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BAD URACH/ Herbstliche Musiktage/Stadthalle Reutlingen: ZAIDE – konzertant

06.10.2013 | KRITIKEN, Oper

Herbstliche Musiktage Bad Urach 2013: „ZAIDE“ konzertant 6.10. 2013 (Stadthalle Reutlingen) –

Amüsantes Spiel mit dem Konjunktiv


Mutige Retterin und einfühlsame Mozart-Interpretin:  Sara Hershkowitz. Copyright: Felix Broede

Mozarts Fragment gebliebene Türkenoper aus dem Jahre 1779/80 in einer äußerst lebendigen konzertanten Wiedergabe bildete gleichzeitig den Abschluss des in diesem Jahr in Reutlingen statt gefundenen 62. Deutschen Mozartfestes und den großprogrammatischen Beginn der 33. Herbstlichen Musiktage im 20km entfernt liegenden Kurstädtchen Bad Urach, bei denen sich dieses Jahr alles um das Märchen und seine zahlreichen Erscheinungsformen in Musik und Literatur dreht.

Der Auftraggeber des mit einem Text des Salzburger Hoftrompeters Andreas Schachtner auf zwei möglichen Vorlagen (Voltaires Trauerspiel „Zaire“ und das Singspiel „Das Serail“ des Haydn-Librettisten Joseph von Friebert) fußenden, ohne Dialoge gebliebenen Werkes ist bis heute unbekannt. Es gibt lediglich Vermutungen, dass eine der zur Entstehungszeit in Salzburg gastiert habenden Wandertruppen, darunter auch diejenige Emanuel Schikaneders, Mozart zu dieser Komposition veranlasst haben. Statt der sonst von ihm verwendeten Secco-Rezitative existieren zwei dem deutschen Stil mehr entsprechende Melologe, bekannter unter dem Namen Melodram, vor dem Hintergrund kurzer Orchestereinschübe. Zwischen dem Gehalt des Textes und der Musik klaffen indes große Unterschiede, weshalb der italienische Dichter Italo Calvino Anfang der 1980er Jahre für ein Festival-Einstudierung eine Erzählung schuf, die den fünf Solo-Charakteren deutlicheres Profil gibt und eine sinnfälligere Verbindung zwischen den einzelnen Musiknummern herstellt, letztlich dem Stück einen Rahmen verleiht.

Für diesen geistreichen, bisweilen poetischen Text, der auch der Ironie nicht entbehrt, bedarf es einer Kraft, die diesen Gehalt entsprechend auszufüllen und unter Spannung zu halten vermag. Der Wiener Schauspielerin Julia Stemberger gelang es in der auf 2 ¼ Stunden reine Spieldauer gestreckten Aufführung mit einer heute selten gewordenen Sprachkultur und faszinierend nuancenreichen Ausgestaltung, unter spürbarer innerer Beteiligung, unentwegt zu fesseln und für den im Grunde simplen Plot Interesse zu wecken. Am Ende lässt Calvino die Erzählerin mehrere Möglichkeiten demonstrieren, welchen Motivationen der sich ankündigende positive Ausgang entspringen könnte, indem sie die Musik mehrmals unterbricht und zunächst für Irritationen bei den Ausführenden als auch im Publikum sorgt. Bis wohl jedem klar wurde, welch letztlich amüsantes Spiel mit dem „könnte“ da getrieben wird und in eine zunehmend heitere Stimmung mit vielen Lachern mündete.

Als musikalischer Rahmen (es existiert auch keine Ouvertüre) dienten in stilistisch sinnvoller Parallele zwei Sätze aus der von Michael Haydn zu Voltaires genanntem Trauerspiel komponierten Bühnenmusik, in der der Einsatz von Trommel und Becken das passende Janitscharen-Flair garantiert. Wie in seiner „Entführung“ stehen auch hier zwei an einen Sultan verkaufte Christen-Sklaven im Mittelpunkt, denen mithilfe des zu hohem Ansehen gekommenen Allazim beinahe die Flucht gelingt, wobei letzterer auch ein Auge auf Zaide geworfen hat. Vor dem drohenden Tod durch den Strick bewahrt sie letztlich die Fürsprache des Fluchthelfers, der sich als einstiger Lebensretter des Sultans entpuppt.

Unter zusätzlicher Anspannung stand die Aufführung durch den Ausfall der bei der Generalprobe erkrankten Mojca Erdmann und der in Kürze weniger Stunden mit nur einer Verständigungsprobe eingesprungenen Amerikanerin Sara Hershkowitz in der Titelrolle. Mit klar ansprechendem, leicht metallischem Sopran, der sowohl über Leichtigkeit als auch Kraft verfügt, bewegte sie sich sicher durch Mozarts wie gewohnt anspruchsvolle Ton-Girlanden, ließ nur phasenweise an Textverständlichkeit zu wünschen übrig und gewann an Lockerheit, sobald ihr das Publikum nach der Auftrittsarie „Ruhe sanft“ durch eine spontane Ovation seine Dankbarkeit für ihr mutige Rettung der Aufführung bekundete.

Unter den Männern, die allesamt Spaß an diesem außergewöhnlichen Projekt zeigten, tat sich Paul Armin Edelmann als Allazim besonders nachdrücklich hervor, so profund, wohltönend, mit prachtvoller Höhe und fließender Artikulation setzte er seinen Bariton ein, und gab damit diesem humanistische Züge aufweisenden Charakter ein stattliches Profil. Von den beiden Tenören hat Julian Prégardien als Gefangener Gomatz den farbenreicheren, in den Höhenaufschwüngen gelegentlich etwas druckvollen, während Leif Aruhn-Solén für den Sultan Soliman eine weißere, strengere, technisch geschliffenere, aber nicht weniger eindringliche Stimme vernehmen lässt. Peter Mazalan servierte die Arie des Haremswächters Osmin, in der temporeiche Text-Kaskaden und koloratur-nahe Lachausbrüche immer wieder ineinander übergehen, mit gut sitzendem und flexiblem Bariton überaus gekonnt.

Ein wesentlicher Impuls ging indes von Ola Rudner aus, der mit der tonschön, ausgeglichen und beherzt agierenden Württembergischen Philharmonie Reutlingen durch die Vermischung von tänzerischer Leichtigkeit und energischem Zugriff den ganzen Kosmos an harmonischen Wendungen, Kolorierungen und Variierungen hörbar machte, den Mozart auch für dieses Werk entfaltet hat. Über die daraus sprechende menschliche Einfühlsamkeit, hier im Alter von nicht einmal 25 Jahren, kann nur immer wieder gestaunt werden. Zudem beteiligte sich Rudner lebhaft an der Entwicklung der Handlung, indem er in zum Publikum gedrehter Haltung die Ausführungen der Erzählerin wechselnd zwischen fragendem Stirnrunzeln und erheiterter Miene kommentierte.

Rauschender Applaus im erfreulich gut gefüllten großen (Konzert-)Saal der jüngst eröffneten Reutlinger Stadthalle.

 Udo Klebes

 

 

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