PARSIFAL in Bad Homburg, 21. Juni 2013
Parsifal in der Kirche? Parsifal von einem Laien-Chor musiziert? Parsifal von einem Barockorchester gespielt?
Was zunächst befremdlich, ja unglaublich wirkt, wurde zu einem der stärksten musikalischen Eindrücke, die ich in den letzten Jahren erlebt habe!
Hingabe und Natürlichkeit waren die dominierenden Faktoren dieses unvergesslichen Ereignisses. Diese konzertante Aufführung zeigte, wie stark dieses Werk, ohne störenden Regie-Wahn wirkt, wie er allerorten zu beklagen ist, insbesondere wenn die Beteiligten mit musikalischem Bewusstsein und erkennbarer Identifikation agieren.
In langjähriger Vorarbeit hat die Bad Homburger Kantorin dieses staunenswerte Projekt verwirklicht. Die Erlöserkirche ist der perfekte Ort gewesen, so dass wir uns alle tatsächlich in einem Gralstempel befanden. Wunderbar. Die ca. 100 Sängerinnen und Sänger des Chores bewältigten ihren schweren Part mit großer Disziplin, Ausdauer und Hingabe. Es war eine Freude. Blumenmädchen, Gralsritter und Knappen waren mit guten und charakteristischen Stimmen besetzt.
Die Hauptrollen sangen auf hohem Niveau. Kathrin Hildebrandt war eine Kundry, die die schwierigen Intervalle und Spitzentöne mit großer Sicherheit bewältigte. In ihrem Rollenbild betonte sie das Menschliche der Figur, das Leidende, weniger die Verführerin. Ein interessanter Ansatz, der Kundry ungewohnt „keusch“ tönen ließ.
Christian Elsner war als Parsifal engagiert und ungemein kultiviert bei der Sache. Mit großer Klangkultur und Sensibilität zeichnete er farbiges Rollenbild.
Als Gurnemanz war Simon Bailey zu hören. Seine Rolleninterpretation gelang geradezu perfekt. Sonor und ausladend tönend, jeder Nuance nachspürend mit sichtbarer großer Beteiligung war er das sängerische Zentrum dieses Abends.
Ebenso begeisternd Hans Christoph Begemann als Amfortas. Auch er bot eine faszinierende Leistung. Noble Stimmfarbe, vereint mit wissender Textgestaltung und absoluter stimmlicher Souveränität in allen Lagen. Hinreißend!
Und schließlich Hubert Bischof als Titurel und Klingsor. Als Titurel verströmte er ungewohnte Autorität und war wirklich ein klingender König. Frappierend seine Wandlung in den dämonischen und sarkastisch akzentuierenden Klingsor. Volltönend, gesund und packend gelangen seinen Interpretationen.
Bleibt noch das fabelhafte Orchester L’arpa festante zu loben. Die gut 70 Musiker spielten auf Originalinstrumenten, Steicher mit Darmsaiten, mit reduziertem Vibrato. Ein sehr durchsichtiges Klangbild war zu hören, so dass der Text der Sänger immer verständlich blieb. Die großen Ausbrüche kamen mit Macht und Größe. Die Verwandlungsmusiken wurden zu überragenden, in ihrer Intensität geradezu berstenden, unfassbaren Klanggebilden. Hier waren zudem besonders herausgearbeitete Akzente zu hören. Die Pauken waren doppelt besetzt, wobei beide Spieler mit Holzschlägeln und Filzschlägeln parallel spielten. Interessant war auch die Entscheidung, die Bühnenmusik von der Orgel und nicht von Bläsern spielen zu lassen, womit die sakralen Elemente stärker wirkten.
Mit höchster Konzentration und großer Spielfreude gelang dem Orchester sein Debüt auf fremden musikalischen Terrain.
Über allen stand, nein, lebte Susanne Rohn ihre Passion für den Parsifal vor. Mit nie nachlassender Begeisterung und Aufmerksamkeit steuerte sie alle Beteiligten sicher durch den Abend. Sie sang den Text lautlos mit, gab jeden Einsatz, begleitete die Sänger äußerst einfühlsam und sorgte für eine perfekte Balance in schwieriger Akustik. Die Tempi waren eher zügig, wirkten aber zu keinem Zeitpunkt überhetzt. Die Übergänge stimmten, der gesamte musikalische Verlauf war in einem großen musikalischen Bogen angelegt und vermittelte eine ungeheure Sogwirkung. Wahrlich ein Ereignis!
Nach jedem Aufzug sekundenlanges Schweigen. Am Ende des Abends Intensivhuldigungen eines stehenden in Jubelchöre ausbrechenden, glücklichen Publikums, dass sich dieses Ausnahmeereignisses spürbar bewusst war. Bleibt zu hoffen, dass die zahlreichen Mikrofone auf eine bald erhältliche Aufnahme schließen lassen.
Dirk Schauß