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BAD WILDBAD/ Festival Rossini in Wildbad: CORRADINO, COR DI FERRO von Gioacchino Rossini, ROMILDA e COSTANZA von Giacomo Meyerbeer, I TRE GOBBI von Manuel Garcia, L’ACCADEMIA DI MUSICA von Giovanni Simone Mayr und TANCREDI von Gioacchino Rossini

22.07.2019 | Allgemein, Oper


Das Kurtheater(chen). Foto: Robert Quitta

BAD WILDBAD/ Festival Rossini in Wildbad: CORRADINO, COR DI FERRO von Gioacchino Rossini, ROMILDA e COSTANZA von Giacomo Meyerbeer, I TRE GOBBI von Manuel Garcia, L’ACCADEMIA DI MUSICA von Giovanni Simone Mayr und TANCREDI von Gioacchino Rossini am 18./19./20.7.2019

Ein Genie kann nicht einmal irgendwo Urlaub machen, ohne dass das 150 Jahre später noch beträchtliche Folgen nach sich ziehen kann. 1856 weilte Gioacchino Rossini, der Champion aller Belcanto-Klassen, im schwäbischen Wildbad,  um – wie eine Gedenktafel verrät – „Heilung“ von seinen unzähligen chronischen Leiden (zB. des Uro-Genitaltrakts) zu suchen.

Dass er Heilung fand, ist eher unwahrscheinlich. Tatsache ist allerdings, dass dort seit nunmehr schon 1989 jeden Sommer Festspiele zu seinen Ehren stattfinden.

Das mittlerweile zum „Bad“ geadelte Wildbad liegt am Ende eines Nordschwarzwälder Sacktals in der Nähe von Pforzheim und ist dementsprechend mühsam zu erreichen. Der geneigte Besucher muss also schon mit einer gehörigen Portion Leidenschaft – um nicht zu sagen f a n a t i s c h e n Leidenschaft – zum Schwan von Pesaro ausgestattet sein, um diese Odyssee auf sich zu nehmen.


Rossini-Medaillons in gesamten Kurpark. Foto: Rossini in Bad Wildbad“

Bad Wildbad soll einst so bedeutend und berühmt gewesen sein wie Baden-Baden. Davon merkt man heute freilich nur wenig, weil die Verantwortlichen offenbar viele Entwicklungen verschlafen haben. Umso gelegener kam  ihnen dann natürlich die Kur-Anekdote mit Rossini, um in seinem Windschatten wieder etwas Bedeutung zu erlangen: der Kurpark ist mit einer Fülle von Medaillons übersät, die auf der Vorderseite eines seiner zahlreichen Porträts zeigen, und auf der Rückseite eines der vielen ihn betreffenden Zitate – Fürst Metternich nennt ihn z.B. den „Gott der Harmonie“. Auf dem Kurplatz steht eine nicht sehr schmeichelhafte Statue des nackten, übergewichtigen, nur notdürftig seine Scham mit einem Handtuch bedeckenden Maestros, der vorsichtig die Wassertemperatur vorfühlt, ein Hotel, ein Restaurant ist nach ihm benannt, usw.usf.


Wenig schmeichelhafte Statue des nackten, übergewichtigen, nur notdürftig seine Scham mit einem Handtuch bedeckenden Komponisten, der vorsichtig die Wassertemperatur vorfühlt. Foto: Rossini in Bad Wildbad

Und dann sind da eben die von Jochen Schönleber (Spitzname: Fegatobello) geleiteten Festspiele. Sie finden in dem ganz entzückenden, bestens renovierten königlichen Kurtheaterchen sowie in der atmosphärisch weniger ansprechenden, aber für diese Zwecke durchaus geeigneten ehemaligen Trinkhalle statt.

Schönleber schafft das Kunststück, jedes Jahr – trotz eines nicht überbordenden Budgets – nicht weniger als fünf Produktionen herauszubringen (darunter natürlich auch konzertante und „halbszenische).


