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BADEN / Stadttheater: Premiere des Musicals TITANIC

Bühne Baden in Bestform in einem Kraftakt besonderer Art: Was für ein tolles Ensemble!

25.02.2024 | Allgemein, Operette/Musical
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Artur Ortens (Kapitän E.J. Smith), flankiert von Michael Konicekl (Offizier). Jonas Peter Zeller (Page) und Ensemble. Alle Fotos: Bühne Baden / Christian Husar

Baden bei Wien / Stadttheater: Premiere des Musicals TITANIC

24. Feber 2024 – Premiere

Premiere

Von Manfred A. Schmid

Das von einer aufmerksamen Jury mit fünf Tony-Awards ausgezeichnete Musical über den Untergang des Luxusdampfers „Titanic“, 1997 beinahe gleichzeitig mit dem gleichnamigen Hollywood-Blockbuster am Broadway herausgekommen, hatte es im Windschatten des cineastischen Kassenschlagers zunächst schwer, sich durchzusetzen. Bald aber wurde erkannt, dass die Musicalfassung von Peter Stone (Story und Buch) und Maury Yeston (Musik und Liedtexte) ganz andere Ziele verfolgt als die Verfilmung. Während der Film von James Cameron sein Hauptaugenmerk auf das Schicksal eines fiktionalen Liebespaares legt, stellt das Musical gleich mehrere tatsächlich in die Tragödie involvierte Personen in den Mittelpunkt. Es geht hier also gar nicht so sehr um die Jungfernfahrt des in Wahrheit am Größenwahn zerschellenden Schiffs, sondern um Einblicke in die emotionale Verfassung ausgewählter Menschen angesichts ihrer Konfrontation mit einer menschlichen Tagödie. Im Fokus stehen die Hoffnungen, Träume und Erwartungen, mit denen sie die Reise von Southport, England, nach Amerika angetreten haben, und nicht das Schiff, obwohl man alle technischen Details erfährt und auch die Fehler der Verantwortlichen deutlich aufgezeigt werden. Dem Siegeszug des Musicals um die Welt stand nichts mehr im Wege. 2012, genau einhundert Jahre nach der Katastrophe, kommt es auf der Felsenbühne Staatz zur österreichischen Erstauführung, das Landestheater Linz folgt 2022. Nun ist eine höchst bemerkenswerte Neuinszenierung an der Bühne Baden zu erleben. Eine starke Leistung, die alle Befürchtungen, dass die in ihren räumlichen Dimensionen kleine Bühne überfordert sein könnte, zerstreut. Dem erfahrenen Leonard Prinsloo und seinem Team gelingt es, eine bewegendes menschliches Drama mit all seinen emotionalen Facetten eindrucksvoll und  erschütternd auf die Bühne zu bringen.

25 Akteure, viele davon in Mehrfachbesetzung, stehen auf der einfachen, äußerst praktikablen Bühne von Carlos Santos, die den Kapitän und seine engsten Mitarbeiter auf der Brücke zeigt und darunter den Blick auf die wechselnden Decks der jeweiligen Passagiere wie auch des für sie zuständigen Personals in den verschiedenen, vertikal angeordneten gesellschaftlichen Klassen freigeben. Da ist zunächst einmal das Deck der (Schwer-)Reichen und Schönen, die unter sich bleibem wollen. Das Deck der Zweiten Klasse präsentiert sich bevölkert von Menschen, die, sobald sie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten angekommen sein werden, die Hoffnung haben, in die oberste Klasse aufsteigen zu können. Dazu gehört die umtriebig regsame Alice Beane (großartig Verena Barth-Jurca), Frau des MetallwarenhändlEdgar (Beppo Binder) , der sie ermahnt, sich doch mit dem zufriedenzugeben, was in realistischer Reichweite ist. Sie aber will mehr und schafft es tatsächlich, sich in die Reihe der Millionäre einzuschmuggeln und mitzutanzen. Es folgt das dritte Deck mit Personen, die sich endlich Arbeit erhoffen, ob als Lehrerin, Händler, Handwerker, Haushaltshilfen  oder Arbeiter. Typisch für sie ist das Trio der drei jungen Frauen aus Irland, alle mit dem Namen Kate, die auf einen Neuanfang hoffen und in Vorfreude ausgelassen einen mitreißenden irischen Reel (Choreografie Leonard Prinsloo) tanzen. Die gut in die Zeit rund um 1910 passenden Kleider, insgesamt 120 (!) an der Zahl (Kostüme Natascha Maraval), sind liebevoll differenzierend angefertigt.

