
Ensemble-Hamburger-Ballett-c-Kiran-West
Baden-Baden: „DAS LIED VON DER ERDE“ – 08.10.2017
Die letzte Aufführung von Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ erlebte ich im Festspielhaus vor 7 Jahren, doch in welch beglückender Konstellation servierte man diesen Absang heute: zu den Gesangssolisten Klaus Florian Vogt und Benjamin Appl gesellte sich das Hamburg Ballett. Die Choreographie von John Neumeier erlebte 2015 in Paris ihre UA und wurde nun für das Gastspiel an der Oos überarbeitet. Zu Mahlers Musik kreierte Neumeier bereits 15 Choreographien und tanzte seine heute offerierte Version als junger Tänzer gar selbst beim „Stuttgarter Ballett“ vor 50 Jahren. Nun laufe ich persönlich bei Mahlers Kompositionen stets in Gefahr der Welt abhanden zu kommen, verliere mich regelrecht in der Musik und schenke im Rausch der Empfindungen dem Optischen weniger Aufmerksamkeit. Um dem vorzubeugen beurteile ich meine visuellen Wahrnehmungen an erster Stelle.
Präzise, elegant, sehr ausdrucksstark waren die Bewegungen der Company, intim wie selbstvergessen anmutig, als tanzten sie für sich wirkte so manche Szene der Tänzer, fast zurückhaltend und meditativ. Es ist kein Handlungs-Ballett sagte John Neumeier zu seiner Schöpfung, sondern ein Werk das Musik und den von ihr inspirierten Tanz zum Inhalt hat, quasi Schritte zwischen Ton und Wort zur Ewigkeit schwebend. In der schlichten Szenerie mit stilisierten Kostümen wurden die Tänzer regelrecht von Musik und Gesang getragen. So möchte ich stellvertretend für das ausgezeichnete Corps de Ballett die vortrefflichen Solisten Xue Lin, Alexandr Trusch, Alexandre Riabko, Mayo Aril, Lucia Rios, Leslie Heylmann nennen.
Zur Création inkl. Bühne, Licht und Kostüme John Neumeiers blieb der Raum fast leer bis auf drei symbolische Elemente: Den Spiegel über allem, der das Leben zum Gleichnis macht. Ein Kreissegment im Hintergrund, das zunächst blau schimmert wie unser Planet im All, dann aber sich wie ein Auge öffnet und schließt, rot und golden strahlen kann wie Sonne und Mond, dazu eine variiert eingesetzte Fläche die Erdenhaftung symbolisierend. Neumeier beginnt mit einem Prolog zu Klavierklängen welcher die wichtigsten Motive des Stücks bereits tänzerisch umreißt und ebenso die sechs Episoden des elementaren Weltabschiedswerkes pantomimisch verband.
Zur interessanten Optik gesellten sich bemerkenswerte hochkarätige akustische Komponente angeführt von Klaus Florian Vogt welcher mit seinem hell strahlenden Timbre bereits beim eröffnenden Trinklied vom Jammer der Erde gestalterische Akzente voller Komplexität setzte. Ohne heroische Opernattitüde verströmte der Tenor sein lyrisches Material in nuancierten Varianten, Pathetisch leicht gedehnt erklang der Refrain des harmonischen Epilogs. Unbeschwert jugendlich gestaltete Vogt das Bild des chinesischen Gartens der Episode Von der Jugend. Mit tenoralen Finessen krönte Klaus Florian Vogt die Burleske Der Trunkene im Frühling zur finalen Textphase „Was geht mich der Frühling an? Lasst mich betrunken sein!“
Trunken vom Schönklang der Stimme wurde der Zuhörer gewiss.
Berauscht vom edlen Timbre, der weichen Tongebung, den kraftvollen Elementen sowie der immensen Scala des wohlklingenden Baritons Benjamin Appl wurde das Publikum gleichermaßen. Den abgründigen Tiefen, der tragfähigen Mittellage seiner kernigen Stimme setzte der junge Künstler klangvolle die Orchesterfluten überstrahlende Höhen entgegen. Vortrefflich interpretierte Appl in bester Diktion Der Einsame im Herbst, schenkte den Strophen Von der Schönheit die leicht mitschwingende Resignation. Mit teils entrückt wirkendendem, fein ziseliertem Ton beschloss der exzellente Sänger variationsreich den finalen Abgesang Der Abschied, zu den Worten „Ewig… Ewig“ in unendlichen Sphären verhauchend.
Simon Hewett erfüllte die Gesänge und Nachklänge voll symphonischer Dichte mit der vorzüglich begleitenden Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern.
Jubelnde Hornfanfaren zu Beginn, melancholische Zauberklänge, das behagliche Scherzo sowie die berauschende Schönheit des finalen Abschieds erklangen in tiefbewegender instrumentaler Interpretation. Orchestrale Dehnungen zuweilen forderten allerdings die Atemtechnik der Sänger in gewissem Maße, welche diesen instrumentalen Provokationen jedoch in bewundernswerter Souveränität Paroli boten.
Nach kleiner Besinnungspause brach der Jubel des Publikums los und bedankte alle Beteiligten anhaltend und herzlich und steigerte sich nach Erscheinen Neumeiers zur Ovation.
Gerhard Hoffmann