Barbara Beßlich:
DAS JUNGE WIEN IM ALTER
Spätwerke (neben) der Moderne 1905-1938
408 Seiten, Böhlau Verlag, 2021
Die Umschlagfotos signalisieren einiges: Arthur Schnitzler, schon alt, aber vergnügt in die Kamera lachend; Hugo von Hofmannsthal, mittelalterlich, ernst; und Hermann Bahr und Peter Altenberg, vielleicht eher frierend, in das, was Herren damals als Badeanzüge trugen, am Lido. Prominente Gesichter. Der Glanz der Jugend ist vorbei.
Darum geht es in dem Buch von Barbara Beßlich, Professorin für Neue Deutsche Literatur an der Universität Heidelberg. Ein narratologisches Projekt über „unzuverlässiges Erzählen“ brachte sie zur Wiener Moderne. Ein Kolloquium über Jüdische Intellektuelle kam dazu, eigene Hauptseminare in Heidelberg desgleichen. Das Ergebnis liegt nun in Buchform vor.
Es ist allerdings, obwohl es kein Sammelband verschiedener Autoren ist, keine konsequente Betrachtung des „Jungen Wien“ und der Entwicklung der einzelnen Autoren im Alter. Vielmehr umkreisen Einzelartikel Einzelaspekte – und lassen eigentlich wünschen, man hätte den dichterischen Weg gerade nachgezeichnet erhalten…
Zuerst das „Junge Wien“, das sich wirklich eher zufällig im Kaffeehaus traf, damals, im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Der eine (Hofmannsthal) noch ein Gymnasiast, der andere (Schnitzler) praktizierender Arzt, weil man vom „Dichten“ erst viel später leben konnte, die anderen entweder reich (Beer-Hofmann) oder als Brotberuf journalistisch tätig (Bahr, Dörmann, Salten). Peter Altenberg war eine Randgestalt, gehörte eigentlich zur anderen „Fraktion“, die aus anderer Kaffeehausecke eher feindselig herüber sah und sich um Karl Kraus scharte.
Sie wurden als junge Männer mit Werken berühmt, die damals fortschrittlich waren. Bekanntlich bleibt man nicht jung, und es ist unabdingbar, sich weiter zu entwickeln. Hier setzt die Autorin ein. Alle diese jungen Dichter hatten beschlossen, vom Schreiben zu leben, und das war vor mehr als hundert Jahren nicht leichter als heute. Wenn Felix Dörmann, Felix Salten und Paul Wertheimer Operetten-Libretti für Oscar Straus schrieben, fiel das durchaus in ihr Genre und ihre Begabung. Wenn Arthur Schnitzler es (mit der „Tapfere Cassian“) versuchte, gelang es nicht. Er verstand zu wenig davon.
Nächste Station ist der Erste Weltkrieg – was taten die Dichter? Die meisten verdingten sich der Kriegspublizistik. Dass Arthur Schnitzler es betont nicht tat, hätte der Autorin ein Kapitel wert sein müssen. Aber sie widmet sich ihm später.
Nach dem Ersten Weltkrieg war erst einmal alles zu Ende, vor allem Schnitzler galt als Autor der „versunkenen Welt von gestern“. Hofmannsthal („Jedermann“) und Bahr wandten sich dem Katholizismus zu, für Richard Beer-Hofmann, den überzeugten Juden, war religiös Jüdisches immer ein Thema gewesen. Ein Kapitel über die Lessing-Rezeption der ehemaligen „Jung Wiener“ überzeugt weniger.
Schließlich bietet die Autorin eine ausführliche Analyse von Schnitzlers spätem Roman „Therese“, ein Buch, das den Dichter rein inhaltlich von seinem bisherigen Schaffen abkoppelt, ein Werk, das viel Geringschätzung erfahren hat und dem sie Gerechtigkeit widerfahren lassen will.
Ein Schlenker ins „Persönliche“ ist die Geschichte der Haß-Liebe, Bewunderung und Geringschätzung, die Raoul Auernheimer für Schnitzler hegte – ein Stückchen Dichteralltag, menschlich kläglich.
Dann noch ein Blick auf späte Schnitzler-Novellen, diesmal im Hinblick auf das „unzuverlässiges Erzählen“ betrachtet, von dem die Autorin einst ausgegangen ist (kann der Leser der Erzähler-Figur in den gewählten Werken glauben? Oder wie stark sind die Brechungen zwischen Selbstbetrug und Betrug?).
Wie gesagt, es ist ein Puzzle, Einzeluntersuchungen, wohl eine Sammlung von germanistischen Arbeiten, die Professoren am Rande ihrer Universitätstätigkeit verfassen. Die Vorgabe, den Dichtern des „Jungen Wien“ in ihr Alterswerk zu folgen, wird nur sehr bedingt erfüllt.
Renate Wagner