Rossini in Wildbad
Bad Wildbad; Kurtheater mit Blumen. Foto: Sieglinde Pfabigan
Wenn man mich in einem Helikopter mit verbundenen Augen irgendwo entführt und an diesem Punkt der Erde ausgesetzt hätte – nie hätte ich mich in Deutschland gewähnt. Bad Wildbad ist ein Spezifikum. Rossinis 2. Ehefrau, Olympe Pélissier, hatte ihn im Jahre 1856 zu einem – höchst erfolgreichen – Kuraufenthalt im schwäbischen Heilbad animiert. Daran erinnert dieses “Belcanto Opera Festival”. Der Komponist ist zugegen.
Belcanto braucht eine Heimat, wo er sich wohlfühlen kann. Ein solches Festival braucht einen Intendanten, für den diese Musikgattung Wohlfühlkunst ist. Und es muss ein Publikum kommen, dem gesunder Humor behagt. Die schwäbische Mentalität kommt dem entgegen. Hier hat der italienische Ziergesang eine Funktion. Eine theatralische. Die Italiener sind bekanntlich Schauspieler von Natur aus. Sie gehen ungehemmt aus sich heraus, lieben sich in Szene zu setzen und sich dabei selber köstlich zu amüsieren. Jeder Jahrmarkt im Lande, das die Oper erfunden hat, beweist es. Angehörige Anderer Nationalitäten lassen sich davon gefangen nehmen.
Von des Gedankens Blässe nicht angekränkelt, vielmehr mit Leib und Seele bei der Sache, offeriert Intendant Jochen Schönleber seit 1992 als künstlerischer Leiter im attraktiven Enz-Tal zwischen den Höhen des Schwarzwalds ein begeisterndes Rossini-Programm mit arrivierten Stars dieser Musiktheaterbranche und seit 2004 als Direktor der “Akademie Belcanto” begabten Nachwuchs in Kooperation nicht nur mit Pesaro, sondern er holt sich sein singendes und musizierendes Personal aus aller Welt.
Aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie aus ferneren Landen strömen inzwischen die sachkundigen, jede der rasch ausverkauften Aufführungen bejubelnden Rossini-Liebhaber herbei. Unsere ‘Merker’ Udo Klebes und Dietmar Plattner, der eine aus Reutlingen, der andere aus Innsbruck, fahren seit 20 Jahren jeden Sommer hierher. Nach meinem Estbesuch 2013 habe ich ein Gleiches geschworen.
Sowohl im “Königlichen Kurtheater” wie auch in der größeren “Trinkhalle” bzw. im blumenreichen Kurpark an der munter talwärts sprudelnden Enz herrscht eine gelöste Stimmung, auch bei den ganz großen Rossini-Opern. (Der ungekürzte “Tell” vor 2 Jahren begann um 15,00 Uhr und endete um 22,00 Uhr – mit einer 2-stündigen Pause zum Abendessen.) In den meist von Schönleber, dem Italien-kundigen Schwaben, selbst inszenierten Opern herrscht pralles Leben – direkt aus Rossinis ansteckender Lebensfreude gespeist. Das intellektuell dominierte, Regiekonzept-süchtige Deutschland scheint weit, weit entfernt…
Jedes Jahr werden neben Bekanntem auch Rossini-Raritäten und jeweils dazu eine Oper von einem seiner Zeitgenossen gebracht. Dazu Konzerte oder halbszenische Auffuhrungen, die dem sängerischen Nachwuchs eine Chance geben.
Das diesjährige Festival stand unter dem Motto “Mezzosopran”, eine Stimmlage, für die der Meister aus Pesaro bekanntlich eine besondere Vorliebe hatte. Einige seiner wichtigssten Heldenrollen vertraute er den Besitzerinnen dieser Stimmgattung an –jeglicher physischen Logik oder Tradition zum Trotz. Heuer hatte schon als Auftakt (10.7.) Margarita Gritskova einen Liederabend gegeben und im Festkonzert zur offiziellen Eröffnung am 16.7. präsentierte man – mit Orchester – die kürzlich mit einem Oscar della lirica ausgezeichnete Marianna Pizzolato, die ihre Parade-Arien und anch völlig unbekannte Rossini-Nummern sang.
17.7.2015: “L’ingano FELICE” – titelgerecht auf die Bühne gebracht
Es ist schlicht ein Meisterstück, wie der 15-jährige Gioachino Rossini und sein Librettist Giuseppe Maria Foppa in dieser “Farsa per musica in einem Akt” (uraufgeführt 1812 im Teatro di San Moisé Venedig) ein im Grunde tragisches Vorkommnis mit Witz und Ironie verquickt und mit Hilfe der hinreißenden, facettenreichen Musik köstliche Charakterporträts geschaffen haben.
Die adelige Isabella, Ehefrau des Herzogs Bertrando,wurde von diesem verstoßen, weil der von ihr zurückgewiesene Gefolgsmann des Herzogs, Ormondo, sie der Untreue bezichtigt hatte. Sie sollte, ausgesetzt uuf einem Boot in offener See, den Tod finden, landete jedoch auf einer Insel, wo der Vorarbeiter einer Eisenmine sie als seine Nichte “Nisa” ins Haus nahm. Soweit die traurige Vorgschichte. Die nach 10 Jahren zum positiven Ende führende Meister-Intrige des klugen, wohlwollenden “Onkel” Tarabotto, der das Ehepaar wieder zusammenführen möchte – durch eine “glückliche Täuschung” – , bietet die nötige Handlung für den “Einakter”, der, hier mit Pause gespielt, dennoch abendfüllend ist. Im Inspektionsbesuch des Herzogs, dessen 2. Gattin inzwischen verstorben ist, sieht Tarabotto einen willkommenen Anlass, seinen Plan der Aussöhnung des herzoglichen Paares auszuführen. Die ineinander greifenden Aktionen der dummen Bösen und der gescheiten Guten, das gegenseitige Anklage- und Versteckenspiel und der Spaß daran, sorgen für nie abreißende Spannung und Unterhaltung.
