Stuart Skelton (Otello) und Sonya Yonecheva (Desdemona). Copyright: Lucie Jansch
Osterfestspiele Baden-Baden
„OTELLO“ 13.4.2019 (Premiere) – Zwischen Faszination und Irritation mit zwei Altmeistern
Ursprünglich sollte Daniele Gatti diese Osterfestspiel-Produktion musikalisch betreuen, doch bald nach den erhobenen Vorwürfen gegen den inzwischen aus seinem Chefdirigenten-Amt in Amsterdam entlassenen Dirigenten wurde Altmeister Zubin Mehta für die Übernahme dieses Projektes aus dem Hut gezaubert. Für vier szenische Vorstellungen in Baden-Baden und eine darauf folgende konzertante Aufführung in Berlin studierte der noch sichtbar von seiner Krankheit gezeichnete Maestro Verdis Spätwerk mit seiner kunstvollen Verflechtung aus dramatischem Parlando und melodischem Fließen mit hellwachem Sinn für instrumentelle Details, aber auch so mancher Neigung zu schleppenden Tempi ein. Vor allem das große Ensemble am Ende des dritten Aktes litt dadurch an Überdehnung und Spannungslöchern. Ungemein atmosphärisch entfalten ließ er mit den klanglich luxuriösen, in der Begleitung vokaler Belange jedoch nicht immer ganz sicher agierenden Berliner Philharmonikern die Szenen zwischen Otello und Desdemona sowie die Schlafzimmerszene. Den Spagat zwischen berückend poetischer Schönheit und essentiell vertieftem Ausdruck in der Luft liegender Dramen mittels der Holzbläser erfüllten die Musiker dabei ebenso, wie sie im Streicher-Apparat satte Grundierung und blühendes Melos auf einen Punkt brachten.
Francesco Demuro (Cassio), Vladimir Stoyanov (Jago) und Stuart Skelton (Otello). Copyright: Lucie Jansch
Die im Orchestergraben hörbar gewordene Tragödie hätte ein entsprechendes szenisches Pendant erfordert oder zumindest wünschenswert gemacht, um dieses Gipfelwerk italienischer Opernkunst zum fesselnden Erlebnis zu machen, doch verweigerte die Bühne leider einige entscheidende Metaphern, womit wir auf den zweiten Altmeister zu sprechen kommen: Robert Wilson. Der für seinen abstrahierten Inszenierungsstil renommierte Regisseur als Universal-Verantwortlicher für Regie, Bühnenbild und Licht ermöglicht einerseits die volle Konzentration auf die musikalische Entfaltung, schafft phantastische Bilder, ja Bildstimmungen, verweigert ihr aber auf der Kehrseite immer wieder die entsprechende szenische Lebendigkeit und sorgt mit wechselnden Installationen einiger nicht immer einleuchtenden symbolischen Requisiten für die eine oder andere Ablenkung.
Ein komplettes Fragezeichen verbleibt bei allem Grübeln und Nachdenken über dem nur von auf- und abebbenden Windgeräuschen begleiteten stummen Vorspiel mit einem eingeblendeten Elefanten und einem leibhaftig echt erscheinenden, sterbenden, seitwärts umgefallenen Exemplar. Fünf geschätzte Minuten ohne eine erkennbare Verbindung zum Stück standen da im Raum und ließen es dauern, bis der Einstieg in die Oper trotz der fesselnden Sturmmusik so richtig gelingen wollte. Meinte Wilson vielleicht einen gefallenen Löwen und wollte einen solchen aus unerklärlichen Gründen nicht zeigen?
Ein meist dunkler, im Hintergrund oft nachtblau ausgeleuchteter Bühnenraum, später ergänzt durch einige zu oft hin und her fahrende Bogengänge eines angedeuteten Palastes, dann reduziert herab schwebende Einzel-Elemente wie eine kleine Treppe, ein Schwert, eine Kugel, die sich gegen Ende rot färbt, ein sich herein schiebender roter Balken vor Desdemonas Tod im seitlich stehenden weißen Bett, dazu dann im Hintergrund ein im Wind leicht wehender Vorhang mit wellengleichen Lichtreflexen – als bildschöpferischer Kommentar ist all das von wechselnder Wirkung zwischen faszinierender Stimmungsdichte und bloßem Spiel mit geometrischen Formen.
