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BADEN/ Stadttheater: VIKTORIA UND IHR HUSAR

19.02.2012 | KRITIKEN, Oper

Operette für Schwerhörige in Baden: „Viktoria und ihr Husar“ von Paul Abraham (Vorstellung: 19. 2. 2012)


Kerstin Grotrian, Reinwald Kranner. Foto: Christian Husar

 Die Operettenmetropole Baden zeigt im Stadttheater zurzeit ein musikalisch reizvolles Werk des in Ungarn geborenen Komponisten Paul Abraham: „Viktoria und ihr Husar“, deren Uraufführung knapp vor Weihnachten 1930 in Wien stattfand und das durch den enormen Melodienreigen zu den größten Operettenerfolgen der folgenden Jahre werden sollte. Dazu trug gewiss auch das ansprechende Libretto bei, das Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda nach dem ungarischen Original von Imre Földes und Imre Harmath verfassten.

 Die Handlung, die in Sibirien, Japan, Sankt Petersburg (von 1914 bis 1924 Petrograd genannt) und in Ungarn kurz nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1918 spielt, in Kurzfassung: Der ungarische Husarenrittmeister Stefan Koltay ist mit seinem Burschen Janczy aus russischer Gefangenschaft in Sibirien geflohen und nach Tokio gekommen, wo er in der amerikanischen Gesandtschaft Schutz sucht. Dort begegnet er seiner früheren großen Liebe Viktoria, die nun die Gemahlin des amerikanischen Diplomaten John Cunlight ist. Koltay erinnert Viktoria an ihren Treueschwur vor dem Krieg, worauf sie ihm erklärt, ihre Ehe mit Cunlight erst nach der Meldung über seinen Tod geschlossen habe. – Die Versetzung Cunlights nach Petrograd führt zu neuen Problemen, da die Russen die Auslieferung Koltays vom amerikanischen Gesandten  fordern, die er jedoch ablehnt. Koltay aber verschmäht die Hilfe des Mannes, der zwischen ihm und Viktoria steht und liefert sich selbst dem Feind aus. – Ein Jahr später wird im ungarischen Dorf Doroszma, wohin auch Viktorias Bruder Ferry (in Baden Freddie) mit seiner Braut O Lia San und Janczy mit der Kammerzofe Riquette kommen, ein Weinlesefest gefeiert, bei dem nach altem Brauch drei Brautpaare zusammengeführt werden. Als Cunlight in Doroszma eintrifft, zeigt sich Viktoria, die inzwischen von ihm geschieden wurde, zu einer neuerlichen Verbindung mit ihm bereit. Doch als in diesem Augenblick der auf Cunlights Intervention begnadigte Koltay heimkommt, steht einem glücklichen Happyend nichts mehr im Wege: Viktoria kann endlich mit ihrem Husaren glücklich werden.

 „Altmeister“ Robert Herzl inszenierte die Operette mit großer Routine sehr stimmungsvoll, wobei der größte Schwerpunkt auf den Tanzszenen lag, die das Publikum durch die brillanten Leistungen (Choreographie: Mátyás Jurkovics) begeisterten, wobei nicht allein das bewährte Ballett der Bühne Baden stach. Erstaunlich die Geschmeidigkeit und die tänzerischen Fähigkeiten der beiden Buffo-Paare! Passend auch die Gestaltung der Bühne, die das jeweilige Ambiente der verschiedenen Orte widerspiegelte (Ausstattung: Pantelis Dessyllas).

 Eine Frage muss allerdings gestellt werden: Wer hatte die unselige Idee, die Sängerinnen und Sänger – auch des Chors (Leitung: László Gyükér) – mit Wangenmikrophonen auszustatten? Hatte man so wenig Vertrauen zu den Stimmen? Und das in einem nicht gerade großen Haus? Jedenfalls verleiteten die „Stimmkrücken“ das Ensemble, viel zu laut zu deklamieren – ein Phänomen, das auch in anderen Häusern immer wieder zu beobachten ist. Erst nach der Pause nahmen sich die Sängerinnen und Sänger ein wenig zurück, wodurch die Wortdeutlichkeit und auch die musikalische Qualität stiegen. Lautstärke war noch nie ein Qualitätsmerkmal, was auch für das von Franz Josef Breznik geleitete Orchester gilt.  Aber wozu sich zurücknehmen, wenn das Ensemble ohnehin über so praktische Stimmkrücken verfügt? „Operette für Schwerhörige“, war nur eine von vielen Sprüchen, die man in der Pause von Zuschauerinnen und Zuschauern aufschnappen konnte.  

 Schade, dass dadurch die phantasievolle und herrlich kolorierte Partitur des Komponisten, die russische, japanische und ungarische Stimmungen einfühlsam charakterisierte, nur grell und plakativ zu hören war, obwohl diese Operette mit einer Fülle von ins Ohr gehenden Melodien aufwartet: „Ja, so ein Mädel, ungarisches Mädel“, „Meine Mama war aus Yokohama“, „Mausi, süß warst du heute Nacht“, „Pardon, Madame, ich bin verliebt“, „Nur ein Mädel gibt es auf der Welt“ und das sentimentale „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“.

 Dass alle diese Lieder vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurden, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Die schauspielerischen Leistungen fast des gesamten Ensembles konnten sich sehen lassen, die gesanglichen zu bewerten, widerstrebt mir. Die Koloratursopranistin Kerstin Grotrian war eine noble und sympathisch wirkende Viktoria. Sie und auch die anderen Sängerinnen hätten nie und nimmer der Stimmkrücken bedurft! Äußerst temperamentvoll und tänzerisch exzellent die Sopranistin Johanna Arrouas als

O Lia San, reizend auch Gabriele Kridl als Kammerzofe Riquette.

 Von den männlichen Darstellern muss der ungarische Buffotenor Tibor Szolnoki an vorderster Stelle genannt werden. Er war als Janczy die Idealbesetzung und trumpfte mit seinem ungarischen Akzent zur Freude des Publikums auf. Rollendeckend agierte der Tenor Reinwald Kranner als Husaren-Rittmeister, zurückhaltend nobel – auch im Verzicht – der Tenor Darius Merstein-MacLeod als amerikanischer Diplomat John Cunlight. Seine tänzerische Begabung stellte Stefan Bleiberschnig als Viktorias Bruder unter Beweis, mit seinem urkomischen Talent begeisterte Robert Sadil als Butler der amerikanischen Botschaft das Publikum in jeder Szene!

 Viel Szenenbeifall des Badener Publikums während der drei Akte, am Schluss lang anhaltender Applaus. Es bleibt die Hoffnung, dass die nächsten Produktionen der Operettenmetropole ohne die hässlichen Wangenmikrophone stattfinden werden!

 Udo Pacolt, Wien – München

 

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