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AUGSBURG: JENUFA von Leos Janacek. Premiere

21.09.2014 | KRITIKEN, Oper

AUGSBURG: „Jenufa“ von Leoš Janáček – Premiere am 20.09.2014

Pressefotos Jenufa 004
Drei Generationen „Burya“: Elisabeth Hornung (Die alte Burya), Kerstin Descher (Küsterin), Sally du Randt (Jenufa)  Foto: A. T. Schaefer, Theater

 Die letzte Augsburger „Jenufa“ liegt  erst sieben Jahre zurück, damals gespielt in der ehemals „üblichen“ Fassung mit den Eingriffen von Karel Kovarovic und in der deutschen Textfassung von Max Brod (und bei allen berechtigten Vorbehalten, die heute gegen diese Fassung gemacht werden bleibt festzustellen, dass es  immerhin diese Version des Werkes war, die es international durchgesetzt hat). Man durfte sich schon fragen, wieso es schon wieder „Jenufa“ sein musste, erst recht, wenn man feststellt, dass seit 1999 (länger zurück hat das Theater seine Spielpläne nicht veröffentlicht) keine weitere Oper von Janacek gespielt worden ist.

Diese Überlegungen verstummen sofort, wenn man die aktuelle Aufführung erlebt hat. Das Werk wird in der nun gewählten „Fassung von 1908“ erst recht verständlich, auch die Figuren-Konstellationen und die familiären Zusammenhänge im Hause Burya sind nun überschaubarer, die handelnden Personen klarer exponiert. Besonders aber ist es die szenische Gestalt, die – sich auf das Wesentliche konzentrierend – alles Anekdotische meidend mit Klarheit und hoher Musikalität die Geschichte erzählt und uns Heutigen näher bringt. Die Konzentration auf die und die Achtung vor der Musik sind es, die hier den tiefsten Eindruck und wohl auch das hohe Maß an Geschlossenheit zwischen musikalischer Leitung und Regie ausmachen. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich um eine „Reprise“ handelt, denn die Leser des „Neuen Merker“ kennen diese Version bereits aus Graz, wo sie im März dieses Jahres mit dem gleichen Leitungsteam bereits Premiere  hatte. [„Der neue Merker“, 04/2014, Bericht von Helmut Christian Mayer].

Gutes darf man jederzeit wiederholen, erst recht, wenn es erneut vom Regisseur überprüft und erarbeitet wird. Peter Konwitschny hat hier in geradezu kongenialer Weise auf die Musik gehört und ihr einen Stellenwert verliehen, den sie eigentlich bei jeder Opernproduktion haben sollte; er hat das Werk nicht nur genau analysiert, sondern seine Besonderheiten auch in szenische Realität umgesetzt. Nicht nur die Schluß-Version, die „außerhalb“ des Stückes stattfindet, nicht nur die große Jenufa-Szene im 2. Akt, die er zu einem Duett Jenufas mit der Solo-Violine werden lässt, auch weitere Details des Werkes (z. B. das Ensemble „Jedes Paar muß im Leiden seine Zeit überstehen“ im 1. Akt, der Kinderchor im 3. Akt) erhalten durch die Konzentration auf die Musik Bedeutung. Dirk Kaftan, eigentlich bereits aus Augsburg ausgeschieden, nimmt diesen Faden mit großer Differenziertheit auf und lässt die Augsburger Philharmoniker durchaus durchsichtig und – wo es geboten scheint – auch grell musizieren. Im Parkett war das Klangbild sehr ausgewogen, wurden die Sänger nie vom Orchester überlagert (Besucher aus dem Rang hatten andere Eindrücke, das sei der Fairness halber zumindest angemerkt.) Die Ausstattung, die Johannes Leiacker auch schon für Graz geschaffen hatte, kommt mit drei unterschiedlichen Bodenbelägen – entsprechend den drei Jahreszeiten, in denen das Geschehen spielt – aus und beschränkt sich auf der Bühne mit einem Tisch und einem Bett auf „zwei der wichtigsten Orte, an denen das Zusammenleben der Menschen geschieht“, wie Konwitschny es begründet.

 „In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln“ steht im Programm-heft, auch dies eine durchaus hinterfragenswerte Feststellung. Ich vermag nicht einzuschätzen, wie dieses „Tschechisch“ auf einen Tschechen wirkt – möchte nur zunächst völlig pauschal anerkennen, dass dieses großartige Ensemble, dem kein einziger tschechisch-stämmiger Sänger angehört, eine Fleißaufgabe mit Engagement und Können gemeistert hat – Hut ab!

