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BASEL: OTELLO – Premiere

30.11.2014 | Allgemein, Oper

Theater Basel  „ OTELLO“ Premiere 29. 11. 2014

Walter Felsenstein: Innerhalb des Werkes von Verdi muss ich den Othello an die Spitze stellen. Dieses Werk ist ein Schulbeispiel musikdramatischer Gestaltung, wie ich in der gesamten Weltliteratur kein zweites kenne.“ Der musikalische Leiter Gabriel Feltz im Gespräch: „ Stimmt“

     Unbenannt                  

      © Hans Jörg Michel. Kristian Benedikt, Markus Nykänen, Svetlana Ignatovic, Simon Neal

Es ist still, dunkel im Saal, kein präludierendes Orchester, kein Stimmen der Instrumente, kein Eingangsapplaus für den Dirigenten!?
Der Vorhang, hier ein eiserner, eine Hafenmauer darstellend, öffnet sich. Stille! Eine lange Stille, während der Chor im grellen Gegenlicht an die Rampe schreitet! Stille! Dunkelheit im Graben, das Orchesterlicht geht an! Die ersten dreizehn Takte von ff bis pp erklingen, dann die Zyprioten: Una Vela…! Otello 2014 beginnt, ein spannender Auftakt!
Die Zyprioten hinter Stacheldraht und gefesselt? Geschichtlich nachzuvollziehen, da zu dieser Zeit die Bevölkerung Zyperns von den Venezianern aufs übelste ausgebeutet wurden und die Bauern daher einen Aufstand, einen missglückten Aufstand, versuchten. Dieser wurde von Venedig brutal niedergeschlagen. Trotzdem sind die Zyprioten froh, dass das osmanische Reich dank des Sieges von Othello als venezianischem General nicht die Herrschaft über Zypern erhält.

Die Siegesfeier im Hafen artet in eine üble Schlägerei aus und endet mit der Degradierung von Hauptmann Cassio, gesungen von Markus Nykänen zur Freude des eifersüchtigen Jago. Den Part gibt Simon Neal, welcher eigentlich gerne Hauptmann geworden wäre.

Das Duett Otello – Desdemona: „Gia della notte densa“, ist der Musik, dem Text entsprechend ohne Hektik inszeniert. Kristian Benedikt als Otello, phrasiert die ppp Stellen mit perfekter Diktion, „laut flüsternd“, Die Liebe Desdemonas zum Aussenseiter, dem „Mohren“ Otello, wird von der russischen Sopranistin Svetlana Ignatovic glaubwürdig dargestellt.

Der zweite Akt, der erste dramatische Höhepunkt in Otello, beginnt mit dem Duett Cassio – Jago: „Non ti cruciar“, dem Anfang von Jagos Intrige gegen den verhassten Otello. Jagos „Credo“ musikalisch und sängerisch ist ein klarer Höhepunkt der Oper. Auch hier wieder die ruhige, dem Sänger Luft lassende Personenführung. So wird Neals Auftritt wahrlich dämonisch und glaubhaft umgesetzt. Seine Diktion ist absolut perfekt und seine Intonation makellos. Eine grosse Leistung.
Glaubhaft ebenso Otello mit seinem Zweifel an der Treue Desdemonas, dieser  angefacht durch die Einflüsterungen Jagos. Otellos Selbstzweifel als „Mohr“ also wegen seine Hautfarbe erleichtern Jago sein übles Spiel. In Bieitos Inszenierung übrigens, wie bei Karajan, ein weisser „ Mohr“!
Die Traumerzählung Jagos und der Racheschwur beenden den zweiten Akt fulminant! Die Pause nach dem zweiten Akt ist dramaturgisch optimal. Sie gibt dem Publikum Zeit, sich Gedanken zum Gesehenen und Gehörten zu machen, das Verständnis für Otello zu vertiefen, oder auch nicht!

Die Obsession Otellos, sein Befehl das ominöse Tuch, sein Liebesgeschenk an Desdemona, umgehend herzuschaffen mündet in den Monolog Otellos im dritten Akt: „Dio! Mi potevi scagliar tutti i mali“, das Duett Otello – Jago und in das Terzett Otello- Jago- Cassio. Die ersten sechs Szenen im dritten Akt sind kammermusikalisch intim aufgebaut, müssen es auch sein, da Text und Musik genügen und  zu viel Aktivität nur stören würde. Die Szenen sieben bis neun dagegen leben vom Aufmarsch der Protagonisten und des Chores und wurden von Bieito entsprechend inszeniert.

Im vierten Akt überzeugt Frau Ignatovic mit ihrem Ave Maria, ihrem Abschiedsgesang. Otello, nachdem er erkannt hat, dass er die schuldlose Desdemona ermordet hat verabschiedet sich mit seinem Monolog:
„Niun mi tema se anco armato mi vede“ und stirbt.