Glückliches Ende in der Reaktion. Foto“ Rossini in Bad Wildbad/ Patrick Pfeiffer

„Spitzenproduktion“ des heurigen Sommers (in die am meisten Mühe und Geld investiert worden war) war Rossinis selten gespielte semi-seria Oper „Corradino, Cuor di Ferro (Corradino, das  Eisenherz), die auch unter dem Titel „Matilde di Shabran“ aufgeführt wird. Es ist dies die Geschichte des mörderischen Frauenhassers mit dem schon ohnehin alles sagenden Namen, der von besagter Matilde letztlich eines Besseren belehrt und (wenn auch nicht ohne lebensgefährliche Rückschläge) zur Liebe verführt wird. Rossini schrieb eine von Anfang bis Ende durchgehend auf höchstem Niveau inspirierte Partitur, und dank der italienisch/deutschen Übertitel konnte man diesmal auch die unglaubliche (teils Offenbach vorwegnehmende) Genialität des Librettos von Jacopo Ferretti (er schrieb auch das absolut wunderbare Buch zur „Cenerentola“) genießen.

Musikalisch blieben – wie fast eigentlich immer in Wildbad – kaum Wünsche offen. Aus dem homogenen Ensemble unter der Leitung von José Miguel Pérez-Sierra an der Spitze des Passionart Orchestra Krákow ragte dann aber doch die junge katalanische Sopranistin Sara Blanch noch ein kleines Stückchen weiter hervor. Vor allem durch ihr in jeder Sekunde beseeltes Schau–Spiel und die ungeheure Kraft und Konzentration, mit der sie auch noch die halsbrecherischsten Koloraturen des kaum endenwollenden Finales souverän und scheinbar mühelos bewältigte.Wenn es in der Opernwelt mit rechten Dingen zuginge, müsste ihr eine g r o s s e Karriere bevorstehen.

Um sich diesen rundum positiven Eindruck aber nicht verderben zu lassen, durfte man an die Inszenierung von Stefania Bonfardelli allerdings nicht allzuviele Gedanken verschwenden. DIe ehemalige (in Wien sehr beliebte) Belcanto-Primadonna hat eine vielversprechende Zweitkarriere als Regisseuse begonnen und man hat von ihr auch schon sehr gute Sachen gesehen. Hier griff sie jedoch mit ihrer Idee, die Handlung in die „Männerwelt“ einer Zeitungsredaktion zu verlegen, voll daneben. Das ging sich hinten und vorne und links und rechts zu keinem Zeitpunkt irgendwie aus, und war auch gar nicht schön anzusehen…

Zweiter programmierter Höhepunkt diesen Sommer war die Wiedererstaufführung in modernen Zeiten von Giacomo Meyerbeers „ROMILDA E COSTANZA“ , seiner ersten italienischen Oper.

Da man sie hier konzertant gab, gab es in diesem Fall auch keine Beeinträchtigungen durch szenische Unsinnigkeiten. Musikalisch schwebte man an diesem Abend dank des exzellenten Casts ( u.a. Patrick Kabongo, Chiara Brunello, Luiza Fatyol und Giulio Mastrototaro) erneut im siebenten Belcanto-Himmel. (Leichte) Beeinträchtigungen waren hier eigenartigerweise auf das Werk selbst zurückzuführen. Denn 1. war es denn doch überraschend, wie wenig der 25jährige Meyerbeer hier schon zu einer eigenen Musiksprache gefunden hatte (Händel und Rossini waren da selbst mit 18 Jahren schon viel weiter) und 2.war es erschreckend, dass das banale und allzu lineare Libretto (immerhin von Gaetano Rossi !) so gar keinen Vergleich zB. mit dem von „Corradino“ am Vorabend standhielt.

Auf diese zwei „grossen Brocken“ folgten drei „kleinere“ Produktionen im putzigen Königlichen Kurtheater.


