Basel: Stadtcasino – Kit Armstrong, Szymanowski Quartett – „Weihnachtsfrieden 1914“ – 23.12.2014
Gegen das Vergessen – Erinnerungen an den „Kleinen Weihnachtsfrieden 1914
Virtuose Besinnlichkeit mit dem Szymanowski Quartett und Kit Armstrong (2.v.r.). Foto: Michael Hug
Auf dem Höhepunkt der Schlacht um die Weihnachtsgeschenke werden im Basler Stadtcasino anlässlich eines weiteren Solistenabends der Allgemeinen Musikgesellschaft Basel (AMG) besinnlichere Töne angeschlagen – und dies nicht ohne Grund: In diesem Jahr jährt sich der „Kleine Weihnachtsfrieden“ zum 100. Mal. Es ist dies jenes Ereignis – oder jene Legende – als auf den Schlachtfeldern Flanderns während des ersten Weltkrieges die verfeindeten deutschen und englischen Soldaten entgegen jedem Befehl die Waffen niederlegten und gemeinsam Weihnachten feierten. Eine Geschichte, welche gerade in der jetzigen Zeit dringend einer Wiederholung bedürfte – allerdings mit anderem Ausgang. Während der „Kleine Weihnachtsfrieden“ am nächsten Tag mit der fürchterlichen Fortsetzung der sinnlosen Schlachterei endete, würde man sich heute wünschen, dass dieses Ereignis als Aufruf zur Versöhnung verstanden – und entsprechend umgesetzt würde. Gerade zur Weihnachts- und Jahreswechselzeit werden viele solche Zeichen gesetzt. Eines davon durch den jungen aufstrebenden Pianisten Kit Armstrong zusammen mit Agata Symcezewska (Violine), Grzegorz Kotow (Violine) Vladimir Mykytka (Viola), Marcin Sieniawski (Violoncello), welche das Szymanowski Quartett bilden, im Musiksaal des Stadtcasino Basel. Die fünf Musiker setzen mit ihrem Konzert ein wichtiges Zeichen mitten in diese ausgeleuchtete krampfhaft friedliche Zeit, in welcher so viele Menschen leiden und nicht mehr weiter wissen. Eindringlich und mit technischer Perfektion eröffnet Kit Armstrong den Abend mit Leo Ornsteins „Suicide in an Airplane“, eine Komposition, welche 1918/19 in New York entstanden ist. Das Stück beginnt mit dem bedrohlichen Raunen von Kampfflugzeugmotoren, steigert sich aus dem bedrohlichen Brummen zum explosiven, irrsinngien Fortissimo und endet wieder in dem tiefen bedrohlichen Motorengeräusch … Es sind noch weitere Flieger in der Luft, das Grauen kann sich jederzeit wiederholen … Kit Armstrong spannt in dem lediglich vier Minuten dauernden Stück einen Spannungsbogen von beklemmender Intensität, die ihresgleichen sucht. Es wird allen im Saal klar – diese Geräusche hören zur Zeit hunderttausende von Menschen auf der Welt, die verzweifelt darauf hoffen keinem Bombenhagel ausgesetzt zu werden. Hinfällig zu erwähnen, dass Kit Armstrong die mörderischen Läufe und Triller, mit welchen die Komposition gespickt ist, perfekt meistert. Das Szymanowski Quartett berührt daraufhin mit Karol Szymanowskis Streichquartett Nr. 1 C-Dur, op. 37. Hoch emotional gerät dem Pianisten und dem Quartett Johann Sebastian Bachs Sinfonia aus der Kantate BWV 156 „Ich steh mit einem Fuss im Grabe“ und die Sinfonia aus der Kantate BWV 35 „Geist und Seele wird verwirret“. Dem „Agnus Dei“ von William Byrd aus dessen Messe zu vier Stimmen folgen dann Bachs Choralvorspiele „Vom Himmel hoch da komm ich her (BWV 738), „In dulci jubilo“ (BWV 738), „Jesu meine Freude“ (BWV 713), „Erbarm’ Dich mein, o Herre Gott“ (BWV 721) und „Vor deinen Thron tret’ ich hiermit“ BWV 668. Die fünf Künstler schaffen es damit, die Weihnachtsstimmung in die richtige Richtung zu lenken. Weihnachten ja, Kitsch Fehlanzeige! Der Wunsch nach „besinnlicher Weihnachtszeit“ wird nachhaltig erfüllt. Nach der Pause eröffnet Kit Armstrong mit drei der „Elf Choralvorspielen op. 122“ von Johannes Brahms „Schmücke dich, o liebe Seele“, „Es ist ein Ros’ entsprungen“ und „O Welt, ich muss dich lassen“. Edward Elgars Quintett a-Moll op. 84 bildet den Schlusspunkt eines nachhaltig beeindruckenden und bewegenden Weihnachtskonzert der ganz anderen Art.
Ein Konzert voller Besinnlichkeit, geprägt durch eine Hoffnung, welche nie untergehen wird, so lange es Menschen gibt: Die Hoffnung, dass aus dem kleinen Weihnachtsfrieden ein grosser Frieden wachsen wird. Ein grosses Ziel – aber wer weiss, vielleicht haben gerade Kit Armstrong und das Szymanowski Quartett mit diesem grossartig zusammengestellten und herausragend musizierten Konzertabend wesentlich zur Erreichung dazu beigetragen.
Michael Hug