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BASEL: BESUCH IM ORCHESTERGRABEN / GIULIANO BETTA / Interview mit Jean-François Taillard

BASEL Besuch im Orchestergraben „Theater Basel“ – 17. Mai 2014 Dirigent Giuliano Betta

Unbenannt

Nachdem ich einige Jahre ganz normale Aufführungsberichte und Interviews geschrieben habe, merkte ich mit einem Mal, dass ich eigentlich keine Ahnung habe was es für Musiker und Musikerinnen bedeutet, eine Oper im Graben zu begleiten. Ebenfalls hatte ich keine Ahnung, welches die Unterschiede für die KünstlerInnen zwischen der Arbeit auf dem  Konzertpodium und dem Musizieren im Orchestergraben bedeuten. Giuliano Betta, erster Kapellmeister am Theater Basel, hat mir, zusammen mit der Regieassistentin Clara Stadler, den Besuch im Graben ermöglicht und organisiert. Franziskus Theurillat, Geschäftsführer der Stiftung SOB, hat mir die fünf Interviews ermöglicht. Dafür danke ich allen Beteiligten. Ganz speziell gilt mein Dank auch allen beteiligten Musikern und Musikerinnen des SOB, welch mit meinem Besuch an ihrem Arbeitsplatz einverstanden waren.  Das SOB (Sinfonieorchester Basel) ist ein international tätiges Orchester mit 112 Musikerinnen und Musikern aus der ganzen Welt. Sein Chefdirigent, Dennis Russell Davies stammt aus den USA (Toledo, Ohio) und ist nach einer internationalen Dirigententätigkeit, er war unter anderem als GMD am Württembergischen Staatstheater Stuttgart, seit 2009 Chefdirigent des Orchesters. Das Sinfonieorchester Basel wird von einer 1988 gegründeten Stiftung getragen. Stifter sind die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie das Theater Basel und die Allgemeine Musikgesellschaft Basel. Im Sinne der Stiftungsurkunde bezweckt die Stiftung die Organisation, Finanzierung und Verwaltung eines ständigen Orchesters. Das SOB ist neben seiner internationalen Konzerttätigkeit am Theater Basel für das Musiktheater zuständig. Da Davies nur noch selten Opern dirigiert, sind für das Musiktheater unter einigen anderen die Dirigenten Giuliano Betta und Enrico Delamboye zuständig.

Samstag, 17. Mai 2014 

17.00 Uhr:  Meeting mit Giuliano Betta, dem musikalischen Leiter der heutigen Aufführung von „Eugen Onegin“. Letzte Abklärungen und Besichtigung des noch leeren Orchestergrabens.

17.30 Uhr: Peter Bütler, der Orchesterwart weist mir meinen Platz im Orchestergraben zu. Ich habe gute Sicht auf das Dirigentenpult. Vor mir werden die Holzbläser sowie die vier Hornisten Platz nehmen. Es bleibt mir bis Zeit, mich umzusehen. Im Stimmzimmer der Blechbläser höre ich der amerikanischen Hornistin Megan McBride beim Einspielen zu. Bei den Streichern übt eine Violinistin aus Asien.

18.00 Uhr: Interview mit dem Schweizer Jean-François Taillard, Solo-Hornist und Mitglied des fünfköpfigen Orchestervorstands. Er stammt aus La Chaux-de-Fonds. Die Unterschiede zwischen der Arbeit im Orchestergraben und dem Musizieren auf dem Konzertpodium sind wesentlich!“ Das ganze Interview werde ich am Ende meines Berichtes anfügen.

18.30 Uhr: Der Orchestergraben ist eingerichtet. Einzelne Musiker stimmen ihr Instrument, so zum Beispiel der Paukenist.

18.30 Uhr: Interview mit der Japanerin  Hiroko Suzuki. Sie ist eine der beiden Konzertmeisterinnen des SOB. Ihre im Gespräch geäusserte Meinung auf die Frage nach den Unterschieden ihrer Vorbereitung für die Arbeit im Konzert und der Oper: „Meine persönliche Vorbereitung für Konzert und Oper ist die Gleiche. Da aber das Musizieren  im Orchestergraben für mich wesentlich anstrengender ist als Auftritte auf dem Konzertpodium, muss ich im Musiktheater meine Kräfte besser einteilen!“

