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BASEL: HÖLDERLIN – EINE EXPEDITION“ von Peter Ruzicka. Premiere

31.05.2015 | Allgemein, Oper

 

Theater Basel: „HÖLDERLIN – EINE EXPEDITION“  von Peter Ruzicka . Premiere  30. Mai 2015


Copyright: Theater Basel

                                     Auf eine Expedition, eine intellektuelle Reise, nehmen der Komponist und Dirigent, Peter Rucicka, und die Regisseurin Vera Nemirova ihr Publikum an dieser Premier mit. Das Produktionsteam um die beiden Künstler verspricht ein Abtauchen in die Welt Hölderlins und seine Sichtweise der heutigen Zivilisations- und Kulturlandschaft an. Um seine Sicht unserer Zeit auch nur andeutungsweise nachzuvollziehen, ist es notwendig Friedrich Hölderlins Zeit(1770 -1843) und sein Werk zu kennen. Vorherrschend für das Musikdrama ist seine Dichtung „HYPERION“. Ebenso sind Kenntnisse der griechischen Literatur und Mythologie gefragt. Ohne dieses Wissen wird es schwierig das Werk, die Vorstellungen des Komponisten und des Librettisten Peter Mussbach zu verstehen.

Das Musikdrama ist aufgeteilt in ein Vorspiel und vier Akte. Auf der Bühne agieren als Protagonisten sechs Sängerinnen/Schauspielerinnen und sieben Sänger/Schauspieler sowie als Sprecher und Sprecherin je ein Schauspieler. Ihre Antagonisten sind das Publikum, ein Spiegelbild der materialistisch/utilitaristischen Gesellschaft von heute. Vera Nemirova siedelt in ihrer Inszenierung die Handlung in einem Theater an, das einem Einkaufszentrum weichen muss. Der Sozialplan sieht vor, dass die Schauspieler umgeschult werden und mit Karrieremöglichkeiten zum Beispiel im Schultheater mitwirken könnten. In Nemirovas Konzept und Regie sind diese Schauspieler jedoch schon gestorben und agieren als Geister. Lebendig sind nur ihre Gegenspieler, dargestellt durch Bauarbeiter und, in einer Geisterproduktion des Theaters, das Publikum und die Politiker.

Vorspiel

Im Theater erwartet ein Sängerensemble den Regisseur für eine wichtige Probe. Die Vertreterin des Immobilieninvestors verkündet die sofortige Schliessung des Theaters und den umgehenden Beginn des Umbaus.

Die vier Akte

Erster Akt:      „DIE ENTFLOHENEN GÖTTER   Die Sänger überwinden ihre Vereinzelung und finden sich zur Verteidigung ihres Theaters zusammen.

Zweiter Akt:   „Zurück – im freien Fall. Rückwärtsgang. Maelstrom“  Die Lage ist aussichtslos aber nicht ernst! Es beginnt die Expedition durch Formen und Geschichte des Theaters.

Dritter Akt:     „ANGST. DIE GEGENWART.“ Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos! Als würde der Geist Friedrich Hölderlins sich des Denkens der Künstler bemächtigen, appellieren einzelne an die Kräfte von Kunst und Vernunft.

Vierter Akt:    „DIE JAHRESZEITEN. NÄCHSTENSMEHR. CONTACT WITH SPACE.“ Die Lage ist ernst und aussichtslos: Unter dem Ansturm der Bauarbeiter bricht das Theater auseinander. Einer, Empedokles, wirft sich in den Abgrund, in den Krater des Ätna. Die Anderen spielen unter freiem Himmel weiter.

Im klassischen Sinn ist das Werk eine Tragödie. Das Scheitern des, der Helden ist vorgegeben. Das Theater wird abgerissen, die Protagonisten sind heimatlos und wissen nicht wo sie sind! Sinnbild jedoch für einen neuen Beginn ist das Schlussbild. Lohengrin trägt auf der Schulter den Schwan, Gottfried, auf die Bühne und lässt ihn dort alleine, ein neuer Anfang! Hier zitiert Vera Nemirova sich selbst, nämlich ihre Lohengrin Inszenierung in Basel von 2014.

Die Musik ist geprägt von der Ästhetik des 19. und des 20. Jahrhundert. Modern und doch melodisch sangbar. Sehr modern wird die Harmonik im Gesang der Künstler auf der Bühne. Erwähnenswert ist dabei, dass Peter Ruzicka auf die Sprachverständlichkeit des Gesanges achtet und keine exzessiven Höhen verlangt. Seine Komposition ist voll von Anspielungen auf Alban Berg und Richard Wagner.

Das Konzept der Regisseurin ist nicht leicht verständlich. Die Personenführung Vera Nemirovas wirkt stellenweise hektisch, löst sich dann aber wieder in Ruhe auf. Es stellt sich für mich die Frage, ob die Szenen der hedonistischen Promiskuität nicht ohne Blut und Schmutz ebenso eindrücklich dahergekommen wären. Sehr eindrücklich war die Ruhe in der Szene aus der Mythologie Griechenlands. Das Bühnenbild, kreiert von Heike Scheele, überzeugte absolut. Ein Theater im Theater! Toll gelöst. Hervorragend auch sind die Kostüme, welche ebenfalls von Heike Scheele entworfen wurden.

Die sieben Herren, M1 bis M7, und die 6 Damen, F1- F6, haben auch Ihre eigene Bühnenerfahrung, Bühnenpersonen in die Inszenierung eingebracht. So agiert M3, der Basler Tenor Rolf Romei, in einer Szene als Parsifal und im Schlussbild als Lohengrin. Beide Rollen hat Romei in Basel gesungen.

Die Sängerinnen F1 bis F6: Sarah Maria Sun, Agata Wilewska, Meike Hartmann, Nathalie Mittelbach, Marie-Louise Dresser, Larissa Schmidt. Als Frau K. (Sprecherin/Vertreterin des Immobilieninvestors) brillierte die Basler Schauspielerin Claudia Jahn.

Die Sänger M1 –M7: Thomas E. Bauer, Zachary Altmann, Rolf Romei, Karl-Heinz Brandt, Eugene Villanueva, Jason Cox, Michael Leibundgut. Als Regisseur im abzubrechenden Theater und Sprecher überzeugte der Schauspieler Christian Heller.

Alle Künstler und Künstlerinnen auf der Bühne überzeugten sowohl als Schauspieler/innen als auch als Sänger/innen. F1, Sarah Maria Sun agierte auf der Bühne. Ihr Part wurde von Lini Gong im Orchestergraben hervorragend gesungen, da Frau Sun indisponiert war.

Der Chor des Theater Basel, einstudiert von Henrik Polus meisterte die schwierige Aufgabe in gewohnter Professionalität hervorragend.

Das Basler Sinfonieorchester SOB unter der Stabführung des Komponisten spielte die spannende Musik von Peter Ruzicka brillant und transparent. Speziell die Musikcluster waren ein Erlebnis fürs Ohr.

Das nicht leicht zu verstehendes Werk endet mit sanftem Ausklingen nach zwei Stunden. Der Schlussapplaus ist freundlich, aber nicht enthusiastisch.

Der abtretende Intendant, Georges Delon, hat wiederum den Mut gehabt ein für das moderne Musiktheater wegweisendes Werk auf die Bühne zu bringen.

Danke Georges, Danke dem Theater Basel!

 Peter Heuberger, Basel

 

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