BAD WILDBAD / Rossini-Festival: RICCIARDO E ZORAIDE am 17.7. 2013 (Werner Häußner)
Ein ehrenwerter Versuch: Nach dem italienischen Rossini Opera Festival in Pesaro will nun auch das Rossini-Festival in Bad Wildbad der 1818 uraufgeführten Oper „Ricciardo e Zoraide“ Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der Erfolg darf trotz der Schönheit und der reichen musikalischen Mittel von Rossinis Komposition bezweifelt werden. Schuld daran ist das Sujet. Librettist Francesco Berio di Salsa, ein gebildeter und belesener Mann – der Marchese ist auch Textautor von Rossinis „Otello“ – strickte aus der Rittergeschichte um den nubischen Tyrannen Agorante und seinem fränkischen Widersacher Ricciardo eine Handlung nach metastasianischem Vorbild, ohne die Seelentiefe und die dramatische Höhe der Libretti des Wiener Hofdichters zu erreichen.
Agorante begehrt Zoraide, deren Vater dem afrikanischen Potentaten die Hand seiner Tochter verweigert hatte. Zoraide wiederum liebt den Paladin Ricciardo. Der gewalttätige Tyrann ist zudem verheiratet und mutet seiner Gattin Zomira zu, eine Art Zweitfrau dulden zu müssen. Die fränkischen Ritter Ricciardo und Ernesto landen auf der Suche nach der geraubten Zoraide mit einem Boot und geben sich als Gesandte aus, um die Freilassung Zoraides zu verlangen. Agorante bleibt hart, es droht ein Krieg.
Im zweiten Akt der Oper versuchen die Ritter den Nubier zu überlisten, um Zoraide freizubekommen. Auch Zomira, die eifersüchtige Gattin, intrigiert mit allen Mitteln, um die Rivalin zu beseitigen. Der Plan misslingt, nur ein Kämpfer bei einem Gottesgericht kann Zoraide retten: Da taucht ihr Vater Ircano unerkannt auf und bietet sich als Streiter an. Agorante bestimmt als seinen Vertreter ausgerechnet den – verkleideten – Ricciardo, der nun gegen den Vater seiner Geliebten antreten muss. Zomira allerdings kann den Franken enttarnen. Scheinheilig verspricht sie Ricciardo und Zoraide eine Möglichkeit zur Flucht – aber nur, um die Liebenden festsetzen und töten zu lassen. Das Heer der Franken bricht in die Stadt ein, gerade als die Hinrichtung erfolgen soll …
Eine spannende Geschichte, so möchte man meinen. Doch dem Librettisten gelingt es nicht, die Charaktere glaubwürdig zu zeichnen: Keine der Personen entwickelt sich, die Konstellationen wirken durch die komplizierte Intrige mit ihren Täuschungs- und Enthüllungselementen unwahrscheinlich und folgen längst nicht mit der „Natürlichkeit“ aufeinander, die der Verfasser angestrebt hatte.
Zumindest in der konzertanten Aufführung in Bad Wildbad vermittelte sich nicht der Eindruck, dass Rossinis Musik die Kolportage retten könnte. Dabei hat Rossini – entgegen den Behauptungen der zeitgenössischen Kritik – seinen Weg der musikalischen Innovation unbeirrt fortgesetzt: seine harmonischen Mittel sind reich entwickelt, seine Instrumentationskunst entwickelt zeitgenössische Impulse, etwa die Simon Mayrs, virtuos weiter. Beeindruckend ist, wie Rossini den Raum der Musik öffnet: Erstmals verwendet er eine „banda“ hinter der Bühne. Er setzt Fernchöre ein und teilt den Chor im ersten Akt räumlich auf.