In diese Lichträume stellt Wilson seine Akteure mit abgezirkelten Bewegungen, oft nur angedeuteten Verhaltensweisen, meist frontal ins Publikum gerichtet, als würden sie nebeneinander her agieren anstatt auf das Gegenüber bezogen. Immerhin sind sie keine Gestalten in belangloser Gegenwarts-Kleidung, sondern in stilisiert historischen, Rüstungen ähnlichen Gewändern und einem bodenlangen weißen Kleid für Desdemona, die den unterschiedlichen Staturen der Sänger so angepasst sind, dass sie nicht unvorteilhaft heraus gestellt sind (Kostüme: Jacques Reynaud, Davide Boni). In wichtigen Momenten bleibt das musikalische Geschehen szenisch zu unkommentiert, ja fast konzertant in ein Kunstbild gestellt. Das Duell zwischen Montano und Cassio findet nicht statt, Desdemona darf nicht zu Boden fallen, ihre Ermordung wird nur angedeutet, Otello richtet am Ende zwar einen Dolch gegen sich, bleibt jedoch leicht nach vorne geneigt stehen. Das eigentliche Drama bleibt den vokalen Künsten der Sänger vorbehalten, und da zeigte sich immer wieder, wer auch ohne szenische Hilfe eine runde Figur zu formen weiß und wer mehr Unterstützung durch eine führende szenische Hand benötigt. Letzteres betrifft vor allem den Titelrollen-Interpreten Stuart Skelton, dem es ohne zwingenderes szenisches Profil doch gelang, die heldischen Pfade des Parts höchst respektabel zu begehen, mit einer flexiblen, biegsamen Stimmführung seinen annehmbar getönten Tenor ohne hörbare Schwierigkeiten, allenfalls einer noch nicht ganz so strahlkräftigen und etwas flachen Einleitungsszene und wenigen Übergangsklippen, einzusetzen. Attacke und leises Empfinden fanden durch die dynamische Differenzierungsfähigkeit des Australiers gleichermaßen ihre volle Berechtigung. Statt vielen Stentortönen machte er hörbar, wieviel Legato Verdi auch in dieser Partie vorgeschrieben hat.
Sonya Yoncheva begann mit einigen Härten im Forte, ließ aber bald auch hören, zu welch schwebend leichtem Klang mit hoher lyrischer Qualität ihr Sopran fähig ist, so dass ihre Desdemona zunehmend Mitleid hervor rief. Spätestens im Lied von der Weide und dem Ave Maria erzielte sie einen fast überirdischen Stimmungszauber. Im Ganzen bot sie eine eher unkonventionelle Interpretation der Rolle und lässt hoffen, dass sie sich trotz ihrer zunehmenden Eroberung des Spinto-Repertoires die Leichtigkeit des Stimmansatzes erhält.
Einen klassischen Bösewicht von Jago stellte Vladimir Stoyanov, der den zunächst vorgesehenen Luca Salsi ersetzte, auch ohne szenische Unterstützung auf die Bühne, indem er sich ganz auf seinen traditionell geprägten, sattelfesten, rund und kernig ansprechenden Bariton italienischer Klanggüte mit organisch eingebundenem Höhenregister und ganz aus dem musikalischen Zusammenhang geschöpfter Phrasierung und Ausdruckskraft verließ. Da bedarf es wirklich keiner weiteren Zutaten.
Die Besetzung der Nebenrollen machte dem exklusiven Baden-Badener-Festspielbetrieb diesmal keine Ehre. Von dem lyrisch klar timbrierten Tenor Francesco Demuro als Cassio abgesehen, repräsentierten sie ein Niveau, das selbst an kleineren Ensemble-Theatern übertroffen werden kann: Anna Malavasi als Emilia mit unruhig geführtem Mezzo, Gregory Bonfatti als Rodrigo, Giovanni Furlanetto als Montano und der erschreckend trockene und im Ausdruck flach bleibende helle Bass von Federico Sacchi als Lodovico.
Ensembleszene 2. Akt mit Chor und Kinderchor. Copyright: Lucie Jansch
Zu den festen Säulen der Baden-Badener Opern-Eigenproduktionen gehört mittlerweile der Philharmonia Chor Wien in der zuverlässigen Einstudierung von Walter Zeh, im zweiten Akt ergänzt durch den Kinderchor des Pädagogiums Baden-Baden. Vokale Fülle und eine klare Verästelung aller Stimmgruppen garantierten auch jetzt wieder für einen homogenen Chorklang. Szenisch bleibt er hier eine anonyme Masse, die streng geometrisch mal ihre Arme nach oben strecken oder zur Seite abfallen lassen dürfen, und von der im Gegenlicht stehend, oft nur die Silhouetten erkennbar sind.
Für diese Aufführung mit wechselnden Eindrücken zwischen Faszination und Irritation gab es abgestuften Jubel für das musikalische Personal und teils heftigen Widerspruch gegen die szenisch Verantwortlichen.
Udo Klebes