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AUGSBURG/ Freilichtbühne am Roten Tor: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Premiere

24.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Wagner unter freiem (und anfangs hellem) Himmel…„Der fliegende Holländer“ in Augsburg – Premiere am 23. Juni 2012


Foto: Nik Schölzel

Wenn man im Programmheft die „Handlung“ liest (die ausdrücklich als „Originalbeitrag für dieses Programmheft“ gekennzeichnet wird) könnte man meinen, einer werkgerechten Aufführung von Wagners „Fliegendem Holländer“ zu begegnen…

Dann stürmt ein mit einer modernen gelben Arbeits-(Regen?-)Jacke kostümierter Mensch mit einer roten Fahne die Bühne und schwenkt diese ermüdend lange im Kreis, bis endlich die Musik der  Ouvertüre einsetzt und weitere Männer die Bühne bevölkern um zu der Musik offensichtlich „Sturm“ zu suggerieren – eine simple Choreographie, die allemal von der Stärke und Plastizität der Wagnerschen Musik überboten wird…

Gespielt wird übrigens die zweite Fassung des Werkes von 1860 mit dem Erlösungsschluss und der Senta-Ballade in g-moll (die in deutschen Landen immer noch als „übliche“ Fassung weitestgehend bevorzugt wird), was das Programmheft – aus Platzgründen ? – zugunsten der Nennung sämtlicher Namen von technischen und sonstigen Assistenten, Orchestermusikern, Chor- und Extrachorsängern und jedes Statisten (!) verschweigt…

Ob Wagners „Fliegender Holländer“ überhaupt ein Freilichtbühnen-taugliches Werk ist, bleibe dahingestellt; jedenfalls erweist sich die auf der Augsburger „Freilichtbühne am Roten Tor“ vorgegebene „Naturkulisse“ mit ihren räumlichen Ausdehnungen und ihrer Höhen-Distanz zumindest für den 1. Akt als ungeeignet, was durch die Helligkeit, die halt im Juni gegen 20.30 Uhr (Vorstellungsbeginn) gegeben ist, noch unterstrichen wurde. Über eine Distanz von ca. 10 Metern Höhe und ebenso weiter Bühnentiefe lässt sich ein Duett zwischen zwei Männern nicht verdichten, auch nicht, wenn die ständige (störende) Anwesenheit der „Mannschaft“ das (ablenkend) aufzulockern versucht. Namentlich dieser 1. Akt litt unter der Gegebenheit des Raumes und der Helligkeit, mit der so etwas wie „gespenstische Atmosphäre“ gar nicht aufkommen konnte. Daland übergibt seinem Steuermann „die Wache“ in Form eines Endes eines riesigen gelben Seiles (von weitem kann man es auch für ein Abwasserrohr der Stadtreinigung halten!), das dieser mittels seines mitgebrachten Indianer-Kopfputzes zu seinem „Mädel“ ummünzt, auf dem er „einschlafen“ kann – ein bissel Sex muss eben auch sein; weshalb Christopher Busietta, der alle stimmlichen Voraussetzungen für einen guten Steuermann hat, die Rolle so verkaspert, ist sicher beim Regieteam zu erfragen! Das Erscheinen des „Holländer“-Schiffes oben links hat da schon wesentlich mehr mit Wagner zu tun, der schwarz gewandete Holländer vor dem blutroten Segel hat durchaus Atmosphäre – nur steht der Protagonist während seines Monologs in dieser Entfernungsdistanz auf verlorenem Posten!

Nach diesem Akt gab es eine Pause, die – Wagners Absicht vom durchkomponierten Balladencharakter einmal ausgeklammert – auch dafür sorgte, dass der Gesamteindruck mit Beginn des 2. Aktes ein völlig anderer, atmosphärisch richtigerer wurde (weil es inzwischen dunkel war!)


