Copyright: Theater Basel
Basel: AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE (Luigi Nono)
Besuchte Aufführung: 29.10.2019
„Ohne Liebe geht nichts“
Das Theater Basel, ein Drei-Sparten-Betrieb, hat sich diesem wesentlichen Musiktheater-Werk der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angenommen und eine höchst eindrückliche Aufführung auf die Bühne gestellt. Schon die Ansprüche an den Chor sind enorm, und nicht zu vergessen, die ungemein schweren Gesangspartien. Dann das Orchester, das in oft übereinander gelagerten Cluster-Klängen, fundiert von eingespielten Tonbandaufnahmen von Umwelt- und Naturgeräuschen, zu einer erstaunlichen Klangschönheit findet. Alles das ergibt ein faszinierendes Werk, das nach fast vierzig Jahren seit seiner Entstehung immer noch einen grossen Sog ausübt. Luigi Nono, der hier Texte von verschiedensten Köpfen miteinander verbunden und verarbeitet hat, weicht in seinem Werk geschickt der Gefahr eines Agit-Prop-Werkes aus, das sich auf die Klischees der Rebellions-Romantik verlassen würde. Nono gräbt tiefer; er stellt die Frauen in den Vordergrund, die den Männern aus Liebe – „carico d’amore“ – beistehen, selbst die Initiative ergreifen und „um der Liebe willen“ die Sache vorwärts bringen. Die wesentlichen Ereignisse der Aufstände aus den letzten 100 Jahren gerät hier zur Leidensgeschichte einer geschundenen Menschheit, die um Macht und Geld verraten wird. Am Schluss jedoch, nachdem die Masse dem „Druck von Oben“ – sehr eindrücklich auf der Bühne realisiert – standgehalten hat, dringt Sonnenlicht von oben auf die Menschenmenge. Die oft aggressiv wirkende Musik löst sich fast in einen harmonisch versöhnlich klingenden Choral auf, der den Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schenken soll. Diesen romantischen Schluss, der auch etwas durchaus ehrlich Tröstendes hat, hätte Luigi Nono wohl in unserem Jahrhundert nicht mehr so komponiert. So wirkt seine „Szenische Aktion“, wie er dieses Musiktheaterstück genannt hat, fast wie eine Botschaft aus einer andern Welt. Sind wir denn heute so zynisch geworden, dass wir einem solchen harmonischen Schlussbild skeptisch gegenüber stehen?
Sebastian Baumgarten, hier in seinem Element, hat eine hinreissende Produktion mit der Bühnengestaltung von Janina Audick, Videos von Chris Kondek, der Choreographie von Beate Vollack und mit den Kostümen von Christina Schmitt geschaffen. Schade, dass dies die – hoffentlich vorerst – letzte Vorstellung dieser Aufführungsserie war.
Jonathan Stockhammer ist der überragende Dirigent dieser umspannenden Partitur; das Sinfonieorchester Basel setzt seine Intentionen brilliant um. Der Dirigent hält die Zügel straff, lässt aber auch die von Nono durchaus gewollten Belcanto-Passagen lyrisch aussingen. Warum allerdings diese Sopranpartien derart hoch gesetzt sind, dass die Sängerinnen sie nur mit Anstrengung erreichen können und die Spitzentöne sich echt ins Ohr hineinbohren, leuchtet nicht recht ein. Dagegen ist das Quartett der Prostituierten, auch in einem gewissen Masse „aus Liebe bei der Revolution“, musikalisch interessant, wie sich die vier Solostimmen jeweils innerhalb einer Gesangsphrase ablösen und zum Schluss einen harmonischen Satz bilden.
Neben den Hauptfiguren wie Tania, Louise, usw. war es wohl die Kontraltistin Noa Frenkel, die die Mutter verkörperte, die sich der Empathie des Publikums sicher sein konnte. Diese Partie ist sicher auch diejnige, die man am ehesten fassen kann. Nachdem ihr Sohn von den Schergen ermordet worden war, bricht sie zuerst in Trauer, dann in Wut aus und führt den Kampf für den Sohn weiter. Neben den vielen Solo-Sängerinnen und -Sängern, die allesamt fabelhaft waren, muss der Chor des Theaters Basel und mit ihm sein Kammerchor ganz besonders für seine sängerische und darstellerische Glanzleistung hervorgehoben werden: Einstudierung Michael Clark!
Ein höchst eindrückliches Werk und besonders berührend durch den Strahl der Hoffnung und Liebe, der dieses ganze Unternehmen durchzieht.
John H. Mueller