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BADEN / Stadttheater: MY FAIR LADY – Premiere

Die Inszenierung von „My Fair Lady" - an der Bühne Baden leider baden gegangen

22.10.2023 | Allgemein, Operette/Musical
my fair lady 2023

Patrizia Unger (Eliza) und Oliver Baier (Henry Higgins). Alle Fotos: Bühne Baden / Gregor Nesvadba

BADEN BEI WIEN / Stadttheater: Premiere von MY FAIR LADY

21. Oktober – Premiere

Von Manfred A. Schmid

My Fair Lady von Alan Jay Lerner (Buch) und Frederick Loewe (Musik), die Geschichte des Blumenmädchens Eliza, das vom Sprachwissenschaftler Professor Henry Higgins aus der Gosse aufgelesen und durch Sprachunterricht und Training in standesgemäßem Benehmen gesellschaftsfähig gemacht wird, gehört zu den Klassikern des Musical-Genres. Die Vorlage lieferte George Bernhard Shaws Komödie Pygmalion. Der für seine spöttische Einstellungen gegenüber gesellschaftlichen Konventionen und politischen Verhältnissen berühmte Autor macht sich darin über Standesunterschiede lustig und zeigt, dass eigentlich jeder Mensch, wenn er sich vor allem sprachlich gewandt ausdrücken sowie angepasst benehmen kann, sozial aufsteigen kann. Nicht die angeblich „blaublütige“ Abstammung ist dafür die Voraussetzung, sondern das damit verbundene Privileg einer guten Ausbildung, das Menschen aus unteren Schichten verwehrt bleibt. Gäbe es nicht den unverdienten Vorzug standesgemäßer Geburt, wären alle Menschen prinzipiell gleich. Dass Konversationstalent und gutes Benehmen nichts mit inneren Werten zu tun haben müssen, sondern erlernbar und daher auch nur äußerliches Blendwerk sein können, demonstriert Shaw am sarkastischen Beispiel von Elizas Vater Alfred P. Doolittle, der bei seinem Besuch bei Higgins einen rhetorisch so überzeugenden Eindruck hinterlässt, dass er, Müllkutscher von Beruf, von Higgins als Gastredner sofort weiterempfohlen wird und in Zukunft gut davon leben  kann.

My Fair Lady, die Musical-Version des Stoffes, die auch in der Verfilmung mit Audrey Hepburn in der Titelrolle und Rex Harrison als Professor Higgins Furore gemacht hat, spielt in London im Jahr 1912. Hausherr und Regisseur Michael Lakner versetzt in seiner Inszenierung die Handlung in die Kaiserstadt Baden und gibt dafür im Programmheft als Begründung an, dass man hier alle notwendigen Schauplätze habe, „von der Trabrennbahn über das Casino und den Grünen Markt bis hin zum Rosenfest“. Die Ausstattung von Alexia Redl und seine Bühnenbilder sind diesem Umstand auch gut angepasst. Aber genügt das wirklich? Um dieses Vorhaben schlüssig umzusetzen, wäre jedenfalls eine Reihe von Adaptierungen unabdingbare Voraussetzung. Zuallererst die sprachliche Ebene: Die Badener Eliza spricht „stoasteirisch“, weil ihre Mutter, so Lakner, aus der Steiermark stammt. Leider kann aber hier von „Stoasteirisch“ keine Rede sein. Es gibt zwar viele „Ous“, wie im gerne zitierten Fragewort „Wou?“, aber leider auch dort, wo sie nicht am Platz sind. Und das „Wunderscheijn“ in Elizas erstem Lied erinnert eher an den jiddische Evergreen „Bei mir bist du scheijn“ als an steirische Mundart. Dieses überstrapazierte, gekünstelte Steirisch mag zwar für Lacher sorgen, kann für empfindsame Ohren aber auch eine Belastung sein. Nichts ist peinlicher, als wenn ein Deutscher sich in österreichischer Mundart versucht. Ansonsten gibt es noch jede Menge Wienerische Dialekte und natürlich das „gepflegte Hochdeutsch“, das Eliza von ihrem gestrengen Lehrer unerbittlich eingedrillt wird, geht es bei seinem Erziehungsprozess doch darum, eine Wette zu gewinnen, die er mit Oberst Pickering ausgemacht hat, und nicht um altruistische oder gar philanthropische Motive. Sprachlich problematisch und nicht plausibel ist zudem der Umstand, dass die Namen der handelnden Personen nicht „eingedeutscht“ sind, sondern dass man es mit Badener zu tun hat, die unbegreiflicherweise weiterhin Eliza Doolittle, Frau Pearce, Freddy Eynsford-Hill und Lord Boxington heißen…

