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BASEL: CARMEN

03.01.2012 | KRITIKEN, Oper

Bieito-Inszenierung in Basel: „Carmen“ von Georges Bizet (Vorstellung: 2. 1. 2012)

Tanja Ariane Baumgartner als Carmen und Will Hartmann als Don José. Foto: Hans-Jörg Michel

 Am Theater Basel steht zurzeit „Carmen“ von Georges Bizet in der aus dem Jahr 1999 stammenden Inszenierung von Calixto Bieito auf dem Spielplan (in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln). Der beim Publikum ziemlich umstrittene katalanische Regisseur hatte zuletzt in Basel Bergs Lulu inszeniert, wobei er weder mit Nacktheit noch mit Gewalt geizte und dadurch stark divergierende Meinungen hervorrief. Man konnte also gespannt sein, wie er die von südländischer Leidenschaft beseelte Oper Carmen auf die Bühne stellen würde.

 Vorab ein Zitat aus einem Artikel von Calixto Bieito, der im gut illustrierten Programmheft abgedruckt ist: „«Carmen» begleitet mich nunmehr schon seit vierzehn Jahren. Jedes Mal, wenn ich sie erneut auf die Bühne bringe, überkommen mich dieselben Fragen und Zweifel. Werde ich das innere Pulsieren dieser Frau verstehen? Warum bleibe ich fasziniert von der unwiderstehlichen Anarchie ihrer Vitalität? Woher kommt die unerschöpfliche Tiefe dieser Persönlichkeit? Warum stellt sich für uns ihr Instinkt in seiner ganzen Einfachheit so komplex dar?“

 Der Katalane siedelte die Geschichte in Sevilla kurz nach dem Ende der Franco-Diktatur an und ließ in seiner Inszenierung das gewaltbereite Machoverhalten der Männer auf das neugewonnene Selbstbewusstsein der Frauen prallen, wobei er sich als ein Meister eines packenden Realismus erweist. Dass Gewaltszenen von Männern an Frauen, aber auch von Frauen an Frauen und von Männern an Männern auf der Bühne immer wieder zu sehen sind, muss man bei Bieito in Kauf nehmen. Großartig hingegen seine Personenführung, die in jeder kleinen Szene zu spüren ist und in den Massenszenen eine ungewöhnliche Dynamik erreicht. Die Chorszene vor dem großen Stierkampf im vierten Akt war von einer selten gesehenen Dramatik erfüllt und riss das Publikum zu einem spontanen Beifallssturm hin! Exzellent in Szene gesetzt auch die tödliche Auseinandersetzung zwischen Don José und Carmen am Schluss der Oper.

 Auf der kargen, schwarzweiß dominierten Bühne (Gestaltung: Alfons Flores) genügen ein Fahnenmast, eine Telefonzelle, eine spanische Fahne und ein riesiger Stier für das Ambiente einer spanischen Vorstadt.  Die bunten, teils folkloristisch wirkenden Kostüme entwarf Mercè Paloma. Für die Lichteffekte, die des Öfteren eindrucksvolle Schattenbilder auf die Rückwand der Bühne zauberten, zeichnete Hermann Münzer verantwortlich. Leider verzichtete er nicht auf die sich in den letzten Jahren stark verbreitende Unsitte, das Publikum manchmal durch grell leuchtende Scheinwerfer so zu blenden, dass die Bühne kaum mehr zu sehen war.

 In der Titelrolle brillierte Tanja Ariane Baumgartner mit ihrem geschmeidigen Mezzosopran, der jede Gefühlsregung von Carmen – von Liebe und Leidenschaft bis hin zur Todesahnung –  stimmlich umsetzte. Da sie auch darstellerisch alle Facetten dieser Rolle lustvoll  auszuspielen verstand, kann man durchaus von einer Idealbesetzung sprechen. Ihre künstlerische Entwicklung – vom Rezensenten seit ihrem Auftritt in der Wiener Kammeroper vor einigen Jahren mit Freude beobachtet – hat mit dieser Rolle (nach der Gräfin Geschwitz und der Penthesilea in Frankfurt) einen weiteren Höhepunkt ihrer Karriere erreicht. Man darf auf ihr Debüt  bei den diesjährigen Salzburger Festspielen als Charlotte in Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ gespannt sein.

 Will Hartmann als Don José erwies sich mit seiner hellen, kräftigen Tenorstimme als idealer „Partner“. Auch er bot schauspielerisch eine ausgezeichnete Leistung und konnte dazu mit der Blumenarie stimmlich glänzen. Die südkoreanische Sopranistin Sunyoung Seo spielte keineswegs eine scheue, sondern eine selbstbewusste Micaëla, forcierte aber in ihrer Arie

Je dis que rien ne m’épouvante zu stark. Ihr Landsmann Eung Kwang Lee stellte alles andere als einen eleganten Escamillo dar, konnte aber stimmlich mit seinem kraftvollen Bariton überzeugen. Der irische Bariton Andrew Murphy – auch aus der Wiener Kammeroper bekannt – stellte einen strammen Zuniga dar, während die beiden Sopranistinnen Deborah Leonetti als Frasquita und Geraldine Cassidy als Mercédès zwei kecke Mädchen spielten. Das gut ausgewogene Ensemble ergänzten noch der amerikanische Bariton Christopher Bolduc als Dancaïro und der mexikanische Tenor Noel Rosalio Hernandéz in der Rolle des Remendado.  

 Exzellent der Mädchen- und Knabenkantorei Basel, der durch seinen präzisen Gesang und sein köstlich quirliges Spiel eine echte Bereicherung der Szenen mit dem stimmgewaltigen Chor des Theater Basel (Einstudierung: Henryk Polus) darstellte.

 Die herrlich farbenreiche Partitur Bizets wurde vom Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Gabriel Feltz von Beginn an – mitreißend die Ouvertüre! – mit fulminanter Leidenschaft wiedergegeben und sorgte damit für einen musikalisch hochklassigen Abend. Das Publikum im ausverkauften Haus belohnte alle Akteure mit minutenlangem Applaus und Tanja Ariane Baumgartner als Carmen mit berechtigtem Jubel.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

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