Das Theater Basel hat das Meisterwerk Verdis in der Regie von Calixto Bieito und unter der Stabführung von Gabriel Feltz meisterhaft in Szene gesetzt. Wiederum ist das Publikum gefordert, sich auf eine neue, moderne Sichtweise einzulassen. Der Regisseur inszeniert  nicht wie Franco Zeffirelli 1986 in seinem wunderbaren Film oder Herbert von Karajan an den Salzburger Festspielen 1973 oder Walter Felsenstein 1959 in der Komischen Oper Berlin. Bieitos Handschrift ist modern, dem 21. Jahrhundert angepasst. Im Basler Otello agieren die Protagonisten unter der klaren Personenführung sparsam. Keine hektische Bühnenaktivität stört die Musik, den Gesang der Solisten, des hervorragenden Chores und dem subtil geführten Orchester. Und da ist die Regie von Calixto Bieto  der Regie seiner Vorgänger ähnlich. Auch Felsenstein, Karajan und Zefirelli haben das Bühnengeschehen, die Aktionen der Sänger auf ein Minimum beschränkt, die Personenführung dem Text und der Musik, der optimalen Diktion untergeordnet. Felsenstein verlangte immer, speziell aber in Otello eine „kammermusikalische Textverständlichkeit“.   

Der Litauer Kristian Benedikt singt den Otello mit klarer Diktion, dies speziell im zweiten Akt, und sauberer Intonation. Seine Körpersprache gefällt allerdings weniger als seine gesangliche Leistung. Svetlana Ignatovic als Desdemona überzeugt emotional im Gesang und unterstreicht die Qualität der schauspielerischen Leistung mit ihrer Körpersprache. Der Engländer Simon Neal gibt einen Jago, welcher im gesanglichen Ausdruck, der Diktion und Textverständlichkeit und in seiner schauspielerischen Qualität wenige Wünsche offenlässt. Markus Nykännen aus Finnland als Cassio wirkt eher farblos, singt aber seinen Part makellos. Als Spoletta in „TOSCA“ hat  war seine Bühnenpräsenz wesentlich besser. Karl-Heinz Brandt als Rodrigo überzeugt wie immer in seinen Rollen sowohl als Sänger als auch Schauspieler. Als Lodovico gefiel Pavel Kudinov und als Montano das „Operavenir“ Mitglied Zachary Altmann. Die psychologische Entwicklung der Emilia, gegeben von Rita Ahonen, vom ersten zum vierten Akt war für mich nicht nachvollziehbar. Ihr Gesang jedoch war überzeugend.

Der Chor und der Extrachor des Theater Basel waren hervorragend. Dem Chordirektor Henryk Polus sei Dank.

Das Sinfonieorchester Basel (SOB) unter der Stabführung von Gabriel Feltz musizierte subtil und kraftvoll zugleich. Gabriel Feltz im Gespräch: „ Verdis Otello war für mich ein Schlüsselerlebnis, als ich den Zefirelli Film  das erste Mal gesehen habe.“

Die Regiearbeiten des Katalanen Calixto Bieito geben immer wieder zu Diskussionen Anlass. Er hat Otello der Musik entsprechend auf moderne Weise inszeniert. Die Arbeit mit den Künstlern war intensiv, das Resultat sehr sehenswert und vor allem: Seine Regie lässt der Musik, dem Drama den Freiraum sich zu entwickeln. Dies ist Regietheater und nicht „Regisseur-Theater“, also Selbstdarstellung des Regisseurs. Bieito im Gespräch: „ Otello ist ein Besessener, hat trotz seiner Erfolge, Minderwertigkeitsgefühle und Verlustängste. Er versucht sich anzupassen und möchte, trotz seiner Herkunft, seiner Hautfarbe vom „Establishment“ (Jago?) akzeptiert werden. Die ganze Thematik ist auch heute noch hochaktuell!“

Die Bühne von Susanne Gschwender stellt einen modernen Hafen mit riesigem Kran dar. Das Bühnenbild wird für die weiteren Szenen und Akte nur leicht durch wenige Requisiten verändert, so dass die Bühne selber nicht vom Drama, von der Musik ablenkt. Dies in Anlehnung an die alten, von  William Shakespeare selber inszenierten Werke, welche mit wenig Bühnenbild auskamen.
Die Kostüme wurden von Ingo Krügler entworfen. Das Lichtführung des Münchners Michael Bauer war spannend und entsprach der Inszenierung optimal.

Das zahlreich erschienene Premierenpublikum bedankte sich für den Abend mit langem  Applaus. Die Regie wurde von Einzelnen ausgebuht, die Solisten und der Dirigent, stellvertretend für das SOB, mit grossem Applaus belohnt.

Peter Heuberger Basel

 

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