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BADEN-BADEN/ Festspielhaus: ROTTERDAM PHILHARMONIC ORCHESTRA /Yannick Nezet-Seguin mit Mahlers „Fünfter“

Entfesselte Naturgewalten


Yannick Nezet-Seguin. Foto: Bob Bruyn.

Rotterdam Philharmonic Orchestra unter Yannick Nezet-Seguin am 22.2.2020 im Festspielhaus/BADEN-BADEN

ENTFESSELTE NATURGEWALT

Es war ein Fest lupenreiner Intonationsreinheit: Die Wiedergabe der im Jahre 1902 entstandenen Sinfonie Nr. 5 in cis-Moll von Gustav Mahler mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra unter der zupackenden Leitung von Yannick Nezet-Seguin besaß eine elektrisierende Wirkungskraft. Und dies nicht nur wegen der starkbesetzten Bläser, die voll zu ihrem Recht kamen. Der Hang zum Gigantischen und dem krampfhaft Über-sich-selbst-Hinauswollen gipfelte in ungeheuren dynamischen Steigerungen, die Yannick Nezet-Seguin mit dem Orchester in facettenreicher Weise herausarbeitete. Dass der Mahler oft gemachte Vorwurf der „Kapellmeistermusik“ hier nicht zutreffend ist, machte diese mitreissende Wiedergabe deutlich. Beim ersten Satz „Trauermarsch, streng wie ein Kondukt“ herrschte der Ton schmerzlich-duldender Klage, die sich immer deutlicher steigerte. Das elegische Hauptthema der Streicher konnte sich hier leidenschaftlich entfalten. Nach wildem Aufbäumen folgte dann wieder die Marschweise. Dabei trat auch in ergreifender Art die Melodie vom „Freudenlicht der Welt“ aus den „Kindertotenliedern“ hervor. Tröstend erklang sie weiter, sank dann jedoch nach leidenschaftlichem Anstieg wieder in herbe Resignation zurück. Im zweiten Satz „Stürmisch bewegt“ brach der seelische Aufruhr voll hervor und gipfelte in einer gewaltigen Anklage, die harmonisch sehr kompakt dargeboten wurde. Die Trostmelodie der Celli gelang hier ausgezeichnet. Das Schlussthema des ersten Satzes klang dabei nach. Doppelt gewaltsam schnellte die grelle Anklage wieder hervor. Und über dem Paukenwirbel behauptete sich eine wehmütig-versöhnliche Melodie. Nach fanatischen rhythmischen Peitschenhieben erklang der Choral mit strahlender Pracht, wobei die klanglichen Qualitäten des Rotterdam Philharmonic Orchestra sehr gut hervortraten. Auch die aufstampfende Tanzmelodie im dritten Scherzo-Satz behauptete sich mit starken Staccato-Akzenten, Naturlauten, lustigen Hornrufen und gefühlvoll-träumerischen Weisen. Ganz zart kam dann das Adagietto im Klang von Streichern und Harfen daher. Man verbindet diese Melodie mit dem Film „Der Tod in Venedig“ nach Thomas Manns Erzählung von Luchino Visconti, wo es eigentlich um ein homoerotisches Motiv geht. Doch in Wahrheit huldigte Gustav Mahler hier seiner jungen Frau Alma, die er 1902 geheiratet hatte. Ruhig-innige und sanft drängende Weisen wurden hier hervorragend betont. Energisch und froh klangen dann die Themen, die im erfrischenden Rondo-Finale auftauchten. Die Doppelfuge mit Choral besaß bei dieser überaus gelungenen Wiedergabe eine ungeheure Wucht und einen geradezu federnden Schwung, der so gewaltig war, dass er das Publikum zu Ovationen und Begeisterungsstürmen hinriss. Es war eine glanzvolle Zusammenfassung und Krönung alles Vorangegangenen. Die laute Selbstbestätigung des Schlusses wirkte nicht aufdringlich, sondern wunderbar sieghaft und lebensbejahend. Nicht umsonst meinte Mahlers Witwe Alma Mahler-Werfel, dass mit der fünften Sinfonie „ein neuer Mahler“ beginne. 

Alexander Walther

 

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