Foto: Nik Schölzel

Die Inszenierung siedelt das Werk zu Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts an (wie neu!), was am deutlichsten in der Spinnerinnen-Szene zum Ausdruck kommt: einheitlich ge-kleidete, zu gemeinsamer stupider „Arbeit“ von der Gouvernante angetriebene Frauen; sie benutzen zwar keine vorgeschriebenen „Spinnräder“ (von denen sie singen), sondern bedienen in mechanischer Rhythmik (durchaus dem musikalischen Duktus entsprechend) Spindeln, sind „fleißig, wie sie spinnen“ – wie Mary bemerkt. Mary als beherrschende Chefin dieser Szene thront über allen (auch räumlich) mit Knute und (Stech-)Uhr; weshalb sie durch eine Augenklappe in die Nähe einer Piratenbraut gerückt und durch ein offensichtliches Hüft-leiden am Gehen behindert werden musste (noch dazu bei den hier vorgegebenen Distanzen!) blieb unverständlich, ebenso Sentas Aktion mit einem Buch (?) in dem sie schreibt und blättert (sollte sie als künftige Chefin des Unternehmens dokumentieren wie die Frauen arbeiten?) Und weshalb beugt sie sich Marys Diktat und holt sich dann auch zwei Spindeln, um mitzuarbeiten? Diese Fragen blieben unbeantwortet. Dass Kerstin Descher eine sichere und zuverlässige Mary singen würde, war nach ihrer Brangäne des Vorjahres vorauszusetzen und keine eigentlich Überraschung; ihren darstellerischen Einsatz mochte man bewundern, legitimiert wurde das vorgetäuschte körperliche Gebrechen dadurch allerdings nicht. Dabei hatte diese Szene optisch einen besonderen Reiz: die Einheitlichkeit der Kostüme der Frauen und Sentas setzte sich fort in einer Art Wandteppich, den Senta später auch als „Umhang“ nutzt und der „das Bild“, um das es eigentlich die ganze Zeit geht, verhüllt; Mary (!) wird es erst viel später den Blicken freigeben. Saskia Rettig, die für die Kostüme verantwortlich zeichnet, hat sich ausführlich mit der Textilgeschichte der Stadt Augsburg beschäftigt und hat bewirkt, dass auf originalen alten Webstühlen dreihundert Meter Stoff für die Kostüme der Damen hergestellt werden konnten, als Mustergrundlage diente das „so genannte Augsburger Schlossertuch. Ein Arbeitstuch, das seiner Zeit Schmutz aufnehmen und Öl aufsaugen sollte“ – wie dem Programmheft zu entnehmen ist. Dies gab dieser Szene Einheitlichkeit und Geschlossenheit und verfehlte nicht eine imponierende optische Wirkung. Weshalb Senta dann allerdings auch wieder zur roten Fahne greift und damit beim Auftritt Eriks hantiert bleibt ebenso rätselhaft wie der Umstand, dass Erik nicht Senta bedrängt, sondern erst einmal aufwändig damit beschäftigt wird, eine Art Sofa von der linken Bühnenseite in die Mitte zu hieven, auf das er sich später legt um von der (hier völlig überflüssig anwesenden) Mary „betreut“ zu werden. Das ist umso unverständlicher, als Ji-Woon Kim als Erik mit technisch sauber geführtem Tenor durchaus kein larmoyanter Schwächling ist. Die Heimkehr des Vaters Daland mit einem „fremden“ Gast findet erst gar nicht statt: mit Beginn des Finales Nr. 6 reißt die immer noch anwesende Mary die Stoffbahn von der Wand und gibt den Blick auf „das Bild“ erstmals frei – es ist aber kein Bild, vielmehr steht der leibhaftige Holländer im Bilderrahmen. Daland tritt „eine Welt“ von beiden entfernt auf der oberen Ebene der Riesenbühne auf, wo er weitgehend auf sich selbst gestellt und ohne eigentliche Partnerbeziehung seine Arie absolviert. Guido Jentjens weiß mit seiner großen Rollenerfahrung und seiner sonoren Stimme auch diese Situation souverän zu meistern. Dass das zentrale Duett zwischen Senta und dem Holländer zu einer großen Geschlossenheit und auch szenischen Dichte führte, war nicht nur der Tatsache zu danken, dass die richtigen Personen in vertretbarer räumlicher Distanz beieinander standen, sondern vor allem dem Umstand, dass stimmliche Potenz und Charisma beider in Bann zogen: Sally du Randt, als hauseigene Sängerin noch als Isolde des Vorjahres in bester Erinnerung, spielte und sang eine träumerische und gleichsam betörende Senta. Keine hysterische Diva, die Stentor-Töne produzierte, sondern eine durch erstklassiges Legato fesselnde und in allen Lagen mühelos singende junge Frau, sympathisches Äußeres mit beseelter, warmer Tongebung verbindend. Eine sehr überzeugende Leistung, der auch zwei besondere „Zutaten“ der Regie nicht abträg-lich wurden: wohl noch keine Senta der Welt musste die gefürchtete Kadenz in diesem Duett rittlings im Liegestütz nach hinten singen und auch keiner wurde bisher zugemutet, vor ihrem Schluß-Gesang („Preis deinen Engel und sein Gebot“) diese Riesen-Höhen-Distanz der end-losen Treppe nach oben und dann noch das Klettern in die Takelage des Holländer-Schiffes zurückzulegen – eine auch physisch bewundernswerte Leistung. Und ein weiteres mal wurde bewiesen, dass man Wagner nicht brüllen muss, sondern mit Legato-Singen und ordentlicher technischer Kondition allemal sicher ins Ziel kommt.  In Stephen Owen hat sie einen adäquaten Partner: ein Bariton mit Metall und Schmelz, ausgeglichen in den Registern, vorbildlich artikulierend und von überwältigender Bühnenpräsenz. Beide – Senta und der Holländer – trugen den Abend.

