AUGSBURG/ Staatstheater: DALIBOR von Bedrich Smetana. Premiere am 14.10.2016
Sally du Randt als Milada in Smetanas DALIBOR – Foto: © Jan-Pieter Fuhr
Das frisch gekürte Staatstheater in Augsburg hat es sich mit seiner ersten Opernpremiere 2018/19 nicht leicht gemacht, sondern einen Außenseiter des Repertoires auf den Spielplan gesetzt: Bedřich Smetanas im Jahre 1868 uraufgeführte Oper DALIBOR hatte von Anfang an einen schweren Stand bei Kritik und Publikum, trotz großartiger Musik und wiederholtem Einsatz erstklassiger Dirigenten, die an das Werk glaubten: neben Smetana selbst, der die ersten Einstudierungen in Prag dirigierte, vermochten weder Hermann Levi (München 1894), Gustav Mahler (Wien 1897) noch Leo Blech (Berlin 1909) das Werk dauerhaft im Spielplan zu etablieren; auch eine zweite „Dalibor“-Welle, ausgehend von Wien 1938 (Bruno Walter) und erneut Berlin 1940 (Johannes Schüler) blieben interessante Randerscheinungen des Opernrepertoires, die schnell im Vergessenheit gerieten und selbst im tschechischen Sprachraum waren es nur einzelne Aufführungen – meist vom Nationaltheater Prag – die das Werk am Leben erhielten und durch gelegentliche Gastspiele in europäischen Städten zur Diskussion stellten. Ein Grund dafür mag die legendäre Erscheinung des Titelhelden selbst sein in der Mischung von Mythos und Freiheitskämpfer, ein weiterer die Textgestaltung von Josef Wenzig (als deutsches Original, das erst von Ervín Špindler ins Tschechische übersetzt werden musste) und die späteren „deutschen Fassungen“ von Max Kahlbeck und Kurt Soldan (die beide vor Eingriffen in die Partitur nicht zurückschreckten!). Die verdienstvolle Wieder-herstellung des Originals im Jahre 1924 durch Otakar Ostrčil in Prag und eine neue deutsche Übersetzung durch Kurt Honolka (Bremen 1958) – alle Bemühungen vermochten nicht, dass DALIBOR es an Popularität mit Smetanas VERKAUFTER BRAUT oder beispielsweise der RUSALKA von Antonin Dvorak oder Janaceks JENUFA aufnehmen konnte, von den vier Wochen nach ihm uraufgeführten MEISTERSINGERN VON NÜRNBERG Richard Wagners ganz zu schweigen. DALIBOR blieb das Sorgenkind Smetanas, der es viel mehr schätzte, als seinen Welterfolg der VERKAUFTEN BRAUT und davon überzeugt war, dass „Dalibors Zeit noch kommen würde“.
Die Musik ist es denn auch, die ergreift und die zentrale Rolle spielt. Domonkos Héja dirigiert das Werk mit spürbarer Liebe und bringt das Kunststück fertig, es im Interimshaus unter schwierigen akustischen Verhältnissen zum Blühen zu bringen, ohne die Bühne dabei zu behindern – eine Gratwanderung sondergleichen. Denn das hoch liegende, offene Orchester in großer Besetzung ist zu allem fähig. Die Augsburger Philharmoniker aber spielen mit äußerster Disziplin, wachem Klangsinn und spürbarer Freude, folgen ihrem GMD aufs Genaueste und sind jederzeit flexibel und differenziert, wunderschöne Instrumental-Soli runden den großartigen Orchester-Gesamteindruck ab. Die Anforderungen der Partitur an die Gesangssolisten sind erheblich, Augsburg kann hier wieder einmal aus dem Vollen schöpfen und – bis auf die Titelpartie – mit eigenen Kräften punkten.
Scott MacAllister a. G. (Dalibor) und Sally du Randt (Milada) – Foto: © Jan-Pieter Fuhr
Scott MacAllister (als Gast) bringt für die Titelpartie, die an Umfang und Ausdauer keinem Wagnerschen Helden nachsteht, nicht nur einen sicheren Heldentenor mit, sondern zeichnet sich auch durch große Textverständlichkeit aus. Man glaubt ihm seine Empörung über den Tod seines Freundes Zdenko ebenso, wie seine Entschlossenheit, zu Kampf und Streite zu ziehen. Ebenso findet er verhaltene und innige Töne, wenn er seine Liebe zum getöteten Freund erlebbar macht. Musikalisch sicher und szenisch verhalten fügt er sich nahtlos in das Ensemble ein. Milada, die Schwester des von ihm getöteten Burggrafen, belastet ihn anfangs schwer, ist aber, als sie ihn erstmals sieht, von seinem Charisma und seiner Aufrichtigkeit so beeindruckt, dass sie, als Liebende um seine Freiheit kämpfen will. Eine sehr komplizierte Aufgabe, die bei der immer wieder bestens bewährten Sally du Randt in besten Händen ist. Sie spielt diese Rolle mit Hingabe und Leidenschaft, wie man es bei ihr seit Jahren bewundert. Sie hat aber auch die stimmliche Flexibilität, die diese Gesangspartie so kompliziert macht: Smetana schreibt mit Recht einen „Sopran“ vor, mutet der Sängerin aber auch Töne eines satten Altregisters zu. Bewundernswert, wie Frau du Randt diese riesige Skala bewältigt, ohne ins Outrieren zu verfallen, wunderschön ihre Bögen im großen Duett mit Dalibor, eine imponierende Leistung.