18.45 Uhr: Interview mit der Solo – Flötistin Julia Habenschuss aus Österreich. Vor ihrer Anstellung im Sinfonieorchester in Basel war sie unter anderem auch an der Bayerischen Staatsoper als Flötistin tätig. Ihre Vorbereitungen auf ein Konzert und eine Oper unterscheiden sich sehr: „Ein Konzert wird nur einmal gespielt, vielleicht zweimal. Wir haben im Allgemeinen sehr wenige Proben. Das heisst ich muss meinen Part im Werk bis auf Letzte beherrschen, sprich zuhause üben, üben. Das gilt natürlich auch für eine Opernproduktion. Wir haben im Musiktheater wesentlich mehr Proben, bei welchen ich mein Spiel nochmals verbessern und vor allem mein Solis dem Dirigenten anpassen kann!“

19.00 Uhr. Der nächste Interviewpartner ist Benedikt Schobel aus Bregenz. Er amtet als Solo-Fagottist. Auch er wechselte von der Bayerischen Staatsoper nach Basel. „Der grösste Unterschied in der Arbeit zwischen Konzert und Oper liegt in der Vorbereitung. Bei einem Konzert haben wir normalerweise nur zweieinhalb Tage Probezeit. In der Oper haben wir meist zwei Wochen Probenzeit. Ich habe Angst, im Musiktheater der Routine zur verfallen, meine Emotionen nicht mehr wach rufen zu können und daran arbeite ich!“

Das letzte Interview mit dem Schweizer Solo-Bassisten Christian Sutter wird auf Bitte des Musikers: „Vor einem Konzert, einer Oper kann ich mich nur auf die Musik konzentrieren, kann keine Ablenkung brauchen!“ bis nach der Aufführung verschoben.

19.15 Uhr: Der Orchestergraben füllt sich mit Leben, mit den Musikerinnen und  den Musikern des Sinfonieorchesters. Instrumente werden gestimmt. Vor mir ein Platz noch leer, es fehlt noch die Italienerin Rossana Rossignoli. Sie spielt Solo-Klarinette. Aber da ist sie ja schon, die für heutigen Dienst eingeteilten  SOB- Mitglieder sind hier.

19.29 Uhr: Die Konzertmeisterin Hiroko Suzuki lässt stimmen.

19.30 Uhr: Eingangsapplaus für Giuliano Betta. Der Graben wird verdunkelt, es erklingen die ersten Takte der Oper. Die Pultlichter gehen wieder an und das Orchester spielt. Und wie es spielt!

Eine zu oft vertretene Meinung besagt, dass alles in einer Opernproduktion, „Eugen Onegin“ wird an der heutigen Dernière in Basel zum 17. Mal gegeben, Routine sei. Der Dirigent sei nur bedingt notwendig. Das Orchester wisse ja was es wie, wann zu spielen habe. Absolut falsch! Die Körpersprache, das Dirigat, die gezeigte Emotion Bettas springen auf die Musikerinnen und Musiker über. Die Musik wird lebendig, elektrisierend! Um dies aber schlüssig festzustellen, musste ich eine Aufführung aus dem Orchestergraben verfolgen. Nur hier kann ich die direkten Einflüsse des Dirigenten auf die Musiker nachvollziehen, kann spüren wie der Funken vom Dirigentenpult zu den Künstlern und umgekehrt überspringt. Als Zuschauer/Zuhörer kann ich nur feststellen: Es war gut, sehr gut oder eben auch nicht. Die Gründe dafür können nur im Graben erfasst werden. Auch die Interaktion zwischen Bühne und Graben wird vom Dirigenten gesteuert. Die Solis der einzelnen Solisten kommen stimmungsvoll daher. Die Einsätze sind präzise und optimal getimt. Was mir auffällt ist der subtile Ton der Horn-Sektion, im Tutti ebenso wie das Solospiel welcher immer richtig in der Dynamik erscheint. Dies trotz meines Sitzplatzes direkt hinter den Hornisten. Die Solo-Flötistin Habenschuss beeindruckt, genau wie der Fagottist Schobel und die Klarinettistin Rossignoli durch saubere Intonation und emotional stimmende Solis. Die anderen Solisten kann ich nicht so gut hören, da sie doch relativweit entfernt sind.

21.00 Uhr: Pause Mich interessiert, mit was sich die Musiker und Musikerinnen in der Pause beschäftigen: Nun: Die einen schauen im Büro des Orchesterwartes einem Fussballspiel zu, andere sind mit ihrem Handy beschäftigt, einige diskutieren über diverse Themen, viel sind im Personalrestaurant. Nichts weltbewegendes, im Jargon der Geschäftswelt:‘ Business as usual‘. Es kann sein, dass in der Pause einer Premiere die Gespräche etwas anders sind, das weiss ich nicht!

