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BADEN-BADEN / Festspielhaus: „DAS RHEINGOLD“ – Konzertante Aufführung

Baden-Baden / Festspielhaus: „DAS RHEINGOLD“ – Konzertante Aufführung am 30.04.2022

rheingold ensemble
Das Ensemble. Foto: Andrea Kremper

Dereinst sinnierte der französische Dichter Paul Claudel über „Das Rheingold“ von Richard Wagner: Das Werk ist von Anfang bis Ende dem Ohr eine Wonne und dem Auge eine Lust, etwas völlig Deutsches und etwas völlig Gelungenes. Der Saft, die Jugend, die Poesie, die Musik, die Einbildungskraft quellen über. Es ist voller Abenteuer und Funde, es ist aus einem Stück gemacht und verläuft in einer Bewegung wie ein schöner Buchenstamm.

Diese Anmerkungen konnte ich heute bedingungslos attestieren, im geselligen Gespräch mit Kollegen und Freunden hinterher waren wir alle derselben Meinung, einer qualitativ außergewöhnlichen Aufführung beigewohnt zu haben welche so manche Vorstellung selbst im Bayreuther Weihetempel blass erscheinen ließ. Ich persönlich erlebte heute nach Dutzenden Aufführungen des Ring-Vorabends die wohl beste Wiedergabe der letzten Jahrzehnte. Lag es nun an den Pandemie-Karenzen, den sensiblen visuellen Perzeptionen? Oder lediglich dank der grandiosen Sänger-Darsteller*innen in vollendeter Aktion ohne (störende) Regie sowie der exzellenten orchestralen Untermalungen.

Galanterweise gebe ich den Damen zu meinen Rezensionen den Vorzug … jedoch Ehre, wem Ehre gebührt, aus der göttlichen Herren-Riege waren weitaus ruhmeswertere Impulse zu vernehmen und sie schossen salopp formuliert den Vogel ab. Vokal sehr differenziert erschien mir das optisch bezaubernde Trio der Rheintöchter (Erika Baikoff, Iris van Wijnen, Maria Barakova) mit großen schönen Stimmen, trieben sie mit sichtlichem Vergnügen ihr frivoles Spiel mit Alberich, verrieten dazu auf törichte Weise das goldene „Betriebs-Geheimnis“.

Starke Präsenz im Auftritt, selbstbewusste noch nie zuvor erlebte Unerschrockenheit im Blickduell Fasolts, den Göttergatten mit weiblichem Raffinement umgarnend gestaltete Jamie Barton die Fricka, entlockte ihrem schönen Mezzo-Timbre herrliche dunkle Farbtöne wie gleichermaßen eindrucksvolle Obertöne. Betörend hold kam Freia daher, anmutig in hellstrahlender Vokalise verschenkte Christiane Karg  göttliche Sopran-Früchte. Satt, weich strömend, abgrundtiefen Altregister,  wunderbar auf Atem ebenso die herrlichen Höhenaufschwünge verschwenderisch präsentierend  verlieh Wiebke Lehmkuhl Erdas weisen Worten mahnende Deklamation und schürte (verständlicherweise) Wotans Lust auf mehr.

Freia´s inspirierende Früchte manifestierten sich in den Kehlen der Herren zu wahrhaft besonderen akustischen Genüssen. In uneingeschränkt göttlicher Würde vermittelte Michael Volle den Wotan, bestach mit hoher Phrasierungskunst und intelligenten Textbehandlungen. Kernige kräftige Substanz, ein herrliches Timbre, transparent klare Linienführung, vortreffliche Nuancierungen waren dem schönen Bassbariton stets zu eigen, markant in  prächtiger Vokalise verlieh der ausgezeichnete Sänger dem Göttervater erneut autoritäre Glorie.

Zum  würdigen Gegenspielerpart des Alberich servierte Samuel Youn ein darstellerisches Kabinettstück, anschleichend unerhört mobil, charmant buhlte er zunächst wenn auch vergeblich um die Gunst der Nixen, abgründig dämonisch die Wandlung verstand es der versierte Bassbariton exzellent in seiner Stimme die Charakteristik dieser unglücklich-zwiespältigen Figur zu formieren. In kluger Disposition ließ Youn sein markantes Material strömen gipfelnd in imposanter Demonstration des eindrucksvollen Fluches.

Dem zynischen-verschlagenen Loge schenkte Gerhard Siegel tenorale Glanzpunkte von elitärer Brillanz. In perfekter Diktion (wie alle Solisten*innen) viriler Färbung seines klangvollen, stilsicher, effektvoll eingesetzten Tenors präsentierte der agile  Sänger regelrecht vokal-nachhaltige  Maßstäbe zur Interpretation des Feuergottes.

Weniger larmoyante, mehr maskulin-herbe Züge zu tenoral schönstimmigem höhensicherem Potenzial verlieh Thomas Ebenstein dem Mime markante Präsenz. Dergleichen Attribute verschenkte in überreichem Maße mit hellstrahlender Tenor-Stimme Issachah Savage als Froh.

Imposant ließ Thomas Lehman die vokalen Muskeln spielen, schwang als Donner baritonal kräftig-klangvoll den Hammer (im Gegensatz zum optischen Baumarkt-Kleinformat) und ebnete den Einzug nach Walhall.

Großartig setzten sich die beiden tiefschwarzen Bässe in Szene Stephen Milling und Mikhail Petrenko verliehen Fasolt und Fafner adäquates Stimmpotenzial und beste Formation.

Der ehemalige Chefdirigent des Rotterdam Philharmonic Orchestra und seit seines Abschieds im Jahre 2018 zu dessen Ehrendirigent ernannt, leitete nun der Kanadier Yannick Nézet-Séguin den famosen Klangkörper. Ob nun in den fein-schimmernden Es-Dur Wogen des Rheins bis zum imposanten Göttereinzug vermittelte der renommierte Dirigent in analytisch strukturellen Instrumental-Formationen Wagner-Wonnen auf hoher Ebene. Elastisch, transparent, bestens disponiert, vorzüglich in allen Fraktionen akkurat musizierend beeindruckte das niederländische Orchester in bestechender Klangarchitektur. Nézet-Séguins inspirierende Dominanz beflügelte den Klangkörper zu hochkonzentrierter klarer Profilierung der einzelnen Motive im komplexen Orchestergeflecht und schenkte akustische Wonnen gleichwohl zu traumhaft intonierten Harfen-Streicher-Momenten sowie intensiv prächtig disponierten Bläserfraktionen.

Mit zehn Minuten Bravochören, prasselndem Applaus und Standing Ovation bedankte sich das begeisterte Publikum. Derart faszinierend, spektakulär, spannend, musikalisch elitär ohne jegliche Regie-Absurditäten kann also konzertante Oper sein! Ein Wunsch an alle Inszenatoren: Möge sich der RING auf diese wunderbare Weise während der nächsten Spielzeiten bis zum Untergang der Götter, zum Genuss und Entzücken der Wagner-Freunde  fortsetzen.

Gerhard Hoffmann

 

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