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BADEN-BADEN/ Festspiele: „DER TRAUM DES DON QUIXOTE“ – in komplett brasilianischer Hand

Gastspiel der Sao Paulo Companhia de Danca

15.04.2018 | Allgemein, Ballett/Tanz


Copyright: Wilian Aguiar

Festspiele Baden-Baden

Gastspiel der Sao Paulo Companhia de Danca

„DER TRAUM DES DON QUIXOTE“ 14.4. 2018– in komplett brasilianischer Hand

Kurz vor ihrem 81. Geburtstag gastierte die lebende Ballett-Legende Marcia Haydée mit ihrer 2015 für die Sao Paulo Companhia de Danca erarbeitete Choreographie des Weltliteratur-Stiffes vom träumenden Ritter für 2 Aufführungen – nicht allzu weit weg von Stuttgart, wo die berühmte Ballerina unter John Cranko und später als dessen langjährige direktoriale Nachfolgerin Ballettgeschichte geschrieben hat. Ihr Wunsch, eines jener wenigen Stücke, das sie selbst nie getanzt hatte, in einer eigenen Choreographie auf die Bühne zu bringen, ging in Erfüllung, als sie von der seit 10 Jahren bestehenden einzigen klassischen Compagnie ihres Heimatlandes Brasilien den Auftrag einer neuen Kreation erhalten hatte. Endgültig fiel ihre Wahl auf die vielfach für die Bühne adaptierten Cervantes-Episoden, als sie beim ersten Trainingbesuch den ihr ideal erscheinenden Darsteller des Titelhelden gefunden hatte. Im Gegensatz zu sonst vorwiegend älteren Charaktertänzern schwebte ihr ein junger Träumer von großer schlanker Gestalt vor, der gleichermaßen gut tanzen wie schauspielern kann, denn ihr für Gerechtigkeit durch die Welt ziehender Ritter sollte sich im klassischeren Sinn mit weit anspruchsvollerer Ballett-Kunst als durch meist nur statistisch-pantomimischen Einsatz artikulieren können. Joca Antunes ist denn mit auffallend großer Erscheinung, langen Beinen und dunkelblondem schulterlangem Haar sowie einer ordentlichen Portion Charme sowie einer bis in die klassische Pas de deux-Führung hinein ein erfreuliches Gesamtkunstwerk und obendrein auch mal ein echter Konkurrent für Basilio, wenn er anfangs Kitri für seine ersehnte Dulcinea hält. Und wenn ihm diese durch Amor ( in unkonventionell männlicher Besetzung durch den grau melierten, nur leicht beschürzten und mit einer Spur Sex-Appeal tanzenden Yoshi Suzuki ) zugeführt wird, darf er seine anhimmelnde Seligkeit als vollwertiger Pas de deux-Partner ausstrahlen.

Haydée hat im Rahmen einer letztlich klassisch bleibenden Version bis auf den auf Petipa beruhenden traditionellen Hochzeits-Pas de deux und einige etwas abgeänderte Variationen des Liebespaares alles neu entworfen und vor allem auf das Wesentliche konzentriert. Auch der Prolog und Epilog, die die beiden Akte umrahmen, fallen so knapp konzentriert aus, dass nicht mehr als 90 Minuten Spieldauer zusammen kommen. Klassische brasilianische Gitarrenmusik von Norberto Macedo sowie auf den Stoff Bezug nehmende in deutscher Übersetzung gesprochene Gedichttexte von Carlos Drummond de Andrade geben Anfang und Ende ein stilles nachdenkliches Gepräge, wenn Don Quixote mit seinem sich unversehens zur Flinte oder zum Degen wandelnden Wanderstock in die Welt zieht und schließlich wieder auf seinen thronartigen Bücherberg zurück kehrt. In den Szenen unterwegs kommt in teils gekürzter und umgestellter Form die bewährt leichte und schmissige Musik von Ludwig Minkus zu ihrem Recht, stimmungsvoll und in den Tempi anpassungsfähig zum Leben erweckt von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Christoph Gedschold.