21.30 Uhr: Die Konzertmeisterin Hiroko Suzuki lässt stimmen. Giulano Betta erscheint, grosser Applaus, das Orchester erhebt sich und nimmt mit dem Dirigenten den Applaus entgegen. Und weiter geht’s: Zweiter Akt, zweites Bild: Vor dem Duell Lenskij – Onegin: Rolf Romei als Lenskij singt mit vollendeter Intonation und voller Emotionen seine Arie: ‚Er reflektiert sein noch junges Leben und stellt sich vor, wie Olga sich an ihn erinnern wird. Dritter Akt, zweites Bild: Duett Onegin (Eung Kwang Lee) – Tatjana (Sounyoung Seo): Die Intensität das Flehen  Onegins und die Liebe Tatjanas die Zuschauer/-innen erreicht sucht seinesgleichen. Und genau bei diese zwei Szenen wird mir klar, dass ein Gastdirigent, welcher eine oder zwei Aufführungen einer Opernproduktion leitet, nie diese Einheit zwischen Orchester im Graben, den einzelnen Solo-MusikerInnen und den Sängern auf der Bühne erreichen kann. Dieses Zusammenspiel, musikalisch, darstellerisch und emotionell kann nur mit intensiver Probenarbeit erreicht werden. Im Klartext kann dies nur mit dem musikalischen Leiter, der von Anfang an das Werk mit den Künstlern einstudiert, erreicht werden. Dazu kommt, dass die Tagesform der Protagonisten auf der Bühne nur der ständige Dirigent erkennen und darauf reagieren kann. Zuschauer/Zuhörer im Publikumsbereich können nur beurteilen: ‚Gut, sehr gut, na ja!‘

22.20 Uhr: Die letzten Takte verklingen, Vorhang, Applaus, die Sängerinnen und Sänger nehmen den Applaus, dieser ist für alle Künstler wichtig, entgegen. Der Leiter „Theaterchor Basel“, Henryk Polus, erscheint auf der Bühne, Giulano Betta bittet das Sinfonieorchester Basel sich zu erheben, die Saallichter gehen an, ein wundervoller Abend geht zu Ende.

Als Berichterstatter aus dem Graben kann ich nur sagen/schreiben: Danke Giulano, danke SOB für die Gastfreundschaft an eurem Arbeitsplatz. Es war eine tolle Erfahrung für mich. Meine Arbeit als Berichterstatter über Musiktheater wird in der Beurteilung der künstlerischen Leistung genau diese Erfahrung berücksichtigen.

Aus dem Orchester Graben:

Peter Heuberger Basel

 

INTERVIEW: Jean-François Taillard,  Solo Hornist, Mitglied des Orchestervorstandes

Sinfonieorchester Basel

  Unbenannt                                                          

Jean François Taillard: Die Arbeitsbedingungen(Lärmimmission) im Orchestergraben werden  vom 2. Mai im GAV verbindlich geregelt. Wie müssen meine LeserInnen  sich das vorstellen?

Es gibt Vorschriften über Lautstärke, Pegelimmissionen, welche eine bestimmte Schwelle nicht übersteigen dürfen. Das ist die rein technische Vorschrift. Des Weiteren, und da kann ich nur für mich sprechen, kommt es darauf an, wie oft und wie lange ich monatlich einer grösseren Lautstärke als vorgeschrieben ausgesetzt bin. Ist das jeweils nur sehr kurz und kommt monatlich nicht oft vor, muss ich mich nicht schützen. Habe ich viele Dienste, welche lauter als rein technisch gestattet wären, trage ich meistens einen Gehörschutz wenn es effektiv sehr laut wird. Wir haben immer wieder Kollegen/-Kolleginnen welche sich über die Lärmimmission, also Lautstärke beklagen, aber auch sehr viele welche nie Bemerkungen zum Thema Immission machen. Dabei muss ich anmerken, dass ich, als Solo-Hornist ein Schallstück habe, welches meine Kollegen/-innen ins Ohr klingt. Dazu sitze ich im Orchestergraben auf der Seite der Holzbläser, welch in der Lautstärke, mit Ausnahme des Piccolos, sehr angenehm in ihrer Lautstärke sind. In meiner dreissig- jährigen Karriere als Hornist habe selten Ohrschutz getragen und habe keine Hör- Beeinträchtigung. Zu unterscheiden ist auch die Spielart: Eine laute Trompete z.B. wirkt nicht immer zu laut, wenn der Musiker aber „brutal“ spielt, wird es schnell als störend empfunden. Dies hängt auch mit der subjektiven Einstellung zur Lautstärke zusammen. Lautstärke kann auch mit Harmonien/Disharmonien zusammen hängen und dies unabhängig von der effektiv gemessenen Lautstärke. Die Diensteinteilung, die Anzahl der Dienste pro Jahr und die Menge der Arbeitsstunden im Orchestergraben spielen für die Belastung des Gehörs eine sehr grosse Rolle. Wer diese reduzieren kann und will, schont selbstverständlich seine Gesundheit, seine Ohren. Dabei ist zu bemerken, dass sehr hohe Lautstärken selten vorkommen und im Allgemeinen nur sehr kurz sind.

