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AUGSBURG / Kongress am Park: OTELLO von Verdi. Premiere

21.02.2017 | Allgemein, Oper

AUGSBURG:  OTELLO von Verdi
Premiere am 19.02.2017 im Kongress am Park

Die zweite Station auf der Augsburger Odyssee nach Räumen für die große Oper ist nun der „Kongress am Park“ – eine sehr große Mehrzweck-Halle, in der Verdis OTELLO Asyl gefunden hat – im doppelten Wortsinn: nach der Schwabenhalle mit TOSCA macht man nun hier im Kongress mit OTELLO Station, ebenso kein Theater, ebenso ein Asyl – auf das die Regie auch anspielen zu müssen glaubt – davon später.

Domonkos Héja, der in der Schwabenhalle noch sorgsam versuchte, den Klang nicht aus-ufern zu lassen, meinte hier nun aus dem Vollen schöpfen zu können, der Raum ist – wenigstens dem Orchester – von den Sinfoniekonzerten her vertraut, leider aber mit einer sehr offenen, man könnte fast sagen: knalligen Akustik, was den großen Chorszenen besonders im 1., aber auch im 3. Akt durchaus zum Nachteil gereicht. Lautstärke ist kein künstlerisches Kriterium, hier wurde es wieder bewiesen. Der Leistung des in großer Besetzung sehr präzis aufspielenden Orchesters, den Augsburger Philharmonikern, tut dies keinen Abbruch, es ist nur schade und gehört in einem kritischen Bericht angemerkt. Auch der durch Extrachor verstärkte Chor des Theaters Augsburg in der gewohnt gewissenhaften Einstudierung von Katsiaryna Ihnatseyva-Cadek hatte einen großen Tag, präzise und klangvoll wie immer, leider an einigen Stellen des 1. Aktes  gnadenlos übertönt. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass man das Werk nahezu komplett spielte, lediglich eine längere Kürzung im Lobgesang auf  Desdemona im 2. Akt (über den Kinderchor hinweg, was sicher nicht dem Fehlen eines solchen, sondern den Bühnenverhältnissen geschuldet war), im 3. Akt aber das gewaltige große Finale in voller Länge und Klangpracht ertönen ließ. Die musikalische Seite konnte sich also, wie eigentlich immer in Augsburg, hören lassen. (Es sei wenigsten angemerkt, dass der Generalmusikdirektor bei dem „Regieeinfall“, Jago mitten in seinem Credo  – Fermatenpause mitten im Takt beim Allegro sostenuto  – das Ende des Liebesduetts aus einem Grammophon einblenden zu lassen, als völlig unbegründeten und musikalisch durch nichts zu akzeptierenden Eingriff in die Partitur hätte unbedingt verhindern müssen; wenigstens bei dieser Art „Einfällen“  m ü s s e n  die Dirigenten ihre Kompetenz gegenüber musikfeindlichen Regisseuren (Inszenierung: Michaela Dicu) schon noch zur Geltung bringen, wenn schon zugelassen wird, dass beispielsweise das Ende des Liebesduetts (durch fremde Personen!) zertrampelt und das Gebet Desdemonas im Flüchtlingscamp vor Zuschauern gesungen wird…!)

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Zurab Zurabishvili und Sally du Randt als Otello und Desdemona. Copyright: Theater Augsburg/ A.T.Schäfer

Die solistische Aufmerksamkeit richtet sich im OTELLO fast ebenso wie in der bereits erwähnten TOSCA auf die drei Hauptpartien, und hier kann Augsburg – man möchte fast sagen: grundsätzlich – punkten. Sally du Randt, die Tosca, sang eine zu Herzen gehende Desdemona, silbern-schwebend im Klang, markant gestützt in der Breite des Umfangs – insbesondere im klanglichen Dominieren des Finales des 3. Aktes – und mit starkem Ausdruck insbesondere in den Szenen mit Otello, dem sie ebenbürtige und selbstbewusste Partnerin war.   Um den Jago hatte es, einer plötzlichen Erkrankung wegen, am Premierentag Aufregung gegeben, die dazu führte, dass der Ersatz-Sänger, Olafur Sigurdarson, im Orchester saß, um notfalls singen zu können.  Antonio Yang trat dann aber doch selber in Person und Stimme an, ich konnte von Indisposition nichts feststellen: eine große dramatische Baritonstimme mit sicherem Fundament im tiefen wie im hohen Register, die Partie bravourös meisternd, sowohl in den Höhen des Trinkliedes als auch in der Verhaltenheit der so genannten „Traum“-Erzählung. Eine imponierende stimmliche Leistung, bei der allerdings  im Schauspielerischen noch einige Luft nach oben bleibt.
Das Hauptinteresse bei dieser Produktion war nicht nur von den Augsburgern, sondern von vielfach aus unterschiedlichsten Orten angereisten Zuschauern natürlich auf das Rollendebut des Otello gerichtet: Zurab Zurabishvilli, der vor einer Reihe von Jahren seine Karriere im 1. Festengagement in Augsburg gestartet hatte, kehrt nun mit einer Partie zurück, der er nichts schuldig blieb: sein Otello war „immer da“, eine Bühnenpräsenz von nie erlahmender Suggestion, eine strahlende Höhe, die viele Klippen der Partie vergessen machte und große Musikalität. Was will man mehr? Es gehört keine Prophetie dazu, ihm in dieser Partie eine interessante Zukunft voraus zu sagen.
 