I tre gobbi. Foto: Foto“ Rossini in Bad Wildbad/  Fabio Salmeri

Manuel García (1975 – 1832) war nicht nur ein begnadeter Rossini-Tenor und Vater von Maria Malibran und Pauline Viardot! sondern auch ein hochinteressanter Komponist (man höre sich nur die jüngste CD von Javier Camarena „Contrabando) mit etlichen Arien von ihm an). Die in Wildbad präsentierte Salon-Farce (nur mit Klavierbegleitung ) „I tre gobbi“Die drei Buckligen) über eine kokette Frau, die ihre drei Liebhaber an der Nase herumführt, um se letztlich in eine „ménage à quatre“ zu zwingen, ist hingegen nicht wirklich unverzichtbar.


Tancredi Diana Haller. Foto“ Rossini in Bad Wildbad/ Patrick Pfeiffer

Rossinis frühes tragisches Meisterwerk „Tancredi„, zum ersten Mal in Wildbad, wurde überraschenderweise nicht in der großen Trinkhalle, sondern im winzigen, überfüllten Kurtheater aufgeführt,  gewann dadurch aber im kleinen Rahmen neue, intime Qualitäten. Musikalisch war ein weiteres Mal alles in Butter, nicht zuletzt durch die wunderbare kroatische Sängerin Diana Haller  als Tancredi („Die beste Stimme, die in Wildbad je gesungen hat“, bemerkten langjährige Festival-Kenner).Leider ist Jochen Schönleber als Regisseur nicht so begabt wie als Talentscout und Intendant, und dadurch schoss er sich mit seinem Willen, den Tancredi (wie auch die „Tre gobbi“ auch eigenhändig inszenieren zu müssen, unglücklicherweise selbst ins Knie. Auf szenische Umsetzung hat man im stimmenverliebten und – fixierten Wildbad ja noch nie großen Wert geliegt, aber dieser grässliche Tancredi mit einer Bande von polnischen Naziskin stellte dann doch einen Tiefpunkt dar. NIcht zum Anschauen…

So geht der „Lorbeer“, so geht die“Krone“, so geht der „Preis“ für die in jeder Hinsicht rundum gelungste Produktion des Wildbadener Sommers 2019 zu unser aller Überraschung an „L’accademia di musica“ von Giovanni Simone Mayr (1763 – 1845)

Der bei Ingolstadt als Johann Simon Mayr geborene, später in Bergamo italienisch naturalisierte Deutsche wird heutzutage hauptsächlich nur noch als Lehrer Donizettis erwähnt. Dabei war er einer der produktivsten und erfolgreichsten Opernkomponisten seiner Zeit, und dabei behaupten auch viele Musikologen, dass er eigentlich der weitaus begabtere und innovativere der beiden Maestri gewesen sei. Wie man bei der „Accademia“ feststellen konnte, könnten sie damit durchaus recht haben. Denn diese einaktige, „metatheatralische“ Farce auf ein Libretto von Gaetano Rossi (wieder in Hochform hier) ist ein pures Vergnügen. Hochkultivierte, hoch“gelahrte“ Musik, die sich auch höchstem NIveau über sich und ihresgleichen subtil-ironisch lustig macht (z.B. mit der grossartigen, nur aus Aufführungsanweisungen – „Piano“, „Crescendo“, „Forte“,“Fortissimo“, „Fermate“ etc. – bestehenden Arie des Momoletto). Köstlich und deliziös.

Wir fordern eine ab sofort eine Giovanni Simone Mayr-Renaissance, wir fordern mit Nachdruck eine eigenes Giovanni Simone Mayr Festival !

Irgendwo wird doch auch er einmal auf Kur gewesen sein…

PS: die meisten der hier besprochenen Produktion werden, vom SWR aufgezeichnet, wie aus Wildbad üblich, bei NAXOS erscheinen…

Robert Quitta, Bad Wildbad

 

 

 

 

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