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BASEL/ Opernstudio/ „OperAvenir“: L’ENFANT ET LES SORTILÈGES“

04.04.2014 | KRITIKEN, Oper

Theater Basel (Opernstudio «OperAvenir» in Kooperation mit der Hochschule für Musik Basel/FHNW): Ravel: L’ENFANT ET LES SORTILÈGES (Fantaisie Lyrique) Vorstellung vom 2.4.2014

Unbenannt
©Simon Hallström. Emanuel Heitz, Jason Robert Cox, Lilia, Tripodi, Jose Coca Loza, Angelica Monje Torres, Nathalie Mittelbach
 
   Schon beim Eintritt in den Publikumsraum wähnt man sich im Wunderland: Ein grün gekleideter Magier bläst einem Seifenblasen ins Gesicht. Das von Anfang an sichtbare Bühnenbild ist ebenso bunt wie spektakulär: Fensterausschnitte in den Himmel, das Kind in Schuluniform sitzt bereits in der Ecke und schreibt schlechtgelaunt seine Hausaufgaben. Im Hintergrund tickt nervig eine Uhr, ein Ohrensessel steht neben dem Kamin.

 Wegen seiner Unartigkeit gegenüber seiner Mutter (Rita Ahonen hält trotz angesagter Indisposition tapfer durch) hat das Kind (ausgezeichnet: Nathalie Mittelbach) Hausarrest bekommen. Wütend darüber treibt es Schabernack, quält Haustiere und zerfetzt den Lehnstuhl: Plötzlich werden Lehnstuhl (Jose Coca Loza) und Lehnsessel (Angelica Monje Torres) lebendig und beklagen sich lautstark. Die Wanduhr (Jason Robert Cox) stimmt ebenfalls lautstark in die Klagen ein: Das Kind hat ihr Pendel gestohlen, seither kann sie nicht mehr aufhören zu läuten. Auch die englische Teekanne (Emanuel Heitz) und die chinesische Tasse (Lilia Tripodi) haben Grund zur Klage. Viele andere wie zum Beispiel das Ofenfeuer (Amelia Scicolone) und die Prinzessin (Kim-Lillian Strebel ) aus dem Märchenbuch, Schäfer (Debora Büttner) und Schäferin (Maria Carla Pino Cury) aus der Tapete, Kater (Jason Robert Cox) und Katze (Qi Yang) stimmen in die Vorwürfe ein.

 Wie durch Magie verwandelt sich das Klassenzimmer in einen Wald. Doch auch dort hat das Kind nur Feinde: Libelle (Lilia Tripodi), Fledermaus (Maria Carla Pino Cury), Eule (Debora Büttner), Nachtigall (Amelia Scicolone), Eichhörnchen (Angelica Monje Torres) und Laubfrosch (Israel Alarcon) trauern über ihre toten oder gequälten Freunde, auch der Baum (Tiago Saxer) jammert über die Wunden, die ihm der Junge geschlagen hat. Als das einsame Kind nach seiner Mutter ruft, werden die Tiere wütend und bedrängen es. Im Tumult wird eines der Tiere fast totgetreten. Das Kind kümmert sich um es. Als die anderen Wesen das sehen, wissen sie, dass das Kind auch des Mitleids fähig ist. Sie rufen nun alle nach der Mutter. Der Spuk ist vorbei.

 Das von der französischen Schriftstellerin Colette für ihre Tochter als Ballett verfasste und von Maurice Ravel vertonte Märchen ist Moral pur: „Zieh der Katze nicht am Schwanz“, „Tritt nicht auf den Laubfrosch“, „Mach den Sessel nicht kaputt“ meint man die Mutter sagen hören. Der Blickwinkel aus Sicht der gequälten Dinge und Tiere ist für jedes Kind aber auch für Erwachsene durchaus erhellend. Die eigene Grausamkeit mit einem gnadenlosen Spiegel vorgeführt zu bekommen hat Folgen: Beim nächsten Mal wird man es sich gut überlegen, bevor man eine Spinne zertritt.

 Barbora Horáková-Joly inszeniert die selten aufgeführte Oper von Maurice Ravel als kunterbuntes kindertaugliches Zauberspektakel, was es ja auch sein soll. Insbesondere die fantasievolle Bühnenausstattung (Marion Menziger) und die fantastischen (und schwierig zu gestaltenden) Kostüme (Bernhard Duss) sind deshalb spektakulär. Einen lebendigen Sessel oder eine tanzende Teekanne zu erschaffen, ist ja gar nicht so einfach. Der Zuschauer fühlt sich permanent wie Alice ins Wunderland versetzt. Der Choreographie (Adrien Boissonnet) gebührt nicht nur Beifall für die klar zu erkennenden Bewegungen der Tiere sondern auch für die sicher mühsame Koordination der vielen als Knaben verkleideten Mädchen der Ballettschule des Theaters Basel, die das Klassenzimmer bevölkern. Besonders herausragend ist auch das Dirigat von Rolando Garza, der zwar nur das Klavier zu vier Händen (Tommaso Lepore, Francesco Carletti), Violoncello (Gunta Abele) und Flöte (Paula da Costa Soares) koordinieren muss, aber diese vier Musiker mit soviel Enthusiasmus anleitet, dass einem gar nicht auffällt, dass es hier nicht ein ganzes Orchester wie in der Originalfassung spielt (Arrangement von Didier Puntos).

Klare Gehempfehlung, und die Kinder mitnehmen!

Alice Matheson

 

 

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