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BADEN-BADEN: LA DAMNATION DE FAUST – konzertant. Luxuspanorama

06.04.2015 | Allgemein, Oper

Osterfestspiele Baden-Baden: „LA DAMNATION DE FAUST“ konzertant 5.4. – Luxuspanorama

 SiRattle
Sir Simon Rattle. Copyright: Festspielhaus Baden-Baden

Die Bilder, die Hector Berlioz 1846 an der Pariser Opéra comique in konzertanter Form uraufgeführte dramatische Legende beim Hören herauf beschwört, sind derart vielgestaltig und umfangreich, dass eine auch nur annähernd darauf eingehende szenische Realisierung unmöglich scheint. Verschiedene Versuche, das Werk auf der Bühne zu etablieren, sind in Ansätzen stecken geblieben, mussten vor den teilweise oder vage gegebenen szenischen Anweisungen des Komponisten kapitulieren oder legten den klassischen Mythos sehr frei aus.

Die jetzt zu den Baden-Badener Osterfestspielen angesetzten zwei konzertanten Wiedergaben bekräftigten ganz deutlich, dass die pure Konzentration auf den raffiniert eingesetzten musikalischen Apparat mit der schillernden Instrumentation Berlioz den Dimensionen des Werkes entschieden mehr gerecht wird und zudem die Phantasie des Zuhörers verstärkt anregt. Die Berliner Philharmoniker, seit zwei Jahren Residenzorchester der Osterfestspiele, glänzten nicht nur mit ihrem über mehrere Leitungswechsel erhalten gebliebenen dunkel sonoren, erdig warmen Klangcharakter, sie entfalteten das von Berlioz entworfene Farben-Szenario zwischen Himmel und Hölle mit einer von Chefdirigent Sir Simon Rattle ohne Effekthascherei heraus gekitzelten Dringlichkeit. Da wehte die von Faust anfangs geschilderte aufkeimende Morgenbrise durch die Streicher, da irrlichterten die Sylphen in den Holzbläsern oder kündete das Blech mit drohendem Unterton vom nahen Untergang Fausts. Auch abseits dieser speziellen Farbvaleurs zeigte sich das Orchester in einer beneidenswerten technischen Kondition, das Austarieren der Instrumentengruppen wie auch die dynamischen Abstufungen zwischen glitzernden Harfen und tumultuös übereinander geschichtetem Schlagwerk gelangen auf eine perfekte Weise ohne jeglichen Hang zur manchmal damit einhergehenden Sterilität.

An der Lebendigkeit dieser konzertanten Version hatte auch der Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Johannes Knecht), ergänzt durch Herren des Philharmonia Chors Wien (Einstudierung: Walter Zeh), gewichtigen Anteil, zumal er als Volk, Studenten, Geister, Dämonen und himmlische Heerscharen die ganze Bandbreite von Fausts heraus gegriffenen Stationen auszufüllen hat. Sprachliche Feinheiten erhöhten noch den Genuss, diesem mehrfach ausgezeichneten Chor bei seiner kaum mehr zu überbietenden Verbindung von purer vokaler Fülle und der Fähigkeit zu flexibler dynamischer Reaktion quer durch alle Stimmlagen zuzuhören.

Eine durchwegs hochwertige Besetzung der Solo-Partien komplettierte die Aufführung zu wahrer Festspielgröße. Charles Castronovo, der hier letztes Jahr als Gounodscher Faust zu hören war und das Trias verschiedener Opernversionen nächste Saison mit Boitos Vertonung schließen wird, zeigte sich dem gefürchteten Einsatz von Bruststimme und Voix mixte jederzeit gewachsen, gewann der aufgrund bei Berlioz resignierenden Haltung Fausts leicht zur Eintönigkeit neigenden Partie mit seinem dunkel baritonalen Tenor eine angemessene Schattierung ab und bewahrte sowohl in den voll ausgesungenen als auch mit schlanker Kopfstimme ausgefüllten Höhen eine übergangslos gleichmäßige Qualität.

Ludovic Tezier, der Belcantist unter den derzeitigen Bariton-Vertretern französischer Provenienz, nutzte seinen sprachlichen Vorteil für eine zum Teil ohne Noten auskommende, fein aufgeschlüsselte Interpretation Mephistos zwischen kavalierhafter Noblesse und charaktergemäßer Verführbarkeit. Nur an einigen Schlüsselstellen, wo der Böse zum Sarkasmus neigt, wäre noch eine Steigerung der Untertöne denkbar.

Die eher seltene Gelegenheit sie außerhalb des italienischen Belcanto-Fachs zu hören, gab Joyce Di Donato als Marguerite. Trotz ihrer im positiven Sinne gesehenen Primadonnen-Präsenz bewies sie eine völlige Konzentration und Besinnung auf das Innenleben der Rolle. Der Glanz des in allen Lagen tragfähigen und nach oben hin einer Knospe gleich aufblühenden Mezzos mit sopranheller Strahlkraft legte über ihren Gesang einen faszinierenden Zauber, zu dem auch ihre Fähigkeit beiträgt, Bögen und Phrasenenden lange ausschwingen zu lassen. Jeder Ton eine Kostbarkeit und als Ganzes zu einer Perlenkette gebunden.

Edwin Crossley-Mercers kurzer, aber durch einen gehaltvollen und markanten Bariton einprägsamer Auftritt als Brander legte sofort nahe, dass hier der nächste Mephisto bereit steht.

Nach dem Höhepunkt des triumphalen Höllen-Pandämonium vermochte es die zart verklärende Rettungspreisung Marguerites dem Ganzen noch eine Krone aufzusetzen. Der gewaltige Kontrast mit dem Auftritt des fein und präzise intonierenden Kinderchores der Staatsoper Stuttgart in weißen Kleidern vor dem Orchester ließ zuletzt gar noch die Schleusen der totalen Gerührtheit öffnen.

Lautstarke Ovationen für das gesamte Ensemble waren die einzig logische Reaktion auf dieses unvergessliche Erlebnis.

Udo Klebes

 

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