Antonio Vivaldi: Il Giustino • La Cetra Barockorchester • Martinskirche Basel • Konzert: 02.02.2023
«Mulieres in ecclesiis taceant»
Anfang Februar eines jeden Jahres führt das «La Cetra Barockorchester Basel» in der Basler Martinskirche eine Barockoper auf und ist mit dieser dann regelmässig zu «NTR Zaterdagmatinee» im Concertgebouw Amsterdam eingeladen. In diesem Jahr kam Vivaldis «Il Giustino» RV 717 zur Aufführung.
Antonio Lucio Vivaldi (1678-1741) harrt als Opernkomponist weiter der Entdeckung. Die Renaissance Vivaldis begann so richtig in den 1990er-Jahren mit der Arien-CD Cecilia Bartolis und seither kommen seine Opern auch vermehrt als Ganzes zur Aufführung. In Sachen Oper gibt es bei Vivaldi aber noch viel zu entdecken. 94 Opern aus seiner Feder sind überliefert, von 50 Opern sind die Titel bekannt und 20 Partituren sind auf uns gekommen. Zu den überlieferten Partituren gehört auch das Dramma per musica «Il Giustino» RV 717, uraufgeführt zum Karneval 1724 am Teatro Capranica in Rom. Es ist bekannt, dass sich Vivaldi Anfang der 1720er-Jahre vermehrt in Rom aufhielt. Auf Grund der immer noch grossen Lücken seiner Biographie ist aber nicht bekannt, wie oft und aus welchen Gründen. Erhielt er in Venedig wegen der Schmähschrift des neidischen Kollegen Benedetto Marcello keine Aufträge mehr? In Rom liess das Papsttum in der Karnevalszeit jeweils zwei Opern-Produktionen zu: 1723 waren diese eine Oper von Benedetto Micheli und ein Pasticcio von Vivaldi. Vivaldi erhielt Folgeaufträge, so den zu «Il Giustino», Micheli nicht. Das Libretto zu «Il Giustino» von Nicolò Beregan, eines der wenigen jener Zeit mit frühchristlichem Thema, war zuvor schon von Giovanni Legrenzi und Tommaso Albinoni vertont worden. Die Uraufführung mit sieben Kastraten ist dem Ort der Uraufführung geschuldet: 1588 untersagte Papst Sixtus V. per Dekret Frauen Bühnenauftritte im Kirchenstaat. Zur Begründung zog er Petrus 1. Brief an die Korinther 14,34 heran: «mulieres in ecclesiis taceant» («Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde»).
«Il Giustino» ist eine mit überwältigender Phantasie aus stark kontrastierenden Miniszenen zusammengesetzte Oper. Faszinierend ist die Tatsache, dass es Vivaldi gelang, 20 Arien aus 6 früheren Opern und die neu komponierten Arien so zusammenfügen, dass die Grenzen kaum wahrnehmbar sind. Für damalige Verhältnisse ist das Orchester ausgesprochen opulent besetzt. So wird zum Beispiel Giustinos Arie «Ho nel petto un cor si forte» obligat von einem Salterio (im 18. Jahrhundert in Italien und Spanien verbreitete Kastenzither) begleitet. An anderer Stelle baute Vivaldi «La primavera» («Der Frühling») Op. 8 Nr. 1, RV 269 ein Jahr vor dem Druck der Konzertsammlung «Le quattro stagioni» («Die vier Jahreszeiten») ein.
Das La Cetra Barockorchester Basel unter musikalischer Leitung von Andrea Marcon mit der ihm eigenen, schlicht überwältigenden Leidenschaft und Spielfreude. Der Klang ist durch eine kaum für möglich gehaltene Farbigkeit und Lebendigkeit geprägt.
Die solistischen Rollen sind ausgesprochen luxuriös besetzt. Countertenor Valer Sabadus als Kaiser Anastasio begeistert mit einer wunderbar lyrischen Stimme und phänomenaler Technik. Wann hat man je so ein Messa di voce erlebt? Carlo Vistolis Countertenor (Giustino) klingt etwas herber und prunkt im zweiten Teil mit wunderschönen Tiefen. Shira Patchornik ist für die erkrankte Anett Fritsch als Kaiserin Arianna eingesprungen: sie nennt einen strahlende, hellen und klaren Sopran ihr eigen. Marie Lys gibt hochvirtuos eine ausserordentlich farbenreiche Leocasta. Kangmin Justin Kim (Countertenor) als Amanzio gebührt in Sachen Virtuosität die Krone des Abends. Entsprechend wird er vom Publikum gefeiert. Emiliano Gonzalez Toro gibt den Vitaliano mit gepflegtem, wendigen Tenor. Countertenor Alessandro Giangrande als Andronico und Polidarte und Martina Licari als Fortuna.
Barockoper at it’s best!
05.02.2023, Jan Krobot/Zürich