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BADEN / Stadttheater: Musical-Premiere von CABARET

Ein Publikumserfolg dank stimmiger Inszenierung und hochwertiger Besetzung

08.07.2023 | KRITIKEN, Operette/Musical
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Drew Sarich (Conferencier) und Ballettensemble. Alle Fortos: Bühne Baden / Christian Husar

BADEN / Stadttheater: CABARET

7. Juli 2023 – Premiere

Von Manfred A. Schmid

Der Schauplatz des Musicals Cabaret von Joe Masteroff (Buch), Fred Ebb (Gesangstexte) und John Kander (Musik) ist das verrückte, dekadente Berlin der späten 20er Jahre. Neue freie Lebensmodelle werden erprobt und fordern die bürgerliche Gesellschaft heraus, auch der Nationalsozialismus klopft schon an die Tür und begehrt nicht nur Einlass, sondern die totale Machtübernahme. Mittel- und Ausgangspunkt der Handlung, die auf dem Theaterstück Ich bin eine Kamera von John van Druiten und Erzählungen von Christoper Isherwood aus dessen semiautobiographischen Roman Goodbye to Berlin (1939) basiert, ist das bunte Treiben im heruntergekommenen Etablissement Kit Kat Klub, wo Kokain geschnupft, zu jazzigen Stücken getanzt wird und wo sich schillernde Figuren ein nächtliches Stelldichein geben. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen dem amerikanischen Schriftsteller Cliff(ord) Bradshaw und der aus England stammenden Kabarettistin, Sängerin und Tänzerin Sally Bowles. Als berührende Nebenhandlung gibt es die sich zart entspinnende Romanze zwischen der Zimmervermieterin Fräulein Schneider und dem Obstverkäufer Herrn Schultz, die zum Scheitern verurteilt ist, weil Herr Schultz Jude ist.

Zeremonienmeister im Kit Kat Klub ist der überall präsente Conferencier, alias Emcee, der das Publikum allabendlich willkommen heißt und in eine Welt einführt, die die bedrohliche gesellschaftliche Entwicklung, auf die die Weimarer Republik zusteuert, wie in einem Brennglas einfängt. Der Kit Kat Klub dient als Metapher für die Gesellschaft in der chaotischen Zwischenkriegszeit, die hier als Karneval der Ausschweifungen Revue passiert und die Verzweiflung der Akteure offenlegt, auch wenn sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass die sich ankündigende nationale und globale Katastrophe tatsächlich als unaufhaltsam erweisen wird.

Es wird schon nicht so weit kommen, alles wird nur vorübergehend sein, ist die allgemein herrschende und das Verhalten bestimmende Devise. Bei dieser Einstellung setzt auch die feine Inszenierung von Leonard Prinsloo an. Er zeichnet eine immer mehr aus dem Gleichgewicht geratende Gesellschaft, die gut im Verdrängen von Gefahren ist, die sie in gar nicht so langer Zeit ins Verderben stoßen werden. Die Signale, die den Faschismus ankündigen – so wird das Schaufenster des Obstgeschäfts von Herrn Schultz mit einem Hakenkreuz beschmiert und dann klirrend eingeschlagen (eine Vorwegnahme der bald darauf folgenden „Kristallnacht“) – werden zwar deutlich gemacht, aber ohne dabei zur Holzhammermethode zu greifen. Prinsloo bleibt, wie auch Mareile von Stritzky mit ihren Kostümen, stets im historischen Zeitrahmen, weiß aber genau, dass das Gezeigte durchaus auch Potenzial hätte, auf Parallelen zum gegenwärtigen Rechtspopulismus sowie auf Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte hierzulande und weltweit aufmerksam zu machen. Auf schulmeisterliche Bevormundung und Aktualisierungsversuche lässt sich der hochgeschätzte Regisseur zum Glück nicht ein. Die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, überlässt er jedem Einzelnen im Zuschauerraum.

Das bunte Treiben im Kit Kat Klub – herausragend die von Christina Comtesse choreographierten Balletteinlagen – ist ein Versuch, die latente Gefahr vergessen zu machen und vor der tristen Realität davonzulaufen. All das wird von Prinsloo eindrucksvoll vor Augen geführt. Sein Hauptaugenmerk gilt allerdings den kammerspielartig inszenierten privaten Treffen der beiden Liebespaare mit ihren Problemen und Eigenheiten, aber auch den mehrmaligen Begegnungen Cliffs mit dem Nazi Ernst Ludwig sowie den polyamourösen Abenteuern von Fräulein Kost (darstellerisch und auch gesanglich überzeugend Iva Schell) mit ihren stets wechselnden Matrosen. Die dabei nötigen Szenenwechsel werden durch die praktikable und mit wenigen Versatzstücken stimmig auskommende Bühne von Alexandra Burgstaller mühelos und zügig ermöglicht.