Alejandro Marco-Buhrmester (der sich in der Premiere wegen Indisposition ansagen ließ) verfügt über einen profunden Bariton und eine sichere Technik, die die angesagte Indisposition nicht spüren ließ. Als Figur kann er seinen Grundkonflikt – ein gerechter König sein zu wollen und ein konsequenter Herrscher sein zu müssen nicht ganz glaubhaft machen, was aber an der Anlage der Rolle liegt. Schwierig ist auch die Figur des Kanzlers Budivoj, den Wiard Witholt mit hellem, klaren Bariton singt, den man gerne noch länger zuhörte, Smetana hat ihm aber leider keinen weiteren „Stoff“ geschenkt. Einprägsam dagegen der Kerkermeister Beneš, dem Stanislav Sergeev seinen imponierenden Bass schenkte, wobei ich mir die Anmerkung nicht verkneifen möchte, dass er es nicht nötig hätte, seine Töne zu vergröbern – die Textdeutlichkeit leidet darunter und dem gesunden Stimmmaterial kann es nur schaden. Von der Vorlage der Partitur recht stiefmütterlich behandelt ist die Waise Jitka, die Dalibors Rettung gemeinsam mit ihrem Freund Vitek organisiert – Randfiguren mit, zumindest was den Sopran betrifft, erheblichen Aufgaben: Jihyun Cecilia Lee meisterte sie mit beachtlichem Stimmpotential, Roman Poboinyi war ihr ein zuverlässiger Partner. Die Richter, die nicht nur das Urteil fällen sondern auch die Schwäche des Königs kritisieren, waren mit durchdringenden chorisch besetzten Stimmen imponierende Mahner. Chor und die Herren des Extrachores des Staatstheaters Augsburg (Einstudierung: Carl Philipp Fromherz) trugen in gewohnter Präzision und Klangfülle zum Gelingen des Abends bei. Alles in allem ein musikalischer Gesamteindruck, der überzeugte.
Und die Szene?
Schon bei der Beurteilung der einzelnen Sängerleistungen fiel auf, dass das Werk Defizite in der Figurengestaltung hat. Nicht nur der König macht keine eigentliche Entwicklung durch noch ist er wirklicher Partner des Titelhelden, erst recht nicht seiner eigenen Mitstreiter. Der Kanzler Budivoj bleibt Staffage, das junge Paar wirkt sehr unterbelichtet; das sind die Eindrücke, die man von den Figuren hat, wenn man das Werk liest. Wenn man eine histori-sierend-anekdotische Spielweise wählt, gib es Ungereimtheiten, die teilweise peinlich sind. (Der Chor der Knappen z. B., oder Dalibor im Kerker, Gitter durchsägend mit einer Feile, die Milada ihm mit der Geige gebracht hat; Vision des Geige-spielenden Freundes Zdenko usw.) Unmittelbar wird man an den Bierchor der VERKAUFTEN BRAUT erinnert oder an Elemente der deutschen Spieloper, die zum Inhalt irgendwie nicht passen wollen.
Der Regisseur Roland Schwab ging diesen Problemen grundsätzlich aus dem Weg, weil er eine anekdotisch-historisierende Spielweise überhaupt nicht anstrebte. Er konzentrierte sich auf die Hauptfigur des Dalibor, der eigentlich kein Freiheitsheld ist, weil er Freiheit nie erlebt. Er ist ein Gefangener, ein Außenseiter vielleicht auch, jedenfalls einer, der seinen Freund Zdenko über alles liebt. Ob man daraus schließen sollte, dass Smetana die erste homoerotische Oper der Musikgeschichte geschrieben hat, bleibe dahingestellt. Richtig ist, dass Dalibor seinen toten Freund Zdenek liebt, denn das beteuert er den ganzen Abend. Auch richtig ist, dass Milada Dalibor liebt – ob diese „Liebe“ auf Gegenseitigkeit beruht, erschien mir schon immer fraglich. Und Schwab und sein Team (Bühne: Alfred Peter, Kostüme: Renée Listerdal, Licht: Marco Vitale) lassen das Stück weder im Prag des 15. Jahrhunderts, auch nicht an einem konkreten Ort in einer bestimmten Zeit spielen – sondern: in einem totalitären Staatssystem hier und heute, sie führen Folter vor, Gewalt und was der Dinge sind, die da zur Anwendung kommen. Nie vordergründig direkt, alles „im Nebel“ etwas diffus. Jedenfalls: mir hat es gefallen und den Zuschauern im ausverkauften Martini-Park-Saal offensichtlich auch. Die optische Wirkung speziell der eingesetzten Lichteffekte ist beeindruckend, geknallt wird natürlich immer, wenn gefoltert wird. (Etwas weniger wäre der Musik adäquater gewesen!)
Und: die Sterbeszene der Milada, die von Sally du Randt so herzergreifend gesungen und gespielt wird, ist der absolute emotionale Höhepunkt des Werkes; er ist nicht zu toppen und ich würde den dann noch folgenden Originalschluss (3. Auftritt des 3. Aktes, 39 Takte Musik, die nicht neu ist!) weglassen, auch deshalb, weil das Werk gegen Ende hin Längen hat, die keiner leugnen kann.
Jedenfalls war es eine sehr beeindruckende Aufführung die ihre Wirkung beim Zuschauer nicht verfehlte. Der Beifall war langanhaltend und herzlich – er schloss das Regie-Team ausdrücklich ohne jeden Widerspruch ein. Das ist doch schon mal was.
Ob nun die Zeit für Dalibor anbricht, wie Smetana einst meinte? Zu wünschen wäre es.
Werner P. Seiferth
Scott MacAllister als DALIBOR Foto: © Jan-Pieter Fuhr