Das Orchester, die Virtuosi Brunensis, sind diesmal nicht ganz auf der Höhe des tags zuvor erklungenen „Guillaume Tell“: Die Holzbläser, die schon in der Ouvertüre reizvolle Soli haben, klingen steif; manche offenen Momente in den Violinen ertönen statt in zartem piano zögerlich dünn. Der Dirigent José Miguel Pérez-Sierra nimmt die erhabene Einleitung der Ouvertüre metrisch korsettiert, lässt später auch den Rhythmus zu wenig schwingen. Die typischen Rossini-Akzente „springen“ nicht ab, werden zu zaghaft pointiert. Und der Marsch in der avanciert komponierten Einleitungsszene wirkt behäbig statt aggressiv.
Bad Wildbad hat wieder allen Ehrgeiz investiert, um hochkarätige Solisten zu gewinnen. Randall Bills muss dem eindimensional als unbeherrschten Gewaltmenschen gezeichneten Agorante seinen kräftigen, höhensicheren Tenor leihen. Er versucht, dem Charakter gestalterisch Facetten abzugewinnen, brilliert vor allem in den Momenten, in denen er Begehren, Zorn und hochfahrenden Stolz in leuchtende, wenn auch noch recht fest sitzende Töne kleiden kann. Sein Gegenspieler Ricciardo wird von Maxim Mironov gesungen. Der Tenor hat im Vergleich zu seinem Auftritt in Saverio Mercadantes „I Briganti“ in Wildbad 2012 gewonnen: Zur Klarheit des Tons und zur unverkrampften Linie des Singens treten nun Flexibilität, lockere Emission und reizvolle Färbung des Stimmklangs. Auch Artavazd Sargsyan kann als Ernesto – wie schon in „Guillaume – Tell“ mit seiner hell-lyrischen, sauber fundierten Stimme überzeugen.
Auf der Seite der Damen sieht die Bilanz nicht so abgerundet aus: Silvia Beltrami als Zomira hat eine Prachtrolle, denn Rossini hat die Contralto-Partie mit allen Facetten seiner Vokalkunst bedacht. In virtuosen Verzierungen und anspruchsvollen Koloraturen äußern sich der Furor der Eifersucht und die ungehemmte Rachsucht der verschmähten Königin. Ironie, List und Verstellung fordern elaborierte Stimmfarben, aber auch die echte Qual der zurückgewiesenen Frau will ausgedrückt sein. Silvia Beltrami zeigt sich vertraut mit den Mitteln der vokalen Darstellungskunst, singt mit Energie und Engagement, stolpert aber leider allzu sehr über ihr ausladendes Vibrato, das ihr kaum erlaubt, eine schöne Linie, einen reinen Ton zu gestalten.
Alessandra Marianelli, die Primadonna, ist ein Fall für sich: Die Sängerin verfügt über ein gesegnetes Material, einen vollen, dabei schlanken Ton mit konzentriertem, edlem Klang. Die Technik, mit der sie singt, scheint aber eher obskurantischer Herkunft zu sein. Darauf deuten „Hilfsmittel“ hin wie ein ständig an der rechten unteren Ecke des Notenpults „klebender“ linker Arm, oder die typischen Bewegungen der Hand, mit der manche Lehrer ihren Schülern wohl esoterische Wirkungen auf den Appoggio verheißen. So versteift Marianelli ihren Körper – und entsprechend gezwungen, in der Höhe eingegrenzt, im Timbre verengt klingt dann ihr Sopran.
Auch Diana Mian (Fatima) ist nicht frei von den problematischen Auswirkungen einer heute in Italien verbreiteten Art der Stimmbildung, die zwar brillante, aber unflexible, im Vibrato hart anschlagende Stimmen hervorbringt. Weicher und klangschöner agiert Anna Brull in der kleinen Rolle der Elmire. Als Ircano steht der Bass Nahuel Di Pierro am Pult – ein Sänger mit einer beeindruckenden Tiefe, aber Problemen mit der Höhe. Die Oper wird wohl kaum die Verbreitung zurückgewinnen, die sie zu Rossinis Lebzeiten genossen hat – der Komponist dirigierte sie u.a. 1822 in Wien –, für ein Festival wie Bad Wildbad aber ist sie eine Trouvaille, in der Rossinis Musik volle Aufmerksamkeit verdient.
Werner Häußner