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Alexander Donesch (Cliff Bradshaw) und Ann Mandrella (Sally Bowles)

Besetzungsmäßig kann die Bühne Baden mit einigen der besten und bewährtesten Musicaldarstellerinnen und -darstellern der Gegenwart aufwarten. Drew Savich ist als fantastischer transsexueller Conferencier namens Emcee eine ebenso irritierende wie faszinierende Erscheinung. Ein die Bühnen beherrschender und alle Aufmerksamkeit auf sich ziehender An- und Verführer, der seine Rolle selbstironisch aber immer wieder hinterfragt. Ungemein gespenstisch ist, wie er am Schluss zunächst mit einem hitlerischen Oberlippenbärtchen erscheint, diesen dann aber demonstrativ herunterreißt.

Anna Mandrella, im wirklichen Leben mit Sarich verheiratet, ist eine starke Sally Bowles, die die Frustration und Enttäuschung, in ihrer künstlerischen Karriere es doch nur zu einer drittklassigen Entertainerin gebracht zu haben, gut zu kaschieren weiß. Ein fesselnder Anblick, sobald sie die Bühne betritt. Zum gesanglichen Höhepunkt wird ihre freimütige Lebensbeichte, nachdem sie Cliff, den sie nicht nach Amerika begleiten wird, verlassen hat und wieder vor dem Kat Kat Klub steht.

Cliff Bradshaw, der amerikanische Schriftsteller, der auf der Suche nach einem Stoff für seinen neuen Roman nach Berlin gekommen ist und von der Stadt und von Sally sofort in Bann geschlagen wird, ist der wohl sympathischste und wirklichkeitsnächste Charakter unter den Protagonisten in diesem Stück. Alexander Donesch erweist sich als vorzügliche Besetzung für die Rolle des neugierigen, offenen, zum Teil wohl auch etwas naiven Amis. Um wichtige politische und zwischenmenschliche Erfahrungen reicher, wird sich Cliff alsbald daranmachen, sein Berlin-Erlebnis in einem Buch niederzuschreiben.

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Maya Hakvoort (Fräulein Schneider) und Artur Ortens (Herr Schultzz)

Das berührende Liebespaar Fräulein Schneider und Herr Schultz, dem kein Happyend vergönnt ist, wird  von der wunderbaren, aus vielen denkwürdigen Auftritten geradezu ikonisch gewordenen Maya Hakvoort und dem ebenfalls erfahrenen Bühnenallrounder Artur Ortens gespielt. Hakvoorts Fräulein Schneider ist eine langjährige Witwe mit moralischen Prinzipen und einem großen, wenn auch nicht immer sichtbar gemachten Herz, die durch die höfliche Umwerbung von ihrem Nachbarn aus ihrer Einsamkeit entführt wird. Als ihr Herz wegen der Absage der unmöglich gewordenen Hochzeit gebrochen wird, erlischt der letzte Optimismus, der bis dahin in der immer trister werdenden Handlung noch vorhanden war. Ortens ist ein takt- und gefühlvoller Herr Schultz, gesanglich jedoch nicht ganz überzeugend, was vielleicht auch der Tagenverfasssung geschuldet ist.

Dem „preussisch“ angehauchten strammen Nazi verleiht Jan Walter zackiges Benehmen und einen moralisch dubiosen Charakter, ohne dabei allzu klischeehaft ans Werk gehen zu müssen. Ganz im Gegenteil, er wirkt zunächst, etwa bei seinem ersten Treffen mit Cliff im Zug, durchaus jovial und hilfsbereit und nicht von vornherein gänzlich unsympathisch. Erst nach und nach gibt er seine Motive und Absichten preis. Dann aber gezielt selbstbewusst und laut, wie etwa im fragwürdige Ideal besingenden Heimatlied, in das bald ein ganzer Chor von Mitläufern, pardon: Mitsängern, einstimmt.

Erwähnung verdienen Helmut Lang als Kit Kat Klub Manager Max sowie die Two Ladies von Maria Korneva und Ekaterina Polster.

Dem Komponisten John Kander, von dem auch das ebenfalls bereits von der Bühne Baden erfolgreich aufgeführte Konzeptmusical Der Kuss der Spinnenfrau stammt, gelingt es vorzüglich, die Atmosphäre der jazzig-swingenden Unterhaltungs- und Tanzmusik der 20er Jahre mit Klängen zum Schwirren und Flackern zu bringen. Das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Andjelko Igrec brilliert in der reduzierte Orchesterfassung von Chris Walker und verströmt Schwung und gute Laune.

Diese Neuproduktion von Cabaret sperrt die im Stück vorhandenen beklemmenden, düsteren Aspekte nicht aus, sondern regt durchaus  zum Nach- und Überdenken an. Trotzdem bietet sie gute, fesselnde Unterhaltung, was vom Publikum mit stehendem Applaus bedankt wird. Ein Riesenerfolg!

 

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