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René Rumpold (Henry Etches), Missy May (Charlotte Drake Cordoza, Artur Ortens (Kapitän E.J. Smith), Ensemble

Im weiteren Verlauf der Handlung ergeben sich regelmäßige Einblicke in die Arbeit des erfahrenen Kapitäns E.J. Smith (souverän Artur Ortens) und seiner Crew, bis hin zum Bordfunker (Sebastian Brummer, der auch als 1.-Klasse-Passagier und singender Bandleader Wallace Hartely mit Entertainerqualitäten in Erscheinung tritt). Man wird Zeuge, wie Smith vom stolzen, renommiersüchtigen, sensationsgeilen Schiffseigner Bruce Ismay (Reinwald Kranner) unter Druck gesetzt wird, schneller zu fahren, als es eigentlich zulässig wäre. Dieser ist besessen vom Wunsch, auf der Fahrt nach New York einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen. Als er nachgibt, hat das fatale Folgen. Eine aufwühlend dramatische Zuspitzung ist dann das Terzett des Kapitäns, des Reeders sowie des Konstrukteurs des Bootes, Thomas Andrews (Martin Berger), in dem sie einander die Schuld an der sich abzeichnenden Katastrophe zuweisen.

Der erste Akt dient vor allem der Vorstellung der vielfältigen Passagiere. Schon beim Einchecken lernt man sie, in einer ausgedehnten musikalischen Nummer, nacheinander namentlich kennen und wird von manchen von ihnen bald noch Näheres erfahren. Der Zusammenstoß mit dem Eisberg, knapp vor Mitternacht, zunächst gar nicht so gewaltig aufgenommen, führt zu ersten Äußerungen von Unruhe. Im Akt zwei nach der Pause spitzt sich die Lage dann bedrohlich zu. Nun geht es um die Reaktionen der Betroffenen, die nach und nach erkennen müssen, dass die angebliche Unsinkbarkeit der Titanic wohl nur ein Mythos ist. Die erforderlichen Evakuierungen stoßen an ihre Grenzen, es gibt viel zu wenig Rettungsboote. Daher gilt: Frauen und Kinder zuerst, in der dritten Klasse aber schafft es kaum einer in die Rettungsboote, denn ihr Deck wird abgeriegelt. Nur dem jungen Paar Kate McGowan (Missy May) und Jim Farrell (Stefan Bleiberschnig), die erst an Bord zusammengefunden haben, gelingt es, einen Platz zu ergatter, während in der ersten Klasse Ida (Luzia Nistler), Gattin des schon in die Jahre gekommenen Warenhaus-Tycoons Isidor Straus (Darius Merstein-MacLeod), darauf verzichtet, ins Rettungsboot zu steigen, sondern sich dazu entschließt, bei ihrem Mann zu bleiben: eine der schönsten und berührendsten Szenen und das ergreifendste Duett des Abends, nur vom grandiosen Finale mit dem mächtigen, geradezu opernhaft und inbrüstig gesungenen Titanic-Hymne („Goodspeed Titanic“), ein an Edward Elgar erinnerndes Meisterwerk des vielseitig begabten Komponisten Maury Yeston, getoppt. Victor Petrov und das Orchester der Bühne Baden wie auch der exzellente Chor zeigen sich in Höchstform. Yestons Musik erinnert in vielen Teilen stark an Filmmusik. Es gibt außer der eben erwähnten Hymne zwar kaum so etwas wie „Ohrwürmer“, die im Gedächtnis haften bleiben. Sie ist aber dennoch äußerst originell, wie etwa in der Nummer, in der das Rattern des Fernschreibers zum musikalischen Ausgangspunkt eines Stücks herangezogen wird.

Darin, dass die Zuschauer jedes der gezeigten Schicksale miterleben und mit den Betroffenen mitfühlen können, liegt die große Stärke dieses Musicals. Dass die dritte Klasse im Verhältnis zu den beiden anderen etwas stiefmütterlich behandelt wird, könnte man als eine der Schwächen des Buches von Peter Stone anführen, wird aber dadurch kompensiert, dass immerhin eine Szene gleich am Beginn Einblick in die Arbeit der Kohlenschaufler im Heizungsraum gibt.

Mit Titanic zeigt die Bühne Baden, was sie – nach einigen nicht ganz so geglückten Neuproduktionen – in der Musicalsparte zu leisten imstande ist. Was hier geboten wird, ist ein perfektes Ensemble-Musical, bei dem angesichts der großen Anzahl von Mitwirkenden nur ein paar exemplarisch hervorgehoben werden können. Trotz beträchtlicher Unterschiede hinsichtlich Größe und Möglichkeiten der Badener Bühne, muss diese Inszenierung den Vergleich etwa mit der Linzer Aufführung keineswegs  scheuen. Sie bewegt sich da jedenfalls auf Augen- und Ohrenhöhe. Rauschender Applaus des hingerissenen und ergriffen reagierenden Publikums gilt einer grandiosen Premiere mit garantierter Nachhaltigkeit!

 

 

 

 

 

 

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