Überhaupt muss das musikalische Erscheinungsbild dieser Aufführung besonders gelobt werden. Rune Bergmann hatte sich mit der späteren Fassung auch für das entschieden, was man heute eher abfällig als „gemäßigte Tempi“ bezeichnet. Das aber hatte Vorteile: viele instrumentale Details wurden deutlich und zeichneten die Leistung nicht nur des im Ganzen zuverlässig und homogen spielenden Philharmonischen Orchesters Augsburg aus, auch die Solisten und der Chor profitierten davon, dass da ein Kapellmeister am Werke war, der auf Stimmen hört, ihnen auch Zeit zur Entfaltung gibt und Rücksicht beim Begleiten übt! Die Klangfülle des durch Extrachor verstärkten Opernchores des Theaters Augsburg war über-wältigend, von Karl Andreas Mehling sicher einstudiert, sie wurde durch einige Präzisions-Patzer der Herren, namentlich im 1. Akt, kaum beeinträchtigt. Das Unvermögen der Regie, mit einem so qualitativ und quantitativ überzeugenden Chorensemble umzugehen, wurde im 3. Akt evident: noch nie war die große Chorszene am Beginn des Aktes so langweilig und leer, selten die Konfrontation der beiden Mannschaften so einfallslos. Hier hätte die Regie doch Farbe bekennen müssen, hier war nicht einmal die Weitläufigkeit der Bühne das Problem…

Der Schluss: überzeugend und sehr nah an Wagner; Senta, die die Takelage des Holländer-Schiffes erklommen hat, fährt mit diesem und dem Holländer hinaus aufs Meer – Erlösung findet statt, optisch und auch im Orchester. Wagner wurde ernst genommen. Christian Sedelmayer (Regie und Bühne) hat durchaus in guter Absicht gehandelt und vielleicht zu viel gewollt; es ist wie immer: dort, wo man sich auf Wagner verlässt und seine Absichten umsetzt (durchaus auch mit anderen Mitteln) überzeugt es; dort, wo man glaubt nachhelfen und korrigieren zu müssen, erleidet man Schiffbruch. Wann endlich wird Wieland Wagners Bann gebrochen, wonach Wagners szenische Vorschriften angeblich als Müll der Geschichte eliminiert werden dürfen? Nicht die szenischen Vorschriften sind überholt, höchstens ihre Umsetzung. Das ist das eigentliche Problem. Diese Augsburger Aufführung hat es fast exemplarisch bewiesen.

Werner P. Seiferth

 

 

 

 

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