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BAD WILDBAD: ADELAIDE DI BORGOGNA von Gioacchino Rossini

24.07.2014 | KRITIKEN, Oper

BAD WILDBAD: ADELAIDE DI BORGOGNA von Gioacchino Rossini am 23. Juli 2014 (Werner Häußner)

 Das ist der Stoff, aus dem echte Opern sind! Adelheid von Burgund, eine der einflussreichen Frauen des Mittelalters, verliert ihren Gatten Lothar. Durch Giftmord, verübt von dessen Kontrahenten Berengar. Der will sich die Macht über Italien sichern und versucht, die junge Witwe gegen ihren Willen mit seinem Sohn Adelbert zu verheiraten. Adelheid wendet sich an Otto I. Der deutsche König kommt ihr zu Hilfe, verliebt sich auf den ersten Blick in die attraktive Regentin und kann sie schließlich trotz erbitterten Widerstands Berengars und Adelberts ehelichen.

Die historischen Fakten hat der neapolitanische Librettist Giovanni Schmidt zu einem Textbuch für Gioacchino Rossinis erste römische Opera seria zusammengeschmiedet: Doch „Adelaide di Borgogna“, uraufgeführt am 26. Dezember 1817 zur Eröffnung der Karnevalssaison im Teatro Argentina, war kein Erfolg. Die Oper wurde nur ein paar Mal nachgespielt und später von Rossini als Reservoir für „Eduardo e Cristina“ und das verschollene englische Projekt „Ugo, Re d’Italia“ benutzt. Moderne Aufführungen – zuletzt beim Rossini-Festival in Pesaro – konnten letztlich ebenfalls nicht überzeugen. Jetzt kam die unglückliche „Adelaide“ in Bad Wildbad zur späten deutschen Erstaufführung.

Der durchaus verdienstvolle Abend in der württembergischen Ausgrabungsstätte für belcanteske Relikte der Rossini-Zeit bestätigt: „Adelaide di Borgogna“ bleibt ein Artefakt der Vergangenheit, das nur Kenner und Liebhaber in Entzücken versetzen wird. Das hat unterschiedliche Gründe, ein entscheidender ist das Libretto Schmidts. Rossini vertonte viele der erklärenden Rezitative nicht. Die Figuren bleiben eindimensional, die Konflikte verlaufen schematisch. Und die mäßig inspirierte Personenführung in der Regie von Antonio Petris hilft diesen Schwächen auch nicht auf die Sprünge.

Die Botschaft des Stücks, der Sieg der beharrlichen Liebe, ist etwa von Händel oder von Rossini selbst in anderen Opern musikalisch spannender und differenzierter gestaltet worden. Die politischen Konflikte – hier eine selbstbewusste, auf ihre Selbstbestimmung pochende Frau, dort zwei skrupellos um ihre Macht kämpfende Männer – gewinnen kaum Brisanz. Der einzige spannende Zwiespalt ist Adelberts innerer Kampf zwischen seiner ehrlichen Liebe zu Adelaide und der Pflicht, seinen Vater aus der Gefangenschaft zu befreien. Schmidt porträtiert einen vom Vater abhängigen Sohn, dem es nicht gelingt, sich vom patriarchalen Unterdrücker eigener Lebensregungen zu befreien. Und Rossini gibt den kolportagehaften Sätzen der Szene mit seiner Musik eine berührende Tiefendimension.

Um diesen seelischen Kampf, in dem der Chor die Rolle eines Freud’schen „Über-Ich“ einnimmt, adäquat auf die Bühne zu bringen, braucht es einen Sänger, der über die stimmlichen Mittel verfügt, die Ausdrucksmittel des Belcanto mit psychologischer Klugheit einzusetzen. Der Tenor Gheorghe Vlad kämpft in Bad Wildbad eher mit der Technik als mit den inneren Impulsen von begehrender Liebe und Sohnespflicht. Das Timbre seiner Stimme wirkt unfertig steif; die hohen Töne tippt er nur an. Auch als Darsteller kommt er über Stereotypen nicht hinaus. Es ist alleine die Musik Rossinis, die in dieser Szene und Arie des zweiten Akts ihren Zauber entfaltet.

