, um zu zeigen, was man mit wenig Geld und viel Fantasie alles anstellen kann. Gar mancher fühlt sich da an frühe Filme erinnert: Köstlich einmal miterleben zu können, wie etwa ein fahrendes Auto oder ein Lift simuliert werden können.

 Das Happy End, das vom Publikum schon im Original verlangt wird, läuft hier als Kino-Abspann: Macheath wurde begnadigt und macht jetzt Filme, Mrs. Peachum gründet einen Charity-Verein. Und die Zuschauer werden angehalten, die ENDE-Schilder ins Bild zu halten.

 So wie die Darsteller punktgenau miteinander agieren müssen, um die Filmstücke korrekt auf die Leinwand zu übertragen, so ist es eben auch im richtigen Leben: Miteinander ist besser. Kooperation ist die Devise, Sharing das Lebensmodell. Ausleihen statt besitzen. Werbung für Couchsurfing und Mobility im Programmheft inklusive. Wer hat, gibt, wer braucht, bekommt. Gelebte Sozialdemokratie zum Mitmachen. Ob dieses Stück als Pflichtprogramm für Neuparlamentarier angesetzt wird?

 Fazit: Mehr Liebeserklärung an die Anfänge des Kinos als Sozialdrama. Wer frühe Billig-Movies mag, wird sich aber köstlich amüsieren.

 Alice Matheson

 

 

Diese Seite drucken