my fair lady 2023

Chris Lohner (Frau Higgins) und Chistoph Wagner-Trenkwitz (Oberst Pickering)

Das Hauptproblem dieser Inszenierung ist aber nicht die sprachliche Ebene, auch wenn manche Formulierungen heutzutage gar nicht mehr gebräuchlich sind. Es geht vielmehr um die Inhalte, die hier sprachlich übermittelt werden. Lakner versetzt nämlich die Handlung nicht nur nach Baden, was allein schon schwer umsetzbar wäre, sondern noch dazu in die Gegenwart: Baden 2023.  Das wird kompliziert. Denn der menschenverachtende Umgang von Professor Higgins mit dem Blumenmädchen Eliza, ihre Beschimpfung als ungewaschene, stinkende, verkommene Kreatur, mag um 1900 irgendwie noch Usus in manchen Kreisen gewesen sein, ist aber spätestens im Jahr 2023 völlig deplatziert, intolerabel und tut wirklich weh. Den eingeschworenen Junggesellen Higgins als „typischen Macho, bekennend frauenfeindlich“ vorzuführen, reicht als Begründung dafür nicht aus. Wenn man die Handlung ins Heute versetzt, müsste man auch textlich eingreifen, um die Beziehung zwischen Higgins und Eliza, die schließlich zu einem emotionalen Verhältnis wird, halbwegs erträglich, nachvollziehbar und akzeptabel zu machen. Elizas Rückkehr zu Henry Higgins, nachdem ihr klar geworden ist, wie schmählich er sie als Objekt für sein „wissenschaftliches“ Experiment wie auch als Wettgegenstand behandelt hat, bleibt ansonsten unbegreiflich. In einer Gesellschaftskomödie um 1900 mag seine Frage „Wo sind meine Pantoffel?“ noch als witzige Schlusspointe durchgehen. Heutzutage wohl kaum mehr. Da genügt es auch nicht, dass so nebenbei von CDs und Facebook die Rede ist und Oberst Pickering einmal sogar einen Handyanruf tätigt und sich bei der Polizei als „Oberst Pickering“ meldet. Das mag 1912 in London wie auch in Baden noch Eindruck gemacht haben. Heute kaum mehr vorstellbar. Die gesellschaftlichen Bedingungen und Abhängigkeitsverhältnisse haben sich geändert, so dass Zustände, die vor rund einem Jahrhundert noch gang und gäbe gewesen sein mögen, längst nicht einfach als andauernder Status gelten können, wie dass hier der Fall ist. Wollte man London durch Baden bei Wien ersetzten, ohne große Änderungen vornehmen zu müssen, dann ginge das nur, indem man das Ganze originalgetreu zur vorletzte Jahrhundertwende ansetzt und statt Oxford-English und Cockney-Slang eben Schönbrunnerdeutsch und niederösterreichisch-wienerische oder, wenn es denn sein muss, auch steirische Mundart als Reibepunkte einsetzt.

Bei all diesen Mängeln ist es nicht verwunderlich, dass die Stimmung im Publikum nicht sehr anteilnehmend ist. Es wird gelacht, weil man gekommen ist, um zu lachen und heiter und frohgemut zu sein. Aber so richtig involviert ist man in das Geschehen auf der Bühne nicht. Die angestrebte Gegenwärtigkeit, die Identifikation möglich machen würde, wird nicht erreicht, aber auch das Gegenteil, der nostalgische Rückblick in die Vergangenheit ist verwehrt, weil alles in einem ungreifbaren Dazwischen zu liegen scheint. Weder Fisch noch Fleisch. Weder 1912 noch 2023, sondern ein unausgewogener Mischmasch.