Wobei auch diese Magie ihre Grenzen hat: Luciano Acocella leitet die Virtuosi Brunenses über weite Strecken steif, mit mechanisch geschlagenem Rhythmus, der Rossinis Dreiertakt etwa in gefährliche Nähe zu dem früher spöttisch bemühten Begriff der „Leierkastenmusik“ rückt. Die Finessen metrischer Variabilität, die leichte, elegante Formulierung der Phrasen, eine akzentuierte Tongebung, eine flexible Agogik: Acocella achtet zu wenig auf solche essentiellen Parameter, die Rossinis Musik erst zu dem spritzig-federleichten Kunstwerk machen, das seine Meisterschaft auszeichnet.

Zum Glück stehen auf der niedrigen, von Antonio Petris mit zweckmäßigen schwarzen Wandelementen gestalteten Bühne der ehemaligen Bad Wildbader Trinkhalle Sängerinnen und Sänger, die mit versierter Technik und geschmackvoller Gestaltung überzeugen: An erster Stelle ist Margarita Gritskova als androgyner Ottone zu nennen. Die russische Mezzosopranistin hat an der Wiener Staatsoper bereits als Angelina in „La Cenerentola“ und als Rosina im „Barbiere di Siviglia“ brilliert; in Wildbad beweist sie, dass sie der opera seria ebenso souverän gewachsen ist. Ihr wandlungsfähiger Mezzo hat die geschmeidige Noblesse für die zärtlichen Momente der Begegnung mit Adelaide ebenso wie den schneidenden Schliff für das Quartett des zweiten Akts und den Triumph des Finales. Die Auftritts-Cavatina „Soffri la tua sventura“ gestaltet Gritskova als Musterbeispiel kontrollierten, expressiven Singens; das Rezitativ „O sacra alla virtú“ ist schönster, erhabener „canto spianato“. Auch die Koloraturen und Verzierungen setzt Gritskova variabel und stilsicher ein; ihre Registerwechsel sind nahezu perfekt verblendet und garantieren den ebenmäßig gebildeten Ton,

Als Adelaide ist Ekaterina Sadovnikova eine gleichwertige Partnerin: Für den Ausdruck des Leidens und der Ausweglosigkeit fehlen dem klangvollen Sopran die abgeschatteten Farbtöne nicht; für die Hoffnung auf Liebe und Respekt – genährt durch Ottones Zuwendung – ließen sich die Phrasen noch eine Idee flexibler, der Klang etwas weicher bilden. Doch vor allem im Duett des ersten Akts, aber auch im Quartett des zweiten zeigt Sadovnikova Stilgefühl und Sicherheit in der Platzierung des Tons.

Sehr ansprechend sind auch die flankierenden Rollen besetzt: Baurzhan Anderzhanov, seit 2013 im Ensemble des Aalto-Theaters Essen, wird dort im Herbst als Don Alfonso in „Cosi fan tutte“ seine erste größere Rolle singen. Die Partie des Berengario, des klassischen Bösewichts, gestaltet er in Bad Wildbad mit einem kontrollierten, gleichmäßig geformten Bariton. Yasushi Watanabe, derzeit noch Student am Konservatorium in Parma, zeigt als Iroldo in seinen wenigen Sätzen einen klaren, sauber phrasierenden Tenor. Ebenso Cornelius Lewenberg (Ernesto) mit einer viel versprechenden, jugendlichen Baritonstimme. Miriam Zubieta als Eurice kann in der Qualität des Ensembles nicht ganz mithalten: Die Stimme ist fest und eng, wird in der Höhe hart und schneidend.

Das Wildbader Plädoyer für „Adelaide di Borgogna“ wird – nach menschlichem Ermessen – trotz einiger bemerkenswerter Nummern wohl folgenlos bleiben. Das ist nicht ungewöhnlich, sind doch selbst Meisterwerke der opera seria des „Schwans von Pesaro“ über das nördliche Schwarzwaldtal nicht hinausgekommen – ein Zeichen für die leider immer noch nicht überwundene Schwerfälligkeit der über 80 (!) Musiktheater in Deutschland. Im Falle der Oper über Adelheid von Burgund wird’s aber auch am Werk liegen: Zwischen den ehrgeizigen Arbeiten für Mailand („La gazza ladra“) und Neapel („Armida“, „Mosé in Egitto“) erscheint „Adelaide di Borgogna“ eher als die Erfüllung einer Freundespflicht dem Impresario Pietro Cartoni gegenüber.

Werner Häußner

 

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