BADEN / Sommerarena: Premiere von EINE NACHT IN VENEDIG in aktualisierter Fassung
8. Juli 2021
Von Manfred A. Schmid
Thomas Smolej, Regisseur, Bearbeiter und Einrichter der extra für die Badener Sommerarena erstellten Neufassung der 1883 in Berlin uraufgeführten Johann-Strauß Operette, legt, wie er im Programmheft erläutert, „viel Wert auf aktuellen Bezug“. In seiner gemeinsam mit Thomas Kahry erarbeiteten, „komplett zeitgemäßen Version“ ist der lüsterne Herzog der Chef einer Airline, und Caramello, im Original sein Hof- und Leibbarbier, avanciert hier zum ersten Offizier/Co-Pilot der Urbino Airlines. Warum dann die Stadtpolitiker Delacqua, Barabaruccio und Testaccio weiterhin als venezianische „Senatoren“ geführt werden, was an die historische Ära der Dogenrepublik erinnert, und nicht einfach als Stadträte fungieren, gehört zu den nicht sehr ins Gewicht fallenden Ungereimtheiten dieser Neubearbeitung. Immerhin gieren sie jetzt nicht mehr nach Pfründen, sondern Delacqua geht es darum, Aufsichtsratspräsident der Airline zu werden.
Textlich bemüht sich die etwas schnoddrig und derb ausgefallene Fassung um zeitgemäße Aktualität. Anspielungen auf die Corona-Zeit werden vom dankbaren Premierenpublikum mit Lachern quittiert, wenn etwa Delacquas Frau Barbara, von Susanna Hirschler prächtig als Shopping-Queen vorgeführt, nach einem téte a téte mit dem blutjungen Flugbegleiter Enrico (Lukas Strasser als oberösterreichisch parlierender Exot) von der eben absolvierte 3-G-Regeln für den Wiedereintritt ins öffentliche Leben schwärmt: „gebotoxt – geliftet – und gebumst.“
Gut gelungen ist das große Maskenfest im 2. Akt, in dem auf die traditionellen venezianischen Masken verzichtet wird und die zentralen Figuren als gängige Superhelden und Märchenfiguren auftreten, wobei auch die sieben Zwerge nicht fehlen dürfen (Kostüme Alexia Redl/Monika Biegler). Die Bühne, ebenfalls von Monika Biegler ersonnen, kommt natürlich auch ohne Venezianismen aus, sondern bietet eine abstrakt-bunte Stadt-Szenerie die von Kanälen durchquert wird und irgendwie an ein mit knalligen Mosaiksteinchen gefliestes Bad erinnert. Caramello (der mit einem sonoren, etwas tremolierenden Bariton ausgestattete Clemens Kerschbaumer) hat hier seinen großen Auftritt und schmettert den schmiegsamen Lagunenwalzer „Komm in die Gondel, mein Liebchen, so steige doch ein“. Das genügt, um den Standort der Handlung ein für allemal festzumachen.
Musikalisch im Mittelpunkt stehen weiters der lüsterne Captain Urbino – tadellos und sympathisch der vor allem als Mozart-Sänger bekannte rumänische Tenor Iurie Ciobanu, sowie die beiden stimmlich und darstellerisch erfreulichen Sopranistinnen Ivana Zdravkova, als Fischverkäuferin Annina, und Verena Barth-Jurca als Delacquas Haushaltsgehilfin Ciboletta. Dazu kommen noch Roman Frankl, Thomas Malik und Beppo Binder als gierig-ehrgeiziges Senatoren-Trio und der kurz vor der Pleite stehende Pizzakoch Pappacoda (sympathisch Ricardo Frenzel Baudisch), der beim Happyend zum Chef-Caterer der Fluglinie ernannt wird. Sylvia Rieser absolviert einen köstlichen Kurzauftritt als komische Alte Agricola, Barbaruccios Frau.
Auf Chöre wird in dieser Inszenierung verzichtet: Wie die Kürzung des Stücks auf gut 90 Minuten wohl ein Zugeständnis an Covid19 Bestimmungen. Dafür wird ein quirlige Ballettgruppe aufgeboten (Choreographie Anna Vita), die das Volk sowie Touristen, Senatorenfrauen und dergleichen darstellt und für Schwung sorgt. Ganz starke Auftritte hat das Clown-Duo von Natalia Bezak und Jan Bezak, das ausdrucksstark und graziös – gewissermaßen wie eine Art stummes Conferenciers-Paar – durch den Abend führt.
Spielfreudig musiziert das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Michael Zehetner und bestätigt wieder einmal den Ruf Badens als verlässlicher Hort der Wiener Operette. Regisseur Thomas Smolej hat in seinen Gedanken im Programmheft auch die Hoffnung ausgedrückt, mit seiner aktualisierten Fassung „ein generationsübergreifendes Publikum“ ansprechen zu können. Bei der Premiere war das freilich noch nicht der Fall. Im 3. Akt wehte lautstark eine fremde Stimme von außen in die nach oben hin geöffnete Sommerarena herein: Der Kabarettist Klaus Eckel hatte im in in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Pavillon am Kurpark eben mit seinem Programm begonnen. Sein Publikum war, wie man sich am Nachhauseweg überzeugen konnte, deutlich jünger. Aber die generationenübergreifende Qualität dieser Inszenierung kann sich ja noch herumsprechen.