Ich will auch nicht weiter über die Entscheidung zur „Originalsprache“ polemisieren (Konwitschny selbst äußerte im Vorfeld der Grazer Aufführung „wenn Deutsche Italienisch singen oder Engländer Tschechisch, ist das nicht Originalsprache“ und selbst das Augsburger Programmheft stellt fest „dass man die Verbindung von Janáčeks Musik zum tschechischen Originaltext“ in seinen Opern nicht „als eine Art mystische, heilige Einheit betrachten sollte, die zerstört würde, sobald die Opern in anderen Sprachen aufgeführt werden“… Warum also tut man es dem Publikum dann an? Die Reaktionen wären sicher noch intensiver und spontaner gewesen, hätte man verstanden, was gesungen wird. (Die Übertitelung bediente sich übrigens nicht durchgängig der gedruckten deutschen Textfassung und war auch einige Male nicht präzise!)

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Sally du Randt, Kerstin Drescher. Foto: A.T.Schaefer/ Theater Augsburg

 Unterschiedlich sind die solistischen Leistungen sowohl im Musikalischen als auch im Darstellerischen zu werten. Beeindruckend war in erster Linie Sally du Randt in der Titelpartie, eine Stimme, die zum Charakter dieses Mädchens und dessen Mutation zur fast reifen, tragischen Frau wunderbar passt, die über eine Vielzahl von stimmlichen Farben und dynamischen Varianten verfügt und der Partie im Musikalischen nichts schuldig bleibt. Ihre darstellerische Gestaltung steht der stimmlichen in keiner Weise nach, sie ist das ungezwungene Dorfkind, sie versteht es, ihr Problem – die ungewollte Schwangerschaft – nicht nur zu verbergen sondern auch klar zu machen, welche Konsequenzen sie erwarten. Sie ist eine liebevolle Mutter in den wenigen Momenten, die ihr mit ihrem Baby bleiben und sie wächst zu wahrer menschlicher Größe heran im Dialog mit der Solo-Violine (makellos auf der Szene gespielt von Jehye Lee), im Verstehen

der Todesnachricht und Verzeihen des Mordes. Eine sehr intensive, zu Herzen gehende Darstellung. In Matthias Schulz steht ein Laca neben ihr, der viel Liebe und Güte ausstrahlt, der standhaft ist in seiner Zuverlässigkeit und wahrscheinlich wäre er auch noch zur Heirat zu überreden, löge die Küsterin nicht so spontan den Tod des Kindes herbei. Stimmlich geschmeidig auch er, die extrem hohe Lage der Partie vergessen machend – ein Sympathieträger ohne Zweifel, ein Gewinn für das Augsburger Ensemble, dem er nun fest angehört. Dass Ji-Woon Kim (Stewa) ein Frauenschwarm sein soll, wollte sich mir nicht recht erschließen, eher schon, dass er sich seiner Verantwortung entzieht und von dannen eilt. Sein Umgang mit dem Baby ließ für einen kurzen Moment erkennen, wieso sich Jenufa überhaupt in ihn verliebt haben könnte… Das ist eine schwierige Rolle, keine Frage – mir war er nicht überzeugend genug, es wirkte zu sehr „gespielt“. In dieser Beziehung stand er in eigenartiger Verwandtschaft zur Küsterin von Kerstin Descher, die, wohl vom Publikum sehr reich akklamiert, mir die meisten Fragen aufgab. Dass sie die Partie stimmlich bewältigt, will ich ihr gern bestätigen, aber im Darstellerischen möchte ich ihr die Figur sehr gern mehr glauben dürfen. Sie erfüllt ganz ohne Frage das, was der Regisseur ihr gesagt hat, aber sie vermag nicht, es zu ihrem Eigentum zu machen. Vieles wirkt „aufgesetzt“ und dadurch nicht natürlich (damit meine ich nicht die zitternde Hand am Schluß – das war einfach noch nicht bewältigt und sollte nicht überbewertet werden), ich meine ihre ambivalente Grundposition. Wer soll vor dieser Küsterin Angst haben – diese Jenufa doch wohl nicht…

 Quicklebendig und frisch der Jano von Samantha Gaul, mit klarer Stimme und guter Diktion die Karolka von Cathrin Lange sowie der Altgesell von Stephen Owen. Zwei Gäste fügen sich gut ins Ensemble – Elisabeth Hornung als alte Burya und Daniel Henriks als Dorfrichter.

Einprägsam die Schäferin von Jutta Lehner. Etwas farblos und unter-belichtet die Frau des Dorfrichters von Stephanie Hampl.

 Wieder ein großer Tag für den Opernchor (mit Extra- und Kinderchor), zuverlässig einstudiert von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek.

Ein ergreifender, ein bedrückender Abend, der mit drei Stunden Spiel-dauer manchem zu lang erscheint. Im Gegensatz zu einer Grazer Kritik bin ich nicht der Meinung, dass die zweite Pause überflüssig ist. Sie dient nicht nur dem Umbau, man braucht auch den Abstand – das ist schon alles stimmig.   

 Werner P. Seiferth  

 

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