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BADEN-BADEN: „EVA-MARIA WESTBROEK-ALEXANDRE   KANTOROW- MARIINSKY ORCHESTER PETERSBURG-VALERY GERGIEV“


Valery Gergiev, Eva-Maria Westbroek. Copyright: Andrea Kremper

Baden-Baden: EVA-MARIA WESTBROEK-ALEXANDRE   KANTOROW- MARIINSKY ORCHESTER PETERSBURG-VALERY GERGIEV“  –  06.07.2019

Während der “Sommerfestspiele 2019” gastierte wiederum das Gesamt-Ensemble des Mariinsky Theaters St. Petersburg unter der Leitung von Valery Gergiev im Festspielhaus,  die gerne gesehenen Gäste hatten Verdis „Simon Boccanegra“ sowie zwei grandiose Konzert-Abende im Programm. Am 18. April 1998 leitete Gergiev das Eröffnungskonzert im Festspielhaus und war ihm bis dato während unzähliger Gastspiele verbunden. Zum ersten Konzert-Abend dieser Sommer-Saison zauberte Magier Gergiev wiederum einen jungen vielversprechenden Solisten aus dem Ärmel und zwar den ersten französischen Preisträger des „Tschaikowsky-Wettbewerbs 2019“ Alexandre Kantorow.

Zum Auftakt erklang  das „Zweite Klavierkonzert“ (Peter Tschaikowsky) mit dem 22-jährigen Pianisten. Wie das Erste, war auch Tschaikowskys Zweites für Nikolaj Rubinstein bestimmt, doch er starb vor der UA welche sodann vom Solist/Komponist Sergej Tanejew aufgeführt wurde. Das G-Dur-Werk aus dem Jahre 1880 mit seinen drei Sätzen, durch Solovioline und Solocello dem romantischen Typ des Tripelkonzerts angenähert, wurde nach Skizzen einer Symphonie komponiert.


Alexandre Kantorow. Copyright: Andrea Kremper

Im Tutti des Orchesters wurde der erste Satz mit marschähnlichem Thema eingeleitet, akkordiert  umspielt und beantwortet folgten die vom Klavier liedhaft intonierten Gebilde. Alexandre Kantorow gestaltete die Oktavenpassagen in kontrollierter Virtuosität, genuiner Musikalität und prächtig kommunizierend zum Orchesterklang. Hymnisch präsentierte der junge Pianist die rasende Solo-Kadenz und ließ in effektvollem Finish die Code-Stretta in technischer Perfektion folgen.

Vorbildlich ordnete sich Kantorow im Klaviertrio des Andante non troppo zum betörenden Responsorium der Solo-Violine und dem Solo-Cello ein, um sodann volltönend, virtuos, konzentriert bar jeglicher Extravaganzen seinen Klavierpart minutiös ausklingen zu lassen. Das war Musik traumhaft interpretiert und trieb selbst einem alten Hasen wie mir die Tränen der Rührung in die Augen. In drängender Steigerung entfaltete der aufstrebende Pianist im folgenden Mittelteil sein bereits erstaunliches Können, sein rauschhaftes Passagenwerk in glitzernden Kadenzen. Zum Sound des herrlich begleitenden Mariinsky Orchester unter der sensiblen Stabführung von Valery Gergiev klang das Satzfinale zu arpeggierten Harfenakkorden elegisch aus.

Das tänzerisch dahin jagende Rondo-Finale gehört zu den brillantesten Sätzen Tschaikowskys und in jugendlichem Ungestüm entfaltete der junge Kantorow nochmals sein pianistisches Können, charakterisierte in punktierten Rhythmen und trefflichen Klang-Balancen perfekt diesen Ausklang. Erfrischend zu beobachten die Fingerfertigkeit und akustisch aufzunehmen und zu erleben die pianistische Brillanz des jungen Künstlers. In elitärer Klangreinheit formierte Gergiev das prächtig disponierte St. Petersburger Orchester zu imposantem atemberaubendem Musizieren.

