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BARCELONA: EINE FRÜHLINGSGAUDI ERLEBEN

Barcelona: Eine Frühlingsgaudi erleben, 25.03.2014

von Ursula Wiegand

 Barcelona wirbelt im Frühlingsrausch. Zwar ist es frühmorgens noch recht frisch, doch bald sitzen wieder viele in Blusen und T-Shirts bei Kaffee, Eis und Bier in der Sonne. Andere laufen die Ramblas entlang, wieder andere den Prachtboulevard Passeig de Gràcia, einfach so oder um dort dem berühmten Architekten Antoní Gaudí (1852-1926) so zusagen aufs Dach zu steigen.

 Casa Milà, 1906-12, auf Gaudís Dach steigen, 1
Casa Milà, 1906-12, auf Gaudís Dach steigen. Foto: Ursula Wiegand

 Das lässt sich in der Casa Milà, erbaut 1906- 1912, gut machen, im Volksmund „La Pedrera“ (der Steinbruch) genannt. Auf die gerade zwecks Restaurierung zugehängte Fassade bezieht sich dieser Spitzname nicht, schon eher auf die Steinfiguren auf der Dachterrasse.

Lauter lustig-skurrile Fantasiegeschöpfe bannen dort sofort den Blick. Aber bitte nicht gleich stolpern! Der Boden ist uneben, und ständig geht es, die Figuren umkreisend, über Stufen auf und ab. Die Brüstung ist niedrig, so dass an heiklen Stellen ein Maschendrahtzaun die Menschen vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt.

 Casa Milà, 1906-12, Dachspaziergang bei Gaudí, 2
 Casa Milà, 1906-12, Dachspaziergang bei Gaudí. Foto: Ursula Wiegand

 Diese sonderbare Versammlung kaschiert Schornsteine und Belüftungsschächte. Ein Pulk erscheint mir wie zwitschernde Vogelfrauen, andere schauen mich mit durchlöcherten Köpfen an, oder bauen sich als dräuende Wächter auf. Deutlich sind die Türme von Gaudís bisher unvollendeter „Sagrada Familia“ zu erkennen, Barcelonas Wahrzeichen.

Die Stadt besitzt die Rekordzahl von 14-Gaudí Werken, von denen einige von der UNESCO zum Welterbe erklärt wurden. Auch andere Bauten hatten diese Ehre. Mit neun Welterbestätten ist Barcelona der internationale Spitzenreiter.

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Casa Calvet, 1898-99. Foto: Ursula Wiegand

 Nach einem Gang durch die Ausstellungen in den Etagen der Casa Milà tippele ich – die Casa Battló für den Abend aufhebend – zu Gaudís Casa Calvet (von 1899) in einer engen Seitenstraße. Dort lässt sich aber nur die noch recht schlicht gestaltete Fassade mit den schön geformten Balkons bewundern, denn das Haus ist bewohnt und kein Museum.

 Casa Battló, Fassade, beleuchtet, 2
Casa Battló, Fassade, beleuchtet. Foto: Ursula Wiegand

 Anders die Casa Battló auf dem Passeig de Gràcia, eines der großartigsten Beispiele für den Modernismo, die katalanische Variante des Jugendstils. Die wird, wenn es dunkelt, beleuchtet und wirkt dann besonders märchenhaft. Beim Gang durch das von 1904-1906 erbaute Haus lässt sich jedoch nicht nur Gaudís überbordende Fantasie erkennen, sondern auch sein immenses handwerkliches Können.

 Casa Battló, das schöne Saal-Fenster, 1
Casa Battló, das schöne Saal-Fenster. Foto: Ursula Wiegand

 Durch seine Ausbildung als Kupferschmied in der Familienwerkstatt hatte er schon in jungen Jahren Geschicklichkeit und Materialkenntnisse erlangt, die der auch mathematisch begabte Künstler bald auf Holz und Stein übertrug. Schon das geschwungene Holzgeländer, das sich der Hand angenehm anpasst, beweist das. Noch mehr aber die formvollendete Gestaltung des Saals in der Beletage mit seinem großen, geschwungenen Fenster, das drinnen und draußen in Kontakt bringt.

 Casa Battló, Innenhof, blau gekachelt
Casa Battló, Innenhof, blau gefliest. Foto: Ursula Wiegand

 Doch damit nicht genug. Gaudí, der jeden Tag auf der Baustelle war, sorgte im gesamten Haus für perfekte Belüftung und Lichtführung und war damit seiner Zeit weit voraus. Beispielsweise sind die Fliesen im Innenhof im obersten, sonnennäheren Stockwerk in dunklerem Blau gehalten als die im Parterre und leiten so das Licht von oben nach unten. Auf der Terrasse zeigt sich Gaudí schließlich als Mosaikmeister und hat Schmuckelemente aus bunten Keramikbruchstücken entwickelt. Auch hier dienen aparte Gebilde zur Verkleidung von Schornsteinen.