Copyright: Renan Livi

Abgesehen von dem erwähnten Orchester ist die ganze Produktion fest in brasilianischer Hand, angefangen bei den  8 Skizzen des renommierten Malers Candido Portinari zu „Don Quijote“, die Hélio Euchbauer in seitlichen Hängern auf die Bühne übertragen und durch eine zentral sich über mehrere Durchgangsbögen wölbende Brücke mit wechselnder Hintergrund-Beleuchtung komplettiert hat. Bunt, romantisch angehaucht sind die von den farben rot, orange und gelb dominierten Kostüme von  Tania Agra, atmosphärisch die Beleuchtungsvarianten von José Luiz Fiorruccio zwischen sonnen-durchglühtem Leben und milchiger Traumwelt, letztere angekündigt durch donnernde Geräusche.

Aufgewertet hat Haydée vor allem den tänzerischen Anteil der Männer, um deren gleichfalls hohe Begabungen in der Compagnie entsprechenden Raum zu geben. Neben dem bereits erwähnten, zum Mann mutierten Amor und der mehr in den Mittelpunkt gerückten Titelgestalt betrifft dies auch den meist zum Komiker abgestempelten Sancho Pansa, dem Bruno Veloso nebst einer pfiffig-drolligen Spielastik auch viel tänzerische Würze in Drehungen und Radschlagen beimischt. Selbst dem gockelhaften Kitri-Verehrer Gamacho schenkt Haydée mehr Sympathie als gewohnt, lässt ihn seinen eigenen roten Teppich ausrollen und in erlesen íronischen Schritt-Kombinationen einher stolzieren. Daniel Reca gelingt das köstlich und ohne Übertreibungen.

Der Anführer der Gitanos ist einerseits fester ins Ensemble verwoben als sonst der Torero und gleichzeitig solistisch mit anspruchsvollen Sprung- und Drehvarianten dem größeren Part des Basilio fast ebenbürtig angenähert, was der ehemalige Karlsruher Solist Diego De Paula mit einer inzwischen noch gesteigerten Effektivität aus verführerischer Ausstrahlung und stolzem, knackig brillantem Impetus hinreißend ausspielt.  Zweifellos wäre er auch ein geschliffenerer Basilio als Cicero Gomes gewesen, der bei aller idealen Optik, mitreißenden Attacke sowie kraftvoll und gleichzeitig locker gedrehten Manegen eine schwankende Form aufwies. Die langbeinige Kitri von Thamiris Prata präsentierte sich bei allem Temperament als ruhender Pol in allen ihren Spitzen-Küren vom feinst zelebrierten Schweben bis zur unermüdlich gesteigerten Pirouette. Auch die auffallend große Ana Paula Camargo vermochte als Mercedes im raffiniert  geschnittenen langen violetten Kleid die choreographischen Einfälle Haydées genüsslich auszuspielen, während Luiza Yuk die Dulcinea in Weiß  mit organischen Linien und feiner Spitzen-Virtuosität zur wahrlich ersehnten Geliebten Don Quixotes adelte.

Das weibliche und männliche Corps füllte seine von lebendiger Anteilnahme und transparent gehaltener Gruppentanz-Dynamik bestimmte Funktion mit spürbar und hörbar viel anfachendem Feuer und Begeisterung aus, wie es von lateinamerikanischen Tänzern zu erwarten ist. Alles in allem ein große Kompliment für die Aufbauarbeit der Direktorin Ines Bogéa, die am Schluss zurecht mit Marcia Haydée inmitten der Tänzer den Jubel und die stehenden Ovationen entgegen nahm.

Haydée ist es mit ihrem reichen Wissen, ihrer Klugheit und ihrem Sinn für Liebenswürdigkeit und Humor tatsächlich gelungen, das im Grunde genommen schwache traditionelle Sujet so umzubauen und in den Gewichten etwas zu verlagern, ohne dass auf die wesentlichen lieb gewonnenen Details verzichtet werden muss. Selbst der zwiespältig umsetzbare Kampf gegen die Windmühlen blieb in geschickt dezenter Form erhalten.

 Udo Klebes

 

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