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Andreas Steppan ( Alfred P. Doolittle), Patrizia Unger (Eliza ´) und Ensemble.

In diesem diffusen Ambiente fällt es den Protagonistinnen und Protagonisten auf der Bühne nicht leicht sich zu entfalten. Patrizia Unger als Blumenmädchen Eliza ist mit dem ihr abverlangten „Stoasteirisch“ ziemlich überfordert, erweist sich aber darstellerisch und gesanglich als eine gute Verkörperung von jugendlicher Naivität und früh geübter, selbstbewusster Überlebenskunst. „Ich hätt‘ getanzt heut‘ Nacht“ hätte aber durchaus etwas mehr Euphorie vertragen können. Doch ihr Gespräch beim Tee mit der großartigen, endlich einmal stirnfransenbefreiten Chris Lohner als lebenskluge Mutter von Professor Higgins zeigt, was bei einer sensibleren Regie hier alles möglich gewesen wäre.

Oliver Baier ist ein verschrobener, egozentrischer Henry Higgins, der sich voll seinem Steckenpferd, der Phonetik, widmet und ansonsten eher lebensfremd dahinvegetiert. Den Professor nimmt man Baier nicht so ohne weiteres ab, denn Intellektualität strahlt er nicht gerade aus. Dafür aber kann er dessen misogyne Einstellung gut ausspielen, die aber weniger in einer Frauenfeindlichkeit begründet zu sein scheint, sondern in einer Furcht vor Frauen. Dass sich zwischen ihm und Eliza im Zuge ihrer Zusammenarbeit dennoch so etwas wie eine versteckte emotionale Beziehung, ja, sogar Liebe entwickelt, merkt man kaum. Dazu fehlt ihm das Quäntchen Charme, das Henry Higgins haben müsste, um eine Frau wie Eliza interessieren zu können. Seine Grübeleien in „Kann denn eine Frau nicht sein wie ein Mann“, „Ohne dich“ und „Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht“, in denen er versucht, seine Beziehung zur Eliza zu klären, bewältigt er ziemlich zufriedenstellend, wenn auch vielleicht etwas zu eintönig.

Ein besonnener Ruhepol im Dreieck der Hauptpersonen ist Oberst Pickering, dargestellt von Christoph Wagner-Trenkwitz. Ein Gentleman der alten Schule, der sich des Öfteren schützend vor Eliza stellt, wenn sein Kollege Higgins wieder einmal zu rücksichtlos vorgeht.

Sylvia Rieser ist Professor Higgins‘ dienstbeflissene Haushälterin Frau Pearce, die für Elizas schwieriger Lage wenig Mitgefühl und Verständnis aufbringt. Ricardo Frenzel Baudisch ist ein sympathischer, rührend um Elizas Zuneigung werbender Freddie. Sein sehnsuchtsvolles Lied „In der Straße, mein Schatz, wo du lebst (On the Street Where You Live) verfehlt seine Wirkung nicht.

Die beste, wahrhaftigste Leistung des Abends erbringt aber Andreas Steppan als Alfred P. Doolittle, Elizas Vater. Eine saftige, lebenspralle Erscheinung, ein gewiefter, gerissener Kerl, der sich mit allem und mit allen zu seinen Gunsten arrangieren kann. Ob es sich nun um einen Professor oder um eine Fürstin handelt, er weiß jede Situation bestmöglich zu nützen. Nur als es darum geht, das seiner Partnerin gegebene Eheversprechen einzulösen – „Bringt mich pünktlich zum Altar“ – muss er klein begeben, oder spielt das doch nur vor…

Die Choreographie von Anna Vita fügt sich gut in das Ganze ein, das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Michael Zehetner glänzt in diesem Musical vor allem mit seinen partiturbedingt vielbeschäftigten Blechbläsern.

Der Schlussapplaus fällt freundlich aus, allerdings alles andere als überschwänglich, was bei diesem Musical-Klassiker eher überaschend ist. Angesichts des Umstands, dass die Bühne Baden mit dieser My Fair Lady inszenatorisch baden gegangen ist, aber durchaus angemessen.

 

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