Sie musizieren sowohl auf dem Konzertpodium als auch im Orchestergraben. Worin liegt der Unterschied in den beiden Arbeitsorten?

Der Unterschied ist gewaltig! Für mich ist es im Graben angenehmer, weil ich, bedingt durch die Platzierung der Instrumente, nicht vor den Trompeten sitze. Im Orchestergraben wie hier in Basel, sind die Trompeten und die Timpani, die ganze Perkussion auf der anderen Seite. Natürlich ändert auch im Orchestergraben die Aufstellung und wenn ich dann neben/vor Pauken, Trompeten und Posaunen platziert bin, „leide“ ich mehr, muss mehr aufpassen. Zum Thema Gehörschutz ist auch noch anzumerken, dass ich hie und da zuhause damit übe, um mich an die verminderte Lautstärke zu gewöhnen. Die Intonation ändert mit wirklich professionellem Schutz nicht, wohl aber auch die Lautheit des eigenen Instrumentes. Dazu kommt, dass ohne Üben es fast unmöglich ist, schwierige Solo – Passagen  mit Ohrstöpseln zu spielen. Man/frau sollte also unbedingt auch mal mit Gehörschutz üben!

Im Konzertbetrieb steht das Orchester mit seinem Dirigenten im Mittelpunkt. Die musikalische Motivation ist ausschliesslich auf Ihre Zuhörer fokussiert. Wie können Sie in diesem Bereich den Unterschied zur Arbeit im  Musiktheater beschreiben?

Wer ich im Graben spielt hat, vermutlich weil dieser direkte Kontakt entfällt, seltener Lampenfieber! Hier, wo ich sitze, sieht mich niemand und wenn mir ein Fehler passiert, kann nicht festgestellt werden: ‚Aha, das war Jean-François Taillard und nicht sein Kollege Alejandro Nùñez‘! Auf dem Konzertpodium haben werden auf dem Programm oft unsere Namen Pult für Pult aufgeführt. Natürlich, vor der Premiere einer Oper haben wir MusikerInnen ein bisschen Lampenfieber, wobei ich persönlich wenig darunter leide. Dazu kommt, dass wir im Musiktheater wesentlich mehr Proben als haben, als dies für Konzerte im Allgemeinen der Fall ist und wir spielen ein Werk im Musiktheater sehr oft innerhalb kurzer Zeit. Ein Konzert spielt man vielleicht ein, zweimal en Suite, bei einem Abstecher vielleicht dreimal. Eugen Onegin, heute Abend ist Dernière, haben wir siebzehnmal gespielt. Wir Musiker und Musikerinnen kennen schon lange die „bösen Ecken“ und können uns optimal darauf einstellen. Für berufliche Herausforderung  macht es natürlich einen Unterschied ob wir nach wenigen Proben ein Konzert mit Giergiev geben oder an einer Premiere nach genügend Proben musizieren. Das hat, bitte schön, nichts mit der Qualität des SOB zu tun, sondern nur mit den persönlichen Befindlichkeiten, Emotionen der einzelnen Orchestermitglieder. Dazu kommt, dass man als Mitglied im SOB auf Grund der Dienstpläne nicht alle Werke spielen. Ich habe, trotz meiner 30 Jährigen Karriere als Solo-Hornist beim SOB, noch nie Beethovens neunte Symphonie gespielt.

Vielen Dank, Jean-François Taillard und Toi Toi Toi für Onegin

 

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