Das Publikum „stand Kopf“ und feierte den neuen Interpreten frenetisch. Freudig erregt bedankte sich der bescheidene Gefeierte mit der elegisch gespielten „Meditation Nr. 5“ Tschaikowsky).

Als zweite Solistin wurde Eva-Maria Westbroek gewonnen, sie interpretierte Brünnhildes Schlussgesang aus der „Götterdämmerung“ (Wagner). Verinnerlicht wirkte ihre Darstellung, vokal schöpfte die jugendlich-dramatische Sängerin aus den Reserven ihres intakten Mittelbereiches, dessen Glanz in den oberen Regionen allerdings schnell verblasste. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel? Es war ein netter Versuch und sicherlich wird ihn die kluge Sopranistin  erneut in einigen Jahren wagen. In rhythmischer Komplexität, ohne überdimensionierte Wucht, in epischem Duktus „zelebrierte“ Maestro Gergiev mit seinem phänomenal aufspielenden Mariinsky Orchester den „Trauermarsch“ und den finalen elegischen Ausklang.

Als Konzertfinale servierten die  Gäste aus St. Petersburg eine Symphonie aus der Konzertliteratur mit den wohl subjektivsten Gefühlsregungen die „Pathetique“ (Peter Tschaikowsky), einer der genialsten Schöpfungen des russischen Meisters. Bereits das einleitende Adagio – Allegro non troppo spiegelt einem Portrait gleich die Seelenzustände des unglücklichen Komponisten wider. Schwermütig erhebt das Fagott seine Klage untermalt von den dunklen Harmonien der tiefen Streicher in todtrauriger Weise, welche in einer melancholischen Frage ihren Höhepunkt fand. Die lastende Atmosphäre erstarb jäh in den Bratschen, die Holzbläser übernahmen von den Violinen ihren leidenschaftlichen Vortrag zum Hauptthema einem Ausdruck schmerzlicher Zerrissenheit. Selten vernahm ich diesen Kopfsatz so logisch, zwingend ausmusiziert wie heute. Natürlich fließend in koerzibler Zielstrebigkeit ließ Valery Gergiev sein Orchester die wunderbaren Details ausmusizieren. Die bestens disponierten Trompeten bliesen zum Sturm, zum instrumentalen Aufruhr, alles schien sich im wild-wütenden Aufbegehren zu überschlagen, langsam klangen die Gewalten im Crescendo der resignierenden Celli ab.

Sodann erhob sich das Allegro con grazia das zweite Satzthema dessen wunderbare Melodie in erster Linie, der Symphonie zu Ruhm verhalf. Ihr immenser Reiz beruht wohl darin, dass sich widersprüchliche Empfindungen wie Sehnsucht, Leid, Schmerz, Leidenschaft, Verklärung, Passion und Verzicht zugleich in Töne umgesetzt sich auf so wunderbare Weise offenbaren. In reizvollen Instrumental-Variationen wurden die Regungen, welche sodann im Elegischen enden derart trefflich dargeboten.

In Transparenz, hoher Flexibilität, handwerklich perfektem Können,  zu kreativem Potenzial und ausbalancierter Brillanz eröffnete Gergiev mit seinem Klangkörper das Allegro molto vivace mit seinen zündenden Motiven. Der gewaltige eruptive Finalsatz forderte den störenden Applaus einiger Konzertbanausen heraus.

Alle Vorzüge seines exzellenten Mariinsky Orchesters zu demonstrierte verstand es der fabelhafte Dirigent erneut zum finalen Adagio lamento. Auf geradezu beschwörende Weise vernahmen wir die erschütternd-aufwühlende Abschiedsklage eines Menschen, welcher scheinbar alles Leid der Welt überwand. Aus der schmerzlich-dunklen Melodik seines verinnerlichten Gesangs klang nicht nur Verzweiflung und Schwermut, nein es erhob sich auch ein geheimnisvoller Ausdruck erhabener Zuversicht. Gefühlssatt, in bemerkenswerter Tiefe und nie nachlassenden Spannungsbögen verklang das Werk wunderbar ausmusiziert.

Nach kurzem Innehalten entlud sich ein Sturm der Begeisterung.

Gerhard Hoffmann

 

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