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Antonio Yang und Kerstin Descher als Jago und Emilia. Copyright: Theater Augsburg/ A.T.Schäfer

Die übrigen Partien konnten stimmlich hochkarätig besetzt werden, angeführt von der schön-stimmigen Kerstin Descher als Emilia (der die Regie allerdings verordnete, dass sie als Soubrette durchs Stück hüpft!), mit Ji-Woon Kim als sicherem Cassio (der freilich als Dauertrinker durch den Abend torkeln musste!), Christopher Busietta (Rodrigo), Young Kwon (Lodovico), Georg Festl (Montano) sowie Alexander York (der zu Beginn des 3. Aktes die Vorhänge und Lampen inspizierte, sich dann aber als „Herold“ outete.)
Eine Oper ist kein Schauspiel, unsere Kunst lebt von Elementen, die die gesprochene Tragödie nicht kennen. Die Musik ist die allmächtigste unter den Künsten, sie hat eine eigene Logik, die viel rascher, viel freier ist als die Logik des Denkens in Worten und weitaus vielsagender. Diese Worte richtete der Textdichter Arrigo Boito an den Komponisten Giuseppe Verdi während der gemeinsamen Arbeit an diesem Stück. Ich zitiere sie nicht etwa deshalb, um einen Übergang zur Besprechung der (Nicht-)Regie zu finden, sondern das Augsburger Programmheft zitiert sie großseitig – ohne zu verhindern, dass die Musik in dieser Inszenierung absolut überflüssig ist.  Wer den Shakespeare mag, soll ihn im Original spielen, seltsamerweise ist das im Schauspiel nur selten der Fall. OTELLO lebt als Oper von Verdi fort. Wem die Musik nicht gefällt, soll die Hände von der Oper lassen, Oper ist ohne Musik und ohne Liebe zur Sache unerträglich.

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Das Ensemble (Solisten, Chor und Extrachor) zu Beginn der Oper. Copyright: Theater Augsburg/ A.T.Schäfer

Ausweichquartiere hin oder her – nach dem zweiten Weltkrieg gab es fast nur solche „Räume“, meinen ersten OTELLO  erlebte ich 1954 in der Leipziger Dreilindenoper – weiß Gott kein repräsentatives Haus und eine viel zu kleine Bühne mit einem viel zu hoch liegenden Orchester. Und dennoch hat es die Liebe zum Metier in mir geweckt, die ein Leben lang anhielt – in einer Inszenierung, die man heute als „konventionell“ abqualifizieren würde. Selbst auf diesem Kongress-Podest vor der abendfüllenden Orgel geht mehr, als das Regie-Team uns zu bieten versuchte! Die Häufung von Matratzen (als Assoziation auf „eine“ Flüchtlingssituation) und die Schleppe des Desdemona-Gewandes mit einer gefühlten Länge von Augsburg bis München ist ebenso zu wenig, wie der schreckliche „Hänger“ vor der Orgel, der dann auch noch herabgerissen wird; von bestimmten anderen Obszönitäten schweige ich heute, um mich nicht zu wiederholen.

Die Menschen gehen wegen der Musik und guter Sänger in die Oper – das bietet Augsburg und deshalb waren auch so viele Auswärtige anwesend. Kein Mensch kommt wegen einer Regie, die in Wahrheit höchstens arrangiert, alles Vorherige in Zweifel zieht und Voraussetzungen schafft, das Stück nicht begreifen zu können. Und falls jemand an der Zukunft der Oper interessiert sein sollte, müsste schnellstens dafür gesorgt werden, dass – wenn man schon die Sprache nicht versteht, weil ja deutsch nirgendwo mehr gesungen wird – wenigstens Inszenierungen stattfinden, die das Verständnis des Werkes ermöglichen (dazu müssten sie nicht einmal konventionell, nur „verständlich“ sein!) und Bedingungen zu schaffen, die Sängern eine glaubhafte Darstellung ermöglichen. Die Leute, die nach dem zweiten Weltkrieg Oper gewagt haben, wussten, wie man das machen muss – von Augsburg bis Zwickau, von Berlin bis Wien. Es waren Götter gegen diejenigen, die heute meinen die Opern erneuern zu müssen und sie in Wahrheit immer mehr auf den Hund  bringen.

Und: täuschen Sie sich nicht, meine Damen und Herren, ein Erfolg war es durch die großartigen Protagonisten und diesen Erfolg wollten denen die, die extra angereist waren, nicht kaputt machen. Wäre dem nicht so, man hätte buh brüllen müssen, bis die Wände wackeln.

Werner P. Seiferth

 

 

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