Im Hintergrund Wellblechtrümmer als Symbol einer großen Zerstörung, lebensrettende Sandsäcke, hinter denen sich die Lauschenden verstecken, ein Bootswrack, das auf die Vorgeschichte verweist, bilden den passenden Schauplatz (Bühne: Robert Schrag), der sich für die komischen ebenso wie für die ernsten Momente eignet. Die schlichten Gegenwartskostüme sind Eingebungen von Claudia Möbius. Die perfekte Personenregie von Jochen Schönleber zeichnet sich durch Spontaneität, empfindungssstarke Höhepunkte und stets musikalisch fundierte Bewegung aus. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Ein demolierter alter Militär-Jeep, vom Publikum belacht, kommt mühsam auf die Bühne gefahren und wird ruckartig gestoppt. Der fesche Chauffeur entpuppt sich als der Tenor des Abends, entsteigt dem Gefährt und bringt sogleich seine Gefühle höchst melodisch zum Ausdruck. Tarabotto gibt vor, seinem Herzog ein wichtiges Dokument zukommen lassen zu müssen, aber es dauert fast eine Stunde, bis er es tut, währenddessen er anderweitig handelt. Man muss gesehen haben, wie da mehrgleisig gespielt wird, Herzog und Herzogin einander zwar zu erkenenn meinen, er sie aber für tot halten muss…, wie auch Ormondo bei ihrem Anblick erschrickt und neue Ränke spinnt, um die Frau abermals zu entführen, sich dann aber in eine Falle locken lässt und vom Herzog als der Übeltäter erkannt und verdammt wird. Die widerstrebenden Gefühle, die das Herzogspaar während der ganzen Aktion bewegen, sind auch musikalisch vernehmbar. Isabella verzeiht dem reuigen Gemahl in einem wunderschönen Finale.
Rossinis raffinierte, abwechslungsreiche Musik mit bemerkenswerten instrumentalen Finessen – etwa vor Vergnügen glucksende Hörner und Holzbläser, oder eine köstliche pizzicato-Szene, die der allgemeinen Erregung im Finale des 1. Bildes typisch Rossini’schen Crescendo-Auftrieb gibt, wunderbare Solo-Kantilenen der leidend-liebenden, verstoßenen und wiedergefundenen Isabella und ihrer Partner, effektvolle Secco-Rezitative, die entweder Schreckmomente begleiten oder eine komödiantische Wendung bewirken, dargeboten von einem Tafelklavier (Michele D’Elia), sowie die Virtuosuität der Gesangsparts strafen das jugendliche Alter des Komponisten Lügen.
Antonino Fogliani am Pult des tschechischen Kammerorchesters, der Virtuosi Brunenses, zeigt mit sichtlichem Animo den Musikern, wie Rossini zu klingen hat. Diese “Farsa” ist keine zweitrangige Musik. Sie pulsiert, sie erfreut, sie überrascht, sie nimmt uns gefangen. Sie macht Lust auf mehr.
Beste Voraussetzungen für vorzügliche Sängerleistungen. Silvia Dalla Benetta ist als attraktive Herzogin Isabella eine starke Persönlichkeit. Ihr perfekt geführter, samtweicher, auch zu Attacken fähiger Mezzosopran mit glänzender Höhe und ihr gefühlvolles Spiel erinnern an Joyce DiDonato. Mit Artavazd Sargsyan steht ihr ein nicht nur vor 2 Jahren mit dem Belcanto-Preis der Saison ausgezeichneter, sondern auch wirklich erstklassiger Tenor zur Seite, der aussieht wie ein Herzog und Liebhaber, strahlend singt und hochsensibel agiert. Die größte und dankbarste Rolle des Stücks hat der allpräsente Tarabotto, “capo dei minatori”. Lorenzo Regazzo ist nicht nur ein trefflicher Komödiant, sondern versteht es, seinen wohlklingenden Bassbariton derart wortdeutlich und aussagekräftig einzusetzen, dass man ihm unentwegt an den Lippen hängt. Hier haben wir einmal einen “Alten”, auch wenn der leicht grau meliert auftretende Sänger körperlich nicht diesem Bild entspricht, der die junge Frau nicht für sich beansprucht, sondern sie einfach glücklich sehen will. In virtuoser Weise bringt Regazzo alle Mitspieler dorthin, wo er sie haben möchte. Dem bösen Ormondo, der mit grimmer Miene und Brille darauf bedacht ist, seine wahren Intentionen zu verbergen, gibt Baurzhan Anderzhanov, mit dunklem Bariton das richtige Profil. Ormondos “confidente” namens Batone, dem immer wieder der Tod angedroht wird, wenn er sich seinem Herrn nicht fügt, hat zwar Isabella auf das Boot gebracht, lebt aber seither in der Angst, dafür bestraft zu warden, wechselt die Seiten, wird aber auf Isabellas Fürbitte vom Herzog begnadigt – eine Bufforolle mit ernstem Hintergrund, die der Bariton Tiziano Bracci souverän bewältigt. Stumme Bergarbeiter und Soldaten ergänzen das Personal. Einer davon, Tommaso Dioni, spielt, auf dem Jeep ein elegisches Flötensolo.
Resumé: Bei allem Ernst, der hinter der Geschichte erkennbar ist, steht das spielerische Element im Vordergrund. So sah es das Regie-Team, so sahen es Dirigent, Orchester und Sänger. Und ein aufmerksames, gefesseltes und vergnügtes Publikum!
Sieglinde Pfabigan