 Park Güell, 1900-1914, ein Besuchermagnet
 Park Güell, 1900-1914, ein Besuchermagnet. Foto: Ursula Wiegand

Solche Mosaike zieren insbesondere die Bauten im Park Güell, verwirklicht 1900-1914, und machen ihn zu einem Ort der Lebensfreude. Für viele ist dieser, einen Hügel nutzende Park der Höhepunkt in Gaudís Schaffens. Seine Naturliebe und seine von der Natur inspirierte Gestaltungskraft vereinen sich hier zu einem überaus einladenden Gesamtkunstwerk.

In Scharen gehen Katalanen und Besucher aus aller Welt die doppelseitige Freitreppe hinauf, streicheln dabei eine bunte Mosaik-Eidechse und zücken fortwährend die Kameras. Oberhalb der Säulenhalle verlockt eine Freiterrasse zum Sonnetanken und zum Blick auf Barcelona. Und auf der hübsch geschwungenen, ebenfalls Mosaikverzierten Sitzanlage möchten alle am liebsten stundenlang verharren.

 Park Güell, Gaudís letzter Wohnsitz, 4
Park Güell, Gaudís letzter Wohnsitz. Foto: Ursula Wiegand

 Andererseits lockt der schattige Park zum Erkunden. Unter Palmen, dann durch strotzendes Grün und bunte Blüten geht’s hinauf zu einem weißen, zurückhaltend verziertem Haus. Das war Gaudís letzte Wohnstätte und ist nicht zu besichtigen. Gut zu Fuß muss er bis zuletzt gewesen sein. Mit 74 Jahren starb er an keiner Krankheit. Eine Straßenbahn hatte ihn angefahren.

 Sagrada Familia, Türme im Abendlicht
Sagrada Familia, Türme im Abendlicht. Foto: Ursula Wiegand

 Bis zu seinem plötzlichen Tod hatte er sich insgesamt 43 Jahre intensiv seinem opus magnum gewidmet, der schon erwähnten „Sagrada Familia“. Ein Riesenprojekt, von dem er wusste, dass er die Fertigstellung nicht erleben würde, zumal diese Sühnekirche nur aus Spenden finanziert werden sollte. Gaudí, sehr religiös, sah das gelassen und soll gesagt haben: „Mein Kunde hat keine Eile.“ Gott war damit gemeint. Nach mehreren Baupausen, u.a. durch den spanischen Bürgerkrieg, drehen sich die Kräne weiterhin. Auf  vielen Fotos werden sie einfach wegretuschiert.

Sagrada Familia, Geburtsfassade, Ausschnitt 
 Sagrada Familia, Geburtsfassade, Ausschnitt. Foto: Ursula Wiegand

 Der Bau wurde schon 1882 von Francisco de Paula Villas Y Lozano im neogotischen Stil begonnen und von Gaudí 1883 übernommen, der alsbald den Jugendstil wählte. Nach einer unerwartet umfänglichen Spende plante er eine grandiose, 90 Meter lange Kirche mit 18 Türmen: 12 für die Apostel, 4 für die Evangelisten, einen für die Mutter Maria und den höchsten, 170 Meter messend, für Christus.

Bei seinem Tod stand erst ein Turm, die Geburtsfassade beinahe. Inzwischen sind es acht Türme, doch an denen wird weiter gewerkelt. Die Passionsfassade, an der der katalanische Maler und Bildhauer Josep Maria Subirach seit 1986 arbeitet, ist noch nicht vollendet. Der bevorzugt einen ruhigen, moderneren Stil, Seine kantigen Figuren, die Jesu Leidensweg darstellen, finden jedoch keine einhellige Zustimmung. Und mit der von Gaudí geplanten Herrlichkeitsfassade hat man noch gar nicht begonnen.

Glücklicherweise war die Krypta seit 1889 fertig, und so fand Gaudí dort seine letzte Ruhestätte. Sie ist der einzige stille Ort, wird nur frühmorgens und abends geöffnet, wenn die Kirche für Besucher geschlossen ist. Durch den Andrang herrscht im Gotteshaus reichlicher Lärm. Schulklassen und Menschen fast aller Völker und Konfessionen sollen und wollen dieses sakrale Wunderwerk sehen.

 Sagrada Familia, ein Säulenwald
 Sagrada Familia, 1883-1926, ein Säulenwald. Foto: Ursula Wiegand

 Ein entscheidender Schritt war die Weihe der Kirche durch Papst Benedikt XVI. am 7.November 2010, der sie sogleich zur päpstlichen Basilica minor erhob. Seitdem werden an hohen Feiertagen und bei besonderen Anlässen Gottesdienste gefeiert. Doch ob die Sagrada Familia, wie geplant, bis 2026 – Gaudís 100. Todestag – tatsächlich vollendet sein wird, weiß nur der liebe Gott.

Doch schon jetzt beeindruckt diese außergewöhnliche Kirche mit einer ausgeprägten Apsis und ihren unterschiedlichen, leicht gedrehter Säulen, die sich im Gewölbe bündeln. Die wirken – wohl ganz im Sinne Gaudís – wie schräg stehende Bäume, deren Kronen zusammenwachsen. Die Sonnenstrahlen, die ins hohe Kirchenschiff fallen, umschmeicheln, so erscheint es mir, ein mit Blüten (den „Schluss-Steinen“) durchsetztes Blattwerk.

 Palau de la Música, ein Jugendstil-Juwel
Palau de la Música, ein Jugendstil-Juwel. Foto: Ursula Wiegand

 Doch Gaudí war nicht der Einzige, der auf den Modernismo setzte. Ein weiteres Jugendstil-Juwel schuf Lluis Domènech i Montaner mit dem „Palau de la Música Catalana (von 1908). In diesem prachtvollen Konzertsaal mit der exquisiten Deckenleuchte gibt sich die Weltelite der Musik von Klassik bis Pop ein Stelldichein. Wuchtig braust der Orgelklang durch den auch akustisch perfekten Raum. Wer noch mehr über diesen Baustil wissen möchte, geht anschließend ins „Museu del Modernisme Català“.

Nach soviel Jugendstil-Überschwang und soviel „bunt is(t) beautiful“ verlangen meine Augen nun nach ruhigen Formen und Farben. Die finden sich im „Barri Gòtic, dem gotischen Altstadtviertel (CiutatVella) mit seinen engen Straßen und verschwiegenen Plätzen. Die stille „Plaça de Sant Felip Neri“ war Gaudís Lieblingsplatz.

 Santa Maria del Mar, gotisches Kirchenschiff
Santa Maria del Mar, gotisches Kirchenschiff. Foto: Ursula Wiegand

 Ansonsten wird dieses Viertel, wo sich auch das Picasso-Museum befindet, durch den einstigen Königspalast und die wuchtige Kathedrale (mit neogotischen Türmen) geprägt. Die echt gotische Kirche Santa Maria del Mar, erbaut 1329-1370, stellt mit ihrem erhabenen Kirchenschiff die große Schwester stilistisch weit in den Schatten.

 Agbar-Turm von Jean Nouvel
Agbar-Turm von Jean Nouvel. Foto: Ursula Wiegand

 Doch bei Gotik, Jugendstil, großartigen Gründerzeit-Bauten und Allerweltsmietshäusern bleibt Barcelona nicht stehen. Heutige Star-Architekten haben dort bereits Wegmarken der Moderne gesetzt. So der Franzose Jean Nouvel mit dem Agbar-Turm, der aber mit seinem changierenden Farbenspiel durchaus den Modernismo zitiert.

 Museu Blau, Herzog & De Meuron, 3
 Museu Blau, Herzog & De Meuron. Foto: Ursula Wiegand

 Zu einer Attraktion auf dem Forùm, dem weitläufigen Neubau-Areal am Meer, ist das  „Museu Blau“ der Schweizer Architekten Herzog & De Meuron geworden, die Heimstatt des Naturkundemuseums.

 Museum MACBA von Richard Meier, Glasfront spätabends
Museum MACBA von Richard Meier, Glasfront spätabends. Foto: Ursula Wiegand

 Dass Bauten von Star-Architekten einen Stadtteil deutlich aufwerten und Mut machen, beweist das MACBA (Museum für moderne Kunst) des US-Amerikaners Richard Meier im Viertel El Raval. Schneeweiß, mit teils geradem, teils geschwungenem Baukörper und breiter Glasfassade setzt es einen positiven Kontrapunkt. Auf dem Platz davor üben die Kids Skateboard-Kunststücke.

 Barcelona-Pavillon, Mies van der Rohe, 2
Barcelona-Pavillon, Mies van der Rohe. Foto: Ursula Wiegand

Dankenswerterweise haben die Katalanen auch den seinerzeit sensationellen Barcelona-Pavillon, den Mies van der Rohe für die Weltausstellung von 1929 konzipiert hatte, an selbiger Stelle wieder aufgebaut. Ein früher Vorreiter der zeitgenössischen Moderne.

 Nach diesem ausgiebigen Architektur-Parcours sind Erholung und ein Überblick fällig. Also per Bus hinauf auf den Hügel Montjuїc und dort zur Fundacíó Joan Miró. Ein weißes Bauwerk von Josep Lluís Sert hütet hier Mirós herrlich verspielte, ein Lächeln herbeizaubernde Bilder und Skulpturen.

 Fundació Joan Miró, Bronze-Figur und Barcelona-Blick
Fundació Joan Miró, Bronze-Figur und Barcelona-Blick. Foto: Ursula Wiegand

 Zunächst  Kaffee und Kuchen im Freien, dann ein Gang durch die Dauerausstellung. Fotografieren ist drinnen nicht erlaubt. Nur eine bronzene Schöne (von 1968), genannt „Mond, Sonne und ein Stern“ auf einer Terrasse bildet den fröhlichen Vordergrund für einen Blick auf das leicht verschleierte und so vielfältige Barcelona.

 

Infos: Catalan Tourist Board – Central Europe, Katalonien Tourismus, Tel: + 49 69 7422 4873, Fax: +49 69 7422 4896 sowie unter www.act.cat  und www.catalunya.com.

Lektüre: „Barcelona“ von Dumont direkt, 3. aktualisierte Ausgabe 2014. Preis in Deutschland  9,99 Euro, in Österreich 10,30 Euro.

 

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