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ATHEN/ Pallas-Theater: DER KAUKASISCHE KREIDEKREIS

16.04.2015 | Allgemein, Theater

Pallas Theater, Athen –Bertolt Brecht: Der kaukasische Kreidekreis

Aufführung vom 15. April 2015 ( Premiere: 11. März)

 Lehrreiches Volkstheater

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Foto: Moutafi Heilakis

 Es ist im deutschsprachigen Raum zu wenig bekannt, dass es in Griechenland eine bemerkenswerte Brecht-Tradition gibt. Der mit Neudeutungen antiker Dramen zu internationaler Berühmtheit gelangte Regisseur Karolos Koun (1908-1987) brachte in der Nachkriegszeit Brecht neben anderen modernen Autoren wie Tennessee Williams, Luigi Pirandello oder Jean Anouilh nach Athen. 1957 gelangte „Der kaukasische Kreidekreis“ zur Aufführung. Die Übersetzung stammte vom späteren Literatur-Nobelpreisträger Odysseas Elytis, die Musik vom renommierten Komponisten Manos Hadjidakis. Das Pallas Theater – mit seinen 1500 Plätzen eines der grosses Häuser der Stadt – erinnert sich dieser Erstaufführung und bringt das Stück von Brecht erneut auf die Bühne.

„Der kaukasische Kreidekreis“ speist sich aus verschiedenen Quellen. Das Motiv der „wahren“ Mutter findet sich bereits im alttestamentarischen 1. Buch der Könige, die Story selber in der chinesischen Literatur des 13. Jahrhunderts. Erzählt wird die Geschichte der Magd Grusche, die nach einem Umsturz das zurückgelassene Kind der Gouverneurin zu sich nimmt und so heil durch die Bürgerkriegswirren bringt. Als die eigentliche Mutter nach Kriegsende zurückkehrt und das Kind zurückfordert, hat der zum Richter aufgestiegene Dorfschreiber Azdak eine Entscheidung zu treffen. Er lässt einen Kreidekreis aufzeichnen, in den das Kind gestellt wird. Er verkündet das die „wahre“ Mutter die Kraft haben werde, den Knaben aus dem Kreis zu reissen. Grusche lässt aus Mitleid die Hand des Kindes los und wird aufgrund ihrer Menschlichkeit von Azdak als „wahre“ Mutter erkannt.

 Das Einheitsbühnenbild von Lili Pezanou weckt Erinnerungen an das heutige Athen: Gerüste und transparente Planen zeigen eine Welt im Umbau. Mit wenigen Requisiten und Prospekten können die Handlungsorte dargestellt und verändert werden. Auf getreppten Podien sitzend, zeigt sich das Ensemble zu Beginn dem Publikum zugewandt in Kleidung unserer Tage. Das Lehrstück wird damit als ein höchst gegenwärtiges Drama über Menschlichkeit kenntlich gemacht. Der Regisseur Konstantinos Markoulakis animiert sein erstklassiges, grosses Ensemble zu einem ebenso vitalen wie differenzierten Spiel. Dabei arbeitet er mit Verfremdungseffekten – wie Operngesten, rhythmische Bewegungsführung – und Elementen des Volkstheaters. Von der bisweilen beklagten Blutleere Brechtscher Lehrstücke ist hier nichts zu spüren. Abwechslungsreich und mit Sinn für Komik kommt der deutsche Dramatiker in Athen auf die Bühne. Die vom Band eingespielte Musik von Manos Hadjidakis, die über weite Strecken das Geschehen untermalt und im späteren Verlauf auch ein paar Songs einstreut, kommt den Intentionen des Regisseurs entgegen. Das Publikum wird gleichermassen belehrt, ermuntert und unterhalten.

 Aus dem grossen Ensemble seien nur die Hauptdarsteller herausgehoben, allen voran die grossartige Maria Protopappa als Grusche. Ihre Bühnenpräsenz ist in jedem Moment beeindruckend. Elisabeth Moutafi als Gouverneursfrau setzt mit opernhaften Gesten und Stimmeinlagen einen markanten Kontrapunkt. Das Dekadente der alten Ordnung, für welche diese Figur steht, wird so im Artifiziellen veranschaulicht. Emilios Chilakis haucht der Figur des Asdak pralles Leben ein und bietet Volkstheater im besten Hintersinne. Überzeugend agieren auch Apostolis Totsikas als Simon und Spiros Tsekouras als Gouverneur. Die Figur des Sängers oder Erzählers ist diejenige, welche die Fäden der Handlung gleichsam zusammenhält. Verkörpert wird sie vom grossartigen Dimitris Lignadis. Er sitzt im Rollstuhl und bedient ein Tonbandgerät: Ein schönes Bild für das erinnernde Erzählen. Der sonoren Stimme von Lignadis zuzuhören, ist ein Vergnügen.

 Konstantinos Markoulakis gelingt eine Inszenierung, welche die Antagonismen des Brechtschen Lehrstücks originell und gekonnt in Szene setzt. Damit erreicht er in Athen ein grosses Publikum. Bertolt Brecht erweist sich in der Kapitale der Krise als äusserst aktuell und lebendig.

 Ingo Starz

 

 

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