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BASEL: JOHN GABRIEL BORKMAN von Henrik Ibsen – Schneesturm der Gefühle

31.01.2016 | Allgemein, Theater

Schneesturm der Gefühle

Theater Basel: Ibsen: „John Gabriel Borkman“ – Premiere am 30.1.2016


Birgit Minichmayr, Martin Wuttke. Foto: Reinhard Werner/ Burgtheater

Es schneit. Ganze zwei unbepauste Stunden lang. Dicke Flocken rieseln vor schwarzen Himmel, am Boden bildet sich ein weisser Teppich, aus dem sich die Protagonisten bei ihrem Stichwort hervorkämpfen, durch den sie knöcheltief stapfen und in den sie sich in ihrer Verzweiflung fallen lassen. Mehr Bühne ist nicht. Auch nicht nötig. Würden die Basler Zuschauer wegen Reizüberflutung auch nicht verkraften, denn eine solche Intensität des Spiels ist man nicht gewohnt, hierzulande.

Allen voran wankt die umwerfende Birgit Minichmayr als Gunhild Borkman im Negligee leicht angetrunken und kettenrauchend durch den Schnee und lamentiert mit ihrer unverwechselbaren rauen, sich zeitweise überschlagenden Stimme über ihr Leben. Objekt ihrer Tiraden ist ihr Ehemann John, der sich nach seiner abgesessenen langjährigen Haftstrafe wegen Betrugs in den oberen Stock des herrschaftlichen Hauses zurückgezogen hat. Martin Wuttke spielt den gescheiterten Bankier, der in seinem Realitätsverlust immer noch an ein Comeback glaubt, mit einer genialen Mischung aus Egozentrik, Uneinsichtigkeit, Wut, Irrsinn und Verwahrlosigkeit. Die buchstäblich eingefrorene Ehe der Borkmans wird nur noch durch die gegenseitige Verachtung und die (unterschiedlichen) Hoffnungen auf die Karriere ihres gemeinsamen Sohnes Erhart (Max Rothbart) aufrechterhalten, der verzweifelt versucht, sich mittels seiner reichen Freundin Fanny (Nicola Kirsch) von seinen verkorksten Eltern zu lösen.

Nur Johns bester Freund Wilhelm (grandios: Roland Koch) hält noch zu ihm, der in hündischer Anhänglichkeit dem Freund nicht einmal übel nimmt, dass der was mit seiner Tochter Frida (Liliane Amuat) hat.

Das fragile Gleichgewicht bricht durch die Ankunft von Gundhilds Zwillingsschwester Ella Rentheim naturgemäss schnell zusammen. Caroline Peters muss gegen die übermächtige Bühnenpräsenz der Minichmayr hart arbeiten, schafft es aber, das ursprüngliche Spannungsdreieck zwischen Borkmann und den Schwestern wieder herzustellen. Auch sie hat Ansprüche an Erhart: Er soll die Zeit bis zu ihrem Krebstod mit ihr verbringen, schliesslich hatte sie ihn ja nach dem Urteil viele Jahre lang bei sich aufgenommen. Nicht zu vergessen, dass sie die Familie durch den Kauf des Elternhauses vor der Obdachlosigkeit gerettet hat.

Schicht für Schicht wird das Beziehungsgeflecht gnadenlos aufgedeckt. Bei Ibsen bleibt keine Sünde der Vergangenheit ungesühnt. So hatte Ella durch die Abweisung von Johns Freund Hinkel die Katastrophe damals erst ausgelöst. Schliesslich hatte John seine einstige Liebe Ella praktisch seinem Kollegen für die Stelle als Bankenchef „überlassen“. Als Rache für die Abweisung deckte dieser aber Johns Betrug auf.

Der in Basel geborene australische Regisseur Simon Stone hat Ibsens Stück modernisiert. Gunhild googelt sich regelmässig selbst, Erhart korrespondiert mit seiner Tante via Facebook, John sieht zwar nie aus dem Fenster, schaut aber TV und ist von der modernen Welt (inklusive Mammut-DNA) fasziniert. Zu Recht weist Stone auf die Aktualität des Stücks hin. Aber braucht dieses wirklich moderne Sprache, um aktuell zu sein? Wie kürzlich bei der Wildente im Schauspielhaus Basel eindrücklich demonstriert, ist das gar nicht nötig. Ibsen ist zeitlos. Falsche Lebensentscheidungen, Versagen, Selbsttäuschung, wer könnte sich damit heutzutage nicht damit identifizieren?

Es ist wohl der Jugend des Regisseurs geschuldet, nicht daran zu glauben, dass moderne Menschen ohne die Worte Youtube und Facebook Parallelen zu ihren eigenen Leben ziehen können. Das Ergebnis ist aber eine in ihrer Übertriebenheit eher unfreiwillige Komik.

Der frenetische Applaus des Basler Publikums gilt denn weniger der Inszenierung an sich als der Hochkarätigkeit des Ensembles. Da dieses praktisch geschlossen aus Wien übernommen wurde, ist nur zu bedauern, dass einem dieses Niveau hierzulande nicht oft geboten wird.

Alice Matheson

 

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