Basel Schauspielhaus: Dürrenmatt: „Der Besuch der alten Dame“ – Premiere 26.3.2015
Silvester von Hösslin, Zoe Hutmacher, Vera von Gunten. ©Judith Schlosse
Das in der Schweiz nicht gerade selten gespielte Stück inszeniert Florian Fiedler mit einem überraschenden Kunstgriff: Nämlich aus der Sicht der alten Dame. Auf überdimensionalen Leinwänden kann der Zuschauer die Welt durch die Augen der Claire Zachanassian betrachten, von der man nur die Stimme hört. Wie die Bürger von Güllen sie bedrängen, ihr schmeicheln, sie anflehen. Und tatsächlich: Die Dame wirkt so noch dämonischer.
Die Bürger des beschaulichen aber heruntergekommenen Ortes (ansprechendes Bühnenbild von Jens Burde) ähneln sich nicht nur, sie sind nicht zu unterscheiden, schlüpfen doch alle Schauspieler abwechselnd in die Rollen von Herr und Frau Ill, Pfarrer, Polizist, Lehrer, Bürgermeister, etc. Das kollektive Gewissen kommt als fettleibiger Einheitsbrei daher, bei Abstimmungen auch schon mal in Karohemdenuniformen (Kostüme Selina Peyer). Fiedlers Message ist klar: Güllen ist überall. Wir alle können von der Welt zur Hure gemacht werden. Vergessen wird dabei aber, dass im Stück die einzelnen Bürger (z.B. der Lehrer) durchaus verschieden auf die Situation reagieren.
Die Schauspieler (Zoe Hutmacher, Jesse Inman, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Sebastian Grünewald, Mareike Sedl) müssen dabei einen Parcours an Umkleideszenen und Rollenwechseln vornehmen, die Leistung des Einzelnen kann da zwangsläufig nicht mehr gewürdigt werden.
Raffinierte Details – wie die Bezeichnung von Ills Krämerladen als „Handlung“ ohne nähere Bezeichnung oder dessen viel zu niedrige Decke als Sinnbild der Beengtheit von Ills Welt – werten die Inszenierung auf. Gelegentlich schiesst Fiedler aber auch über das Ziel hinaus, so wirken die gelegentlichen Slapstick-Einlagen eher deplaziert (der Gag auf der Parkbank und die mehrfach missglückte Flucht Ills ziehen sich ausserdem zu lange hin). Lustig sollte dieses Stück wirklich nicht sein.
Untermalt wird das Ganze von dem erstaunlich passenden düsteren Sound der Allgäuer Bastardpop-Band Rainer von Vielen.
Fazit: Eine gelungene Inszenierung mit vielen wirklich guten Regieeinfällen, einigen wenigen dämlichen und ein